Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

mir aber alsdann Gott in mein Inneres eine gewisse
göttliche Kraft oder Tugend, welche jenem Laster gera-
de entgegengesetzt ist, wodurch ich von der Versuchung
erlöst werde. Diese göttliche Kraft oder Tugend ist so groß,
daß wenn ich auch sonst keinen Glauben an Gott hätte, so
müßte ich ihn hierdurch bekommen. Jene Kraft nun bleibt
immer, die Versuchung nimmt ab. Ja jene Tugend
hält mich nicht allein fest, daß ich nicht in die Sün-
de zu fallen vermag, sondern sie hat eine solche Ge-
walt, daß sie mich gründlich und ganz tugendhaft ma-
chet und ich erkenne, daß Gott in ihr gegenwärtig sey.
Durch sie werde ich so erleuchtet und befestiget, daß
alle Güter und Leiden dieser Welt mich nicht zu der
mindesten Sünde bewegen würden, denn durch jene
Kraft behalte ich einen gewissen Glauben an Gott. Je-
nes Laster aber ist so abscheulich, daß ichs auch nicht
nennen darf, und so heftig, daß wenn die erwähnte
göttliche Kraft nicht in und mit mir wäre, nichts in
der ganzen Welt, weder Scham noch Schmerz mich
würde abhalten können in jene Sünde zu verfallen."
Und jene innern Leiden scheinen -- nur bey Elnigen
mehr, bey Andern minder heftig, überall nothwendige
Begleiter der neuen Geburt. Nur bey einigen from-
men Kindern, und bey solchen ganz kindlichen Seelen,
wie die Margarethe von Beaune gewesen, welche ganz
in die Betrachtung der Kindheit Jesu versunken und
in diese Kindheit verwandelt war, soll die Führung
fast durchaus mild und ohne jene Schmerzen gewesen
seyn. Aber wir sehen allezeit ein sich selber treu blei-
bendes, wachsames Gemüth, aus jenen Versuchungen
nur stärker und gebesserter hervorgehen, und den Keim
des neuen Menschen, wie die Blume im Frühling

un-

mir aber alsdann Gott in mein Inneres eine gewiſſe
goͤttliche Kraft oder Tugend, welche jenem Laſter gera-
de entgegengeſetzt iſt, wodurch ich von der Verſuchung
erloͤst werde. Dieſe goͤttliche Kraft oder Tugend iſt ſo groß,
daß wenn ich auch ſonſt keinen Glauben an Gott haͤtte, ſo
muͤßte ich ihn hierdurch bekommen. Jene Kraft nun bleibt
immer, die Verſuchung nimmt ab. Ja jene Tugend
haͤlt mich nicht allein feſt, daß ich nicht in die Suͤn-
de zu fallen vermag, ſondern ſie hat eine ſolche Ge-
walt, daß ſie mich gruͤndlich und ganz tugendhaft ma-
chet und ich erkenne, daß Gott in ihr gegenwaͤrtig ſey.
Durch ſie werde ich ſo erleuchtet und befeſtiget, daß
alle Guͤter und Leiden dieſer Welt mich nicht zu der
mindeſten Suͤnde bewegen wuͤrden, denn durch jene
Kraft behalte ich einen gewiſſen Glauben an Gott. Je-
nes Laſter aber iſt ſo abſcheulich, daß ichs auch nicht
nennen darf, und ſo heftig, daß wenn die erwaͤhnte
goͤttliche Kraft nicht in und mit mir waͤre, nichts in
der ganzen Welt, weder Scham noch Schmerz mich
wuͤrde abhalten koͤnnen in jene Suͤnde zu verfallen.‟
Und jene innern Leiden ſcheinen — nur bey Elnigen
mehr, bey Andern minder heftig, uͤberall nothwendige
Begleiter der neuen Geburt. Nur bey einigen from-
men Kindern, und bey ſolchen ganz kindlichen Seelen,
wie die Margarethe von Beaune geweſen, welche ganz
in die Betrachtung der Kindheit Jeſu verſunken und
in dieſe Kindheit verwandelt war, ſoll die Fuͤhrung
faſt durchaus mild und ohne jene Schmerzen geweſen
ſeyn. Aber wir ſehen allezeit ein ſich ſelber treu blei-
bendes, wachſames Gemuͤth, aus jenen Verſuchungen
nur ſtaͤrker und gebeſſerter hervorgehen, und den Keim
des neuen Menſchen, wie die Blume im Fruͤhling

un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="185"/>
mir aber alsdann Gott in mein Inneres eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
go&#x0364;ttliche Kraft oder Tugend, welche jenem La&#x017F;ter gera-<lb/>
de entgegenge&#x017F;etzt i&#x017F;t, wodurch ich von der Ver&#x017F;uchung<lb/>
erlo&#x0364;st werde. Die&#x017F;e go&#x0364;ttliche Kraft oder Tugend i&#x017F;t &#x017F;o groß,<lb/>
daß wenn ich auch &#x017F;on&#x017F;t keinen Glauben an Gott ha&#x0364;tte, &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;ßte ich ihn hierdurch bekommen. Jene Kraft nun bleibt<lb/>
immer, die Ver&#x017F;uchung nimmt ab. Ja jene Tugend<lb/>
ha&#x0364;lt mich nicht allein fe&#x017F;t, daß ich nicht in die Su&#x0364;n-<lb/>
de zu fallen vermag, &#x017F;ondern &#x017F;ie hat eine &#x017F;olche Ge-<lb/>
walt, daß &#x017F;ie mich gru&#x0364;ndlich und ganz tugendhaft ma-<lb/>
chet und ich erkenne, daß Gott in ihr gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;ey.<lb/>
Durch &#x017F;ie werde ich &#x017F;o erleuchtet und befe&#x017F;tiget, daß<lb/>
alle Gu&#x0364;ter und Leiden die&#x017F;er Welt mich nicht zu der<lb/>
minde&#x017F;ten Su&#x0364;nde bewegen wu&#x0364;rden, denn durch jene<lb/>
Kraft behalte ich einen gewi&#x017F;&#x017F;en Glauben an Gott. Je-<lb/>
nes La&#x017F;ter aber i&#x017F;t &#x017F;o ab&#x017F;cheulich, daß ichs auch nicht<lb/>
nennen darf, und &#x017F;o heftig, daß wenn die erwa&#x0364;hnte<lb/>
go&#x0364;ttliche Kraft nicht in und mit mir wa&#x0364;re, nichts in<lb/>
der ganzen Welt, weder Scham noch Schmerz mich<lb/>
wu&#x0364;rde abhalten ko&#x0364;nnen in jene Su&#x0364;nde zu verfallen.&#x201F;<lb/>
Und jene innern Leiden &#x017F;cheinen &#x2014; nur bey Elnigen<lb/>
mehr, bey Andern minder heftig, u&#x0364;berall nothwendige<lb/>
Begleiter der neuen Geburt. Nur bey einigen from-<lb/>
men Kindern, und bey &#x017F;olchen ganz kindlichen Seelen,<lb/>
wie die Margarethe von Beaune gewe&#x017F;en, welche ganz<lb/>
in die Betrachtung der Kindheit Je&#x017F;u ver&#x017F;unken und<lb/>
in die&#x017F;e Kindheit verwandelt war, &#x017F;oll die Fu&#x0364;hrung<lb/>
fa&#x017F;t durchaus mild und ohne jene Schmerzen gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eyn. Aber wir &#x017F;ehen allezeit ein &#x017F;ich &#x017F;elber treu blei-<lb/>
bendes, wach&#x017F;ames Gemu&#x0364;th, aus jenen Ver&#x017F;uchungen<lb/>
nur &#x017F;ta&#x0364;rker und gebe&#x017F;&#x017F;erter hervorgehen, und den Keim<lb/>
des neuen Men&#x017F;chen, wie die Blume im Fru&#x0364;hling<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0195] mir aber alsdann Gott in mein Inneres eine gewiſſe goͤttliche Kraft oder Tugend, welche jenem Laſter gera- de entgegengeſetzt iſt, wodurch ich von der Verſuchung erloͤst werde. Dieſe goͤttliche Kraft oder Tugend iſt ſo groß, daß wenn ich auch ſonſt keinen Glauben an Gott haͤtte, ſo muͤßte ich ihn hierdurch bekommen. Jene Kraft nun bleibt immer, die Verſuchung nimmt ab. Ja jene Tugend haͤlt mich nicht allein feſt, daß ich nicht in die Suͤn- de zu fallen vermag, ſondern ſie hat eine ſolche Ge- walt, daß ſie mich gruͤndlich und ganz tugendhaft ma- chet und ich erkenne, daß Gott in ihr gegenwaͤrtig ſey. Durch ſie werde ich ſo erleuchtet und befeſtiget, daß alle Guͤter und Leiden dieſer Welt mich nicht zu der mindeſten Suͤnde bewegen wuͤrden, denn durch jene Kraft behalte ich einen gewiſſen Glauben an Gott. Je- nes Laſter aber iſt ſo abſcheulich, daß ichs auch nicht nennen darf, und ſo heftig, daß wenn die erwaͤhnte goͤttliche Kraft nicht in und mit mir waͤre, nichts in der ganzen Welt, weder Scham noch Schmerz mich wuͤrde abhalten koͤnnen in jene Suͤnde zu verfallen.‟ Und jene innern Leiden ſcheinen — nur bey Elnigen mehr, bey Andern minder heftig, uͤberall nothwendige Begleiter der neuen Geburt. Nur bey einigen from- men Kindern, und bey ſolchen ganz kindlichen Seelen, wie die Margarethe von Beaune geweſen, welche ganz in die Betrachtung der Kindheit Jeſu verſunken und in dieſe Kindheit verwandelt war, ſoll die Fuͤhrung faſt durchaus mild und ohne jene Schmerzen geweſen ſeyn. Aber wir ſehen allezeit ein ſich ſelber treu blei- bendes, wachſames Gemuͤth, aus jenen Verſuchungen nur ſtaͤrker und gebeſſerter hervorgehen, und den Keim des neuen Menſchen, wie die Blume im Fruͤhling un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/195
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/195>, abgerufen am 30.04.2024.