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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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griffen wird, der auch seinerseits sich ihrer allmählig
ganz bemächtigt, und sie in seine eigene Natur ver-
wandelt.

Schon die gemeinere sinnliche Liebe, beginnt gewöhn-
lich mit dem Gefühl eines innigen Entzückens, das
das Herz unwiderstehlich in ihren magischen Kreis
hineinzieht. Auch jene höhere Liebe beginnt meist mit
einem noch nie gefühlten Entzücken, dessen Veranlas-
sung öfters ganz dunkel ist. So wurde ein lebhafter,
sinnlich fröhlicher Jüngling *), als er einst mit gleich-
gesinnten Gefährten, jugendlich munter im Freyen gieng,
plötzlich von jenem Entzücken einer himmlischen Liebe
ergriffen, so daß er wie angewurzelt stehen blieb, den
Spott seiner Begleiter nicht mehr vernahm, und von
nun an Kraft erhielt, selner Liebe ganz zu leben, ihr
Alles -- Vermögen, Stand, Freunde aufzuopfern,
um ihretwillen Hunger und Blöße und Mißhandlun-
gen zu erdulden. --

Einen Andern ergreift jenes Entzücken plötzlich
beym Lesen und hierauf im Gebet **). Jemand wurde
bey dem Anblick eines blätterlosen Baumes, in seinem
achtzehnten Jahre von einer so tiefen Erleuchtung er-
füllt, daß er von nun an sein ganzes Leben ver-
änderte und daß diese Gesinnung bis ans Ende seines

Le-
*) Leben des Franziskus von Assis.
**) Theodor a Brakel, in der Historie der Wider-
gebornen, Band III. S. 30.

griffen wird, der auch ſeinerſeits ſich ihrer allmaͤhlig
ganz bemaͤchtigt, und ſie in ſeine eigene Natur ver-
wandelt.

Schon die gemeinere ſinnliche Liebe, beginnt gewoͤhn-
lich mit dem Gefuͤhl eines innigen Entzuͤckens, das
das Herz unwiderſtehlich in ihren magiſchen Kreis
hineinzieht. Auch jene hoͤhere Liebe beginnt meiſt mit
einem noch nie gefuͤhlten Entzuͤcken, deſſen Veranlaſ-
ſung oͤfters ganz dunkel iſt. So wurde ein lebhafter,
ſinnlich froͤhlicher Juͤngling *), als er einſt mit gleich-
geſinnten Gefaͤhrten, jugendlich munter im Freyen gieng,
ploͤtzlich von jenem Entzuͤcken einer himmliſchen Liebe
ergriffen, ſo daß er wie angewurzelt ſtehen blieb, den
Spott ſeiner Begleiter nicht mehr vernahm, und von
nun an Kraft erhielt, ſelner Liebe ganz zu leben, ihr
Alles — Vermoͤgen, Stand, Freunde aufzuopfern,
um ihretwillen Hunger und Bloͤße und Mißhandlun-
gen zu erdulden. —

Einen Andern ergreift jenes Entzuͤcken ploͤtzlich
beym Leſen und hierauf im Gebet **). Jemand wurde
bey dem Anblick eines blaͤtterloſen Baumes, in ſeinem
achtzehnten Jahre von einer ſo tiefen Erleuchtung er-
fuͤllt, daß er von nun an ſein ganzes Leben ver-
aͤnderte und daß dieſe Geſinnung bis ans Ende ſeines

Le-
*) Leben des Franziskus von Aſſis.
**) Theodor à Brakel, in der Hiſtorie der Wider-
gebornen, Band III. S. 30.
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[176/0186] griffen wird, der auch ſeinerſeits ſich ihrer allmaͤhlig ganz bemaͤchtigt, und ſie in ſeine eigene Natur ver- wandelt. Schon die gemeinere ſinnliche Liebe, beginnt gewoͤhn- lich mit dem Gefuͤhl eines innigen Entzuͤckens, das das Herz unwiderſtehlich in ihren magiſchen Kreis hineinzieht. Auch jene hoͤhere Liebe beginnt meiſt mit einem noch nie gefuͤhlten Entzuͤcken, deſſen Veranlaſ- ſung oͤfters ganz dunkel iſt. So wurde ein lebhafter, ſinnlich froͤhlicher Juͤngling *), als er einſt mit gleich- geſinnten Gefaͤhrten, jugendlich munter im Freyen gieng, ploͤtzlich von jenem Entzuͤcken einer himmliſchen Liebe ergriffen, ſo daß er wie angewurzelt ſtehen blieb, den Spott ſeiner Begleiter nicht mehr vernahm, und von nun an Kraft erhielt, ſelner Liebe ganz zu leben, ihr Alles — Vermoͤgen, Stand, Freunde aufzuopfern, um ihretwillen Hunger und Bloͤße und Mißhandlun- gen zu erdulden. — Einen Andern ergreift jenes Entzuͤcken ploͤtzlich beym Leſen und hierauf im Gebet **). Jemand wurde bey dem Anblick eines blaͤtterloſen Baumes, in ſeinem achtzehnten Jahre von einer ſo tiefen Erleuchtung er- fuͤllt, daß er von nun an ſein ganzes Leben ver- aͤnderte und daß dieſe Geſinnung bis ans Ende ſeines Le- *) Leben des Franziskus von Aſſis. **) Theodor à Brakel, in der Hiſtorie der Wider- gebornen, Band III. S. 30.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/186>, abgerufen am 30.04.2024.