Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

In der That pflegt keine Religion den Menschen
so ausschließend für ein neues höheres Daseyn zu bil-
den, als die christliche, nur sie enthält das Specificum,
was unserer Natur die verlorenen eigenthümlichen Kräfte
zurückgeben kann, während andere Wege einer gei-
stigen Erziehung die menschliche Natur noch in sich sel-
ber unentschieden in das Jenseits hinübertreten lassen,
wo der Kampf wohl schwerer seyn mag, als er hier
gewesen wäre. Nur durch jene siete und freywillige
Hingebung in einen höheren Willen, welche das Chri-
stenthum lehrt, wird jener in dem Haus der Materie
gefangene Mörder in uns wieder das was er gewesen:
liebendes Organ der höheren Liebe, und wir dürfen
dann die Banden die ihn hier noch fesselten, im To-
de mit Freuden sinken sehen. Und nicht selten lösen
sich diese Banden noch während des jetzigen Daseyns
auf, und der vorhin gebunden gewesene Engel (einst
ein Mörder) wirkt von neuem mit göttlicher Gewalt in
den ihn umgebenden Kreis hinaus, und zeigt uns,
was der Mensch einst in Beziehung auf die ihn um-
gebende höhere und niedere Welt war und wieder seyn
soll. Vergangenheit und Zukunft, Hohes und Nie-
driges, eröffnen sich dem wiedergereinigten der Seele
wiedergeschenkten Sinne von neuem, und die Seele
blickt über die gesunkene Scheidewand in eine höhere,
geistige Region hinüber.

Wir würden, wenn hier der Ort dazu schiene, selbst
aus der neuesten Zeit eine Menge Thatsachen aufstellen
können *), welche beweisen, was der Mensch, wenn

er
*) Ich will hier nur an einige jener merkwürdigen That-
sachen erinnern. 1) Beyspiele, wo zum Theil un-

In der That pflegt keine Religion den Menſchen
ſo ausſchließend fuͤr ein neues hoͤheres Daſeyn zu bil-
den, als die chriſtliche, nur ſie enthaͤlt das Specificum,
was unſerer Natur die verlorenen eigenthuͤmlichen Kraͤfte
zuruͤckgeben kann, waͤhrend andere Wege einer gei-
ſtigen Erziehung die menſchliche Natur noch in ſich ſel-
ber unentſchieden in das Jenſeits hinuͤbertreten laſſen,
wo der Kampf wohl ſchwerer ſeyn mag, als er hier
geweſen waͤre. Nur durch jene ſiete und freywillige
Hingebung in einen hoͤheren Willen, welche das Chri-
ſtenthum lehrt, wird jener in dem Haus der Materie
gefangene Moͤrder in uns wieder das was er geweſen:
liebendes Organ der hoͤheren Liebe, und wir duͤrfen
dann die Banden die ihn hier noch feſſelten, im To-
de mit Freuden ſinken ſehen. Und nicht ſelten loͤſen
ſich dieſe Banden noch waͤhrend des jetzigen Daſeyns
auf, und der vorhin gebunden geweſene Engel (einſt
ein Moͤrder) wirkt von neuem mit goͤttlicher Gewalt in
den ihn umgebenden Kreis hinaus, und zeigt uns,
was der Menſch einſt in Beziehung auf die ihn um-
gebende hoͤhere und niedere Welt war und wieder ſeyn
ſoll. Vergangenheit und Zukunft, Hohes und Nie-
driges, eroͤffnen ſich dem wiedergereinigten der Seele
wiedergeſchenkten Sinne von neuem, und die Seele
blickt uͤber die geſunkene Scheidewand in eine hoͤhere,
geiſtige Region hinuͤber.

Wir wuͤrden, wenn hier der Ort dazu ſchiene, ſelbſt
aus der neueſten Zeit eine Menge Thatſachen aufſtellen
koͤnnen *), welche beweiſen, was der Menſch, wenn

er
*) Ich will hier nur an einige jener merkwuͤrdigen That-
ſachen erinnern. 1) Beyſpiele, wo zum Theil un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0205" n="195"/>
        <p>In der That pflegt keine Religion den Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;o aus&#x017F;chließend fu&#x0364;r ein neues ho&#x0364;heres Da&#x017F;eyn zu bil-<lb/>
den, als die chri&#x017F;tliche, nur &#x017F;ie entha&#x0364;lt das Specificum,<lb/>
was un&#x017F;erer Natur die verlorenen eigenthu&#x0364;mlichen Kra&#x0364;fte<lb/>
zuru&#x0364;ckgeben kann, wa&#x0364;hrend andere Wege einer gei-<lb/>
&#x017F;tigen Erziehung die men&#x017F;chliche Natur noch in &#x017F;ich &#x017F;el-<lb/>
ber unent&#x017F;chieden in das Jen&#x017F;eits hinu&#x0364;bertreten la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wo der Kampf wohl &#x017F;chwerer &#x017F;eyn mag, als er hier<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Nur durch jene &#x017F;iete und freywillige<lb/>
Hingebung in einen ho&#x0364;heren Willen, welche das Chri-<lb/>
&#x017F;tenthum lehrt, wird jener in dem Haus der Materie<lb/>
gefangene Mo&#x0364;rder in uns wieder das was er gewe&#x017F;en:<lb/>
liebendes Organ der ho&#x0364;heren Liebe, und wir du&#x0364;rfen<lb/>
dann die Banden die ihn hier noch fe&#x017F;&#x017F;elten, im To-<lb/>
de mit Freuden &#x017F;inken &#x017F;ehen. Und nicht &#x017F;elten lo&#x0364;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e Banden noch wa&#x0364;hrend des jetzigen Da&#x017F;eyns<lb/>
auf, und der vorhin gebunden gewe&#x017F;ene Engel (ein&#x017F;t<lb/>
ein Mo&#x0364;rder) wirkt von neuem mit go&#x0364;ttlicher Gewalt in<lb/>
den ihn umgebenden Kreis hinaus, und zeigt uns,<lb/>
was der Men&#x017F;ch ein&#x017F;t in Beziehung auf die ihn um-<lb/>
gebende ho&#x0364;here und niedere Welt war und wieder &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll. Vergangenheit und Zukunft, Hohes und Nie-<lb/>
driges, ero&#x0364;ffnen &#x017F;ich dem wiedergereinigten der Seele<lb/>
wiederge&#x017F;chenkten Sinne von neuem, und die Seele<lb/>
blickt u&#x0364;ber die ge&#x017F;unkene Scheidewand in eine ho&#x0364;here,<lb/>
gei&#x017F;tige Region hinu&#x0364;ber.</p><lb/>
        <p>Wir wu&#x0364;rden, wenn hier der Ort dazu &#x017F;chiene, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aus der neue&#x017F;ten Zeit eine Menge That&#x017F;achen auf&#x017F;tellen<lb/>
ko&#x0364;nnen <note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="*)">Ich will hier nur an einige jener merkwu&#x0364;rdigen That-<lb/>
&#x017F;achen erinnern. 1) Bey&#x017F;piele, wo zum Theil un-</note>, welche bewei&#x017F;en, was der Men&#x017F;ch, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0205] In der That pflegt keine Religion den Menſchen ſo ausſchließend fuͤr ein neues hoͤheres Daſeyn zu bil- den, als die chriſtliche, nur ſie enthaͤlt das Specificum, was unſerer Natur die verlorenen eigenthuͤmlichen Kraͤfte zuruͤckgeben kann, waͤhrend andere Wege einer gei- ſtigen Erziehung die menſchliche Natur noch in ſich ſel- ber unentſchieden in das Jenſeits hinuͤbertreten laſſen, wo der Kampf wohl ſchwerer ſeyn mag, als er hier geweſen waͤre. Nur durch jene ſiete und freywillige Hingebung in einen hoͤheren Willen, welche das Chri- ſtenthum lehrt, wird jener in dem Haus der Materie gefangene Moͤrder in uns wieder das was er geweſen: liebendes Organ der hoͤheren Liebe, und wir duͤrfen dann die Banden die ihn hier noch feſſelten, im To- de mit Freuden ſinken ſehen. Und nicht ſelten loͤſen ſich dieſe Banden noch waͤhrend des jetzigen Daſeyns auf, und der vorhin gebunden geweſene Engel (einſt ein Moͤrder) wirkt von neuem mit goͤttlicher Gewalt in den ihn umgebenden Kreis hinaus, und zeigt uns, was der Menſch einſt in Beziehung auf die ihn um- gebende hoͤhere und niedere Welt war und wieder ſeyn ſoll. Vergangenheit und Zukunft, Hohes und Nie- driges, eroͤffnen ſich dem wiedergereinigten der Seele wiedergeſchenkten Sinne von neuem, und die Seele blickt uͤber die geſunkene Scheidewand in eine hoͤhere, geiſtige Region hinuͤber. Wir wuͤrden, wenn hier der Ort dazu ſchiene, ſelbſt aus der neueſten Zeit eine Menge Thatſachen aufſtellen koͤnnen *), welche beweiſen, was der Menſch, wenn er *) Ich will hier nur an einige jener merkwuͤrdigen That- ſachen erinnern. 1) Beyſpiele, wo zum Theil un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/205
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/205>, abgerufen am 30.04.2024.