Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Die Symbolik der Natur.

Von jenen Bildern und Gestalten, deren sich die
Sprache des Traumes, so wie die der Poesie und der
höheren prophetischen Region als Worte bedienon, fin-
den wir die Originale in der uns umgebenden Natur,
und diese erscheint uns schon hierinnen als eine ver-
körperte Traumwelt, eine prophetische Sprache in le-
bendigen Hieroglyphengestalten. Der unbekannte Phi-
losoph *) scheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur
mit einer Somnambüle, einer Traumrednerin zu ver-
gleichen, welche überall nach derselben innern Noth-
wendigkeit, nach demselben bewußtlesen und blinden
Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht-
wandlers hervorgehen, und deren Producte -- in allen
ihren mannigfachen Geschlechtern und Arten, den Bil-
dern unserer Träume gleichen, die an sich selber unwe-
sentlich, erst durch das was sie bedeuten, was sie
darstellen, Sinn und Wesenheit erhalten.

In der That, die gemeine teleologische Ansicht
machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit
es nur eine Beschäftigung habe, ewig in seinen eige-
nen Eingeweiden wüthet; ein Caroussel, wo sich Katze
und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreise
herumjagen, ohne dabey eigentlich "vom Flecke zum
Zwecke" zu kommen. Wenn z. B. nach jener Ansicht
ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da
ist, um von der höheren gesressen zu werden, diese hö-

here
*) Esprit des choses kumaines.
3. Die Symbolik der Natur.

Von jenen Bildern und Geſtalten, deren ſich die
Sprache des Traumes, ſo wie die der Poeſie und der
hoͤheren prophetiſchen Region als Worte bedienon, fin-
den wir die Originale in der uns umgebenden Natur,
und dieſe erſcheint uns ſchon hierinnen als eine ver-
koͤrperte Traumwelt, eine prophetiſche Sprache in le-
bendigen Hieroglyphengeſtalten. Der unbekannte Phi-
loſoph *) ſcheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur
mit einer Somnambuͤle, einer Traumrednerin zu ver-
gleichen, welche uͤberall nach derſelben innern Noth-
wendigkeit, nach demſelben bewußtleſen und blinden
Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht-
wandlers hervorgehen, und deren Producte — in allen
ihren mannigfachen Geſchlechtern und Arten, den Bil-
dern unſerer Traͤume gleichen, die an ſich ſelber unwe-
ſentlich, erſt durch das was ſie bedeuten, was ſie
darſtellen, Sinn und Weſenheit erhalten.

In der That, die gemeine teleologiſche Anſicht
machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit
es nur eine Beſchaͤftigung habe, ewig in ſeinen eige-
nen Eingeweiden wuͤthet; ein Carouſſel, wo ſich Katze
und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreiſe
herumjagen, ohne dabey eigentlich „vom Flecke zum
Zwecke‟ zu kommen. Wenn z. B. nach jener Anſicht
ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da
iſt, um von der hoͤheren geſreſſen zu werden, dieſe hoͤ-

here
*) Esprit des choses kumaines.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0034" n="24"/>
      <div n="1">
        <head>3. Die Symbolik der Natur.</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>on jenen Bildern und Ge&#x017F;talten, deren &#x017F;ich die<lb/>
Sprache des Traumes, &#x017F;o wie die der Poe&#x017F;ie und der<lb/>
ho&#x0364;heren propheti&#x017F;chen Region als Worte bedienon, fin-<lb/>
den wir die Originale in der uns umgebenden Natur,<lb/>
und die&#x017F;e er&#x017F;cheint uns &#x017F;chon hierinnen als eine ver-<lb/>
ko&#x0364;rperte Traumwelt, eine propheti&#x017F;che Sprache in le-<lb/>
bendigen Hieroglyphenge&#x017F;talten. Der unbekannte Phi-<lb/>
lo&#x017F;oph <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Esprit des choses kumaines.</hi></note> &#x017F;cheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur<lb/>
mit einer Somnambu&#x0364;le, einer Traumrednerin zu ver-<lb/>
gleichen, welche u&#x0364;berall nach der&#x017F;elben innern Noth-<lb/>
wendigkeit, nach dem&#x017F;elben bewußtle&#x017F;en und blinden<lb/>
Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht-<lb/>
wandlers hervorgehen, und deren Producte &#x2014; in allen<lb/>
ihren mannigfachen Ge&#x017F;chlechtern und Arten, den Bil-<lb/>
dern un&#x017F;erer Tra&#x0364;ume gleichen, die an &#x017F;ich &#x017F;elber unwe-<lb/>
&#x017F;entlich, er&#x017F;t durch das was &#x017F;ie bedeuten, was &#x017F;ie<lb/>
dar&#x017F;tellen, Sinn und We&#x017F;enheit erhalten.</p><lb/>
        <p>In der That, die gemeine teleologi&#x017F;che An&#x017F;icht<lb/>
machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit<lb/>
es nur eine Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung habe, ewig in &#x017F;einen eige-<lb/>
nen Eingeweiden wu&#x0364;thet; ein Carou&#x017F;&#x017F;el, wo &#x017F;ich Katze<lb/>
und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Krei&#x017F;e<lb/>
herumjagen, ohne dabey eigentlich &#x201E;vom Flecke zum<lb/>
Zwecke&#x201F; zu kommen. Wenn z. B. nach jener An&#x017F;icht<lb/>
ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da<lb/>
i&#x017F;t, um von der ho&#x0364;heren ge&#x017F;re&#x017F;&#x017F;en zu werden, die&#x017F;e ho&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">here</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] 3. Die Symbolik der Natur. Von jenen Bildern und Geſtalten, deren ſich die Sprache des Traumes, ſo wie die der Poeſie und der hoͤheren prophetiſchen Region als Worte bedienon, fin- den wir die Originale in der uns umgebenden Natur, und dieſe erſcheint uns ſchon hierinnen als eine ver- koͤrperte Traumwelt, eine prophetiſche Sprache in le- bendigen Hieroglyphengeſtalten. Der unbekannte Phi- loſoph *) ſcheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur mit einer Somnambuͤle, einer Traumrednerin zu ver- gleichen, welche uͤberall nach derſelben innern Noth- wendigkeit, nach demſelben bewußtleſen und blinden Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht- wandlers hervorgehen, und deren Producte — in allen ihren mannigfachen Geſchlechtern und Arten, den Bil- dern unſerer Traͤume gleichen, die an ſich ſelber unwe- ſentlich, erſt durch das was ſie bedeuten, was ſie darſtellen, Sinn und Weſenheit erhalten. In der That, die gemeine teleologiſche Anſicht machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit es nur eine Beſchaͤftigung habe, ewig in ſeinen eige- nen Eingeweiden wuͤthet; ein Carouſſel, wo ſich Katze und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreiſe herumjagen, ohne dabey eigentlich „vom Flecke zum Zwecke‟ zu kommen. Wenn z. B. nach jener Anſicht ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da iſt, um von der hoͤheren geſreſſen zu werden, dieſe hoͤ- here *) Esprit des choses kumaines.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/34
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/34>, abgerufen am 23.04.2024.