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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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blutigen Huichtlopochtli der neuen Welt. Jene klare,
erhellende, allbefruchtende Sonne, als Symbol eines
höheren Lichtes der geistigen Region, ist zum allver-
sengenden, tödtenden Feuer geworden; aus den Sym-
bolen der allerschaffenden Gottheit, deren sinnlich offen-
bartes Wort die sichtbare Natur ist, wurden Werk-
zeuge thierischer Woliust, der Weinkelch, der in den
ältesten wie in den neueren Mysterien eine hohe Be-
deutung hatte, ist zum Taumelkelch finnloser Dumpf-
heit und verkehrter Mißverständnisse geworden. Be-
sonders sind es zwey nahe verwandte Laster: Wollust
und Blutgier, welche sich durch eine verkehrte Ideen-
association des Wahnsinnes, fast immer an die Grund-
idee der Geheimlehren angereiht haben, und wie jene
nächtliche Feyer sich fast allenthalben mit Schändlich-
keiten der ersteren Art befleckte, so finden wir auch,
daß sich die ersten fanatischen Kriege, Verfolgungs-
wuth und Grausamkeiten aller Art an der Ausbrei-
tung der Geheimlehren entzündet haben. Gerade die-
ser heiligste Altar wurde zum Schlachtheerd der Men-
schenopfer. -- Ueberall das Beste bey dem Schlimm-
sten, wie unter andern die Geschichte jener Nation
zeigt, welche ein höherer Rathschluß aus allen Völ-
kern des Alterthums erwählt hatte.

Schon jene Vorstellung, welche die Alten mit
dem Begriff einer Baccha, einer Mänas verbanden,
wird hier sehr bedeutend. Einmal war ihnen diese
ein Bild tiefer religiöser Beschauung, versunken in
ein schmerzlich süßes Gefühl des innern geistigen Ge-
nusses, still und in sich gekehrt; auf der andern Seite
ein Bild rasender Geistestrunkenheit und des aus-

schwei-

blutigen Huichtlopochtli der neuen Welt. Jene klare,
erhellende, allbefruchtende Sonne, als Symbol eines
hoͤheren Lichtes der geiſtigen Region, iſt zum allver-
ſengenden, toͤdtenden Feuer geworden; aus den Sym-
bolen der allerſchaffenden Gottheit, deren ſinnlich offen-
bartes Wort die ſichtbare Natur iſt, wurden Werk-
zeuge thieriſcher Woliuſt, der Weinkelch, der in den
aͤlteſten wie in den neueren Myſterien eine hohe Be-
deutung hatte, iſt zum Taumelkelch finnloſer Dumpf-
heit und verkehrter Mißverſtaͤndniſſe geworden. Be-
ſonders ſind es zwey nahe verwandte Laſter: Wolluſt
und Blutgier, welche ſich durch eine verkehrte Ideen-
aſſociation des Wahnſinnes, faſt immer an die Grund-
idee der Geheimlehren angereiht haben, und wie jene
naͤchtliche Feyer ſich faſt allenthalben mit Schaͤndlich-
keiten der erſteren Art befleckte, ſo finden wir auch,
daß ſich die erſten fanatiſchen Kriege, Verfolgungs-
wuth und Grauſamkeiten aller Art an der Ausbrei-
tung der Geheimlehren entzuͤndet haben. Gerade die-
ſer heiligſte Altar wurde zum Schlachtheerd der Men-
ſchenopfer. — Ueberall das Beſte bey dem Schlimm-
ſten, wie unter andern die Geſchichte jener Nation
zeigt, welche ein hoͤherer Rathſchluß aus allen Voͤl-
kern des Alterthums erwaͤhlt hatte.

Schon jene Vorſtellung, welche die Alten mit
dem Begriff einer Baccha, einer Maͤnas verbanden,
wird hier ſehr bedeutend. Einmal war ihnen dieſe
ein Bild tiefer religioͤſer Beſchauung, verſunken in
ein ſchmerzlich ſuͤßes Gefuͤhl des innern geiſtigen Ge-
nuſſes, ſtill und in ſich gekehrt; auf der andern Seite
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[73/0083] blutigen Huichtlopochtli der neuen Welt. Jene klare, erhellende, allbefruchtende Sonne, als Symbol eines hoͤheren Lichtes der geiſtigen Region, iſt zum allver- ſengenden, toͤdtenden Feuer geworden; aus den Sym- bolen der allerſchaffenden Gottheit, deren ſinnlich offen- bartes Wort die ſichtbare Natur iſt, wurden Werk- zeuge thieriſcher Woliuſt, der Weinkelch, der in den aͤlteſten wie in den neueren Myſterien eine hohe Be- deutung hatte, iſt zum Taumelkelch finnloſer Dumpf- heit und verkehrter Mißverſtaͤndniſſe geworden. Be- ſonders ſind es zwey nahe verwandte Laſter: Wolluſt und Blutgier, welche ſich durch eine verkehrte Ideen- aſſociation des Wahnſinnes, faſt immer an die Grund- idee der Geheimlehren angereiht haben, und wie jene naͤchtliche Feyer ſich faſt allenthalben mit Schaͤndlich- keiten der erſteren Art befleckte, ſo finden wir auch, daß ſich die erſten fanatiſchen Kriege, Verfolgungs- wuth und Grauſamkeiten aller Art an der Ausbrei- tung der Geheimlehren entzuͤndet haben. Gerade die- ſer heiligſte Altar wurde zum Schlachtheerd der Men- ſchenopfer. — Ueberall das Beſte bey dem Schlimm- ſten, wie unter andern die Geſchichte jener Nation zeigt, welche ein hoͤherer Rathſchluß aus allen Voͤl- kern des Alterthums erwaͤhlt hatte. Schon jene Vorſtellung, welche die Alten mit dem Begriff einer Baccha, einer Maͤnas verbanden, wird hier ſehr bedeutend. Einmal war ihnen dieſe ein Bild tiefer religioͤſer Beſchauung, verſunken in ein ſchmerzlich ſuͤßes Gefuͤhl des innern geiſtigen Ge- nuſſes, ſtill und in ſich gekehrt; auf der andern Seite ein Bild raſender Geiſtestrunkenheit und des aus- ſchwei-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/83>, abgerufen am 28.04.2024.