Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.lich durch gänzliche Selbstverläugnung. Durch ihn In
lich durch gaͤnzliche Selbſtverlaͤugnung. Durch ihn In
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0204" n="194"/> lich durch gaͤnzliche Selbſtverlaͤugnung. Durch ihn<lb/> unterſcheidet ſich das Chriſtenthum weſentlich von al-<lb/> len, noch ſo trefflich ſcheinenden Moralſyſtemen oder<lb/> Religionen. In ihnen wird allerdings der Menſch im<lb/> beſſeren Falle darauf hingefuͤhrt, der hoͤheren Liebe<lb/> Einiges aufzuopfern, aber nicht Alles, nicht ſein Selbſt.<lb/> Und hier gilt es nichts Halb oder Theilweiſe, ſondern<lb/> Alles zu geben oder zu thun, wenn nicht die Wurzel<lb/> des argen Gewaͤchſes noch immer im Innern zuruͤck bleiben<lb/> ſoll. Man pflegt allerdings von einem Wege geiſtiger<lb/> und moraliſcher Vollendung zu reden, der außer und<lb/> ohne das Chriſtenthum, ja ohne alle Religion moͤglich<lb/> ſeyn ſoll. „Mein Freund! ich wuͤnſche mir die <hi rendition="#g">ent-<lb/> ferntere</hi> Bekanntſchaft ſolcher Vortrefflichen; ich<lb/> werde ſie nicht loben, bis ich uͤber den fuͤnften Act<lb/> hinuͤber blicken kann. Ja wenn der Moͤrder, der ge-<lb/> bundene Moͤrder nicht waͤre! Der gute Seneca hat an<lb/> der Natur des Nero ein Hofmeiſterexperiment gemacht,<lb/> dem ich zur Ehre der guten Moral ein beſſeres Gelingen<lb/> gewuͤnſcht haͤtte. Und mein Freund! wer weiß was<lb/> ich und du an der Stelle des Nero geworden waͤren.<lb/> Was wurde noch in neuerer Zeit ein ſehr kultivirtes<lb/> harmlos ſcheinendes Volk, als die Revolution auf ein-<lb/> mal alle die aͤußeren Schranken abbrach, welche den<lb/> wilden Drang der Leidenſchaften gewoͤhnlich zuruͤckhal-<lb/> ten. In der That, mein Freund! um deine Vortreff-<lb/> lichen ohne Religion moͤchte ich nicht ſeyn, wenn auf<lb/> einmal dieſe Schranken fielen, und vor allem die <hi rendition="#g">letz-<lb/> te</hi>, jene Blume unter der ſich die Schlange bewegt,<lb/> die Decke uͤber dem Abgrund!</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">In</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [194/0204]
lich durch gaͤnzliche Selbſtverlaͤugnung. Durch ihn
unterſcheidet ſich das Chriſtenthum weſentlich von al-
len, noch ſo trefflich ſcheinenden Moralſyſtemen oder
Religionen. In ihnen wird allerdings der Menſch im
beſſeren Falle darauf hingefuͤhrt, der hoͤheren Liebe
Einiges aufzuopfern, aber nicht Alles, nicht ſein Selbſt.
Und hier gilt es nichts Halb oder Theilweiſe, ſondern
Alles zu geben oder zu thun, wenn nicht die Wurzel
des argen Gewaͤchſes noch immer im Innern zuruͤck bleiben
ſoll. Man pflegt allerdings von einem Wege geiſtiger
und moraliſcher Vollendung zu reden, der außer und
ohne das Chriſtenthum, ja ohne alle Religion moͤglich
ſeyn ſoll. „Mein Freund! ich wuͤnſche mir die ent-
ferntere Bekanntſchaft ſolcher Vortrefflichen; ich
werde ſie nicht loben, bis ich uͤber den fuͤnften Act
hinuͤber blicken kann. Ja wenn der Moͤrder, der ge-
bundene Moͤrder nicht waͤre! Der gute Seneca hat an
der Natur des Nero ein Hofmeiſterexperiment gemacht,
dem ich zur Ehre der guten Moral ein beſſeres Gelingen
gewuͤnſcht haͤtte. Und mein Freund! wer weiß was
ich und du an der Stelle des Nero geworden waͤren.
Was wurde noch in neuerer Zeit ein ſehr kultivirtes
harmlos ſcheinendes Volk, als die Revolution auf ein-
mal alle die aͤußeren Schranken abbrach, welche den
wilden Drang der Leidenſchaften gewoͤhnlich zuruͤckhal-
ten. In der That, mein Freund! um deine Vortreff-
lichen ohne Religion moͤchte ich nicht ſeyn, wenn auf
einmal dieſe Schranken fielen, und vor allem die letz-
te, jene Blume unter der ſich die Schlange bewegt,
die Decke uͤber dem Abgrund!
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