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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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innerhalb welchem sich noch jetzt die höchsten Wun-
der unserer Natur entsalten. Wir wollen ihn mit
einem andern, mit seinem eigentlichen Namen nen-
nen: jener gefallene, in die Materie befangene Phos-
phorus
unsers Wesens, ist nichts anders als die Fä-
higkeit
desselben zu lieben. Nur der Liebe in uns
offenbart sich die höhere geistige Region, nur die Lie-
be vermag, wenn sie sich von dem ihrer unwürdigen
Gegenstand zu einem höheren und würdigeren erhebt,
das zu erkennen, was über den engen Kreis des jetzi-
gen Daseyns hinausliegt. Und unsre Liebe allein,
und das was sie in ihrem bald weiteren, bald enge-
ren Kreis aufgenommen, geht mit uns hinüber.

Die Sprache der ewigen, göttlichen Liebe, mit
der liebenden Fähigkeit im Menschen, war nach dem
Vorhergehenden das als äußere Natur geoffenbarte
Wort. Und dieses Wort, in der Bilder- und Ge-
fühlssprache (des Traumes, der Begeisterung) prophe-
tischer Weihe, ist noch jetzt die Sprache der höheren
Liebe mit unserer liebenden Seele, die eine ganze
Welt von lebendigen Gestalten und Gefühlen zum
Ausdruck ihres Sehnens erwachet.

Aber die liebende Fähigkeit im Menschen hat
sich von ihrem ursprünglichen Gegenstand entfernt, und
ihr unvergängliches Sehnen auf einen vergänglichen
Vorwurf gerichtet. Wie der natürliche Schlaf, ein
Bild des Todes, dadurch entsteht, daß die in mate-
rieller Bildung befangene Ganglienthätigkeit (der schla-
fende Phosphorus) diese ihr eigenthümliche Befan-
genheit und Lähmung periodisch auf das Cerebralsy-

stem

innerhalb welchem ſich noch jetzt die hoͤchſten Wun-
der unſerer Natur entſalten. Wir wollen ihn mit
einem andern, mit ſeinem eigentlichen Namen nen-
nen: jener gefallene, in die Materie befangene Phos-
phorus
unſers Weſens, iſt nichts anders als die Faͤ-
higkeit
deſſelben zu lieben. Nur der Liebe in uns
offenbart ſich die hoͤhere geiſtige Region, nur die Lie-
be vermag, wenn ſie ſich von dem ihrer unwuͤrdigen
Gegenſtand zu einem hoͤheren und wuͤrdigeren erhebt,
das zu erkennen, was uͤber den engen Kreis des jetzi-
gen Daſeyns hinausliegt. Und unſre Liebe allein,
und das was ſie in ihrem bald weiteren, bald enge-
ren Kreis aufgenommen, geht mit uns hinuͤber.

Die Sprache der ewigen, goͤttlichen Liebe, mit
der liebenden Faͤhigkeit im Menſchen, war nach dem
Vorhergehenden das als aͤußere Natur geoffenbarte
Wort. Und dieſes Wort, in der Bilder- und Ge-
fuͤhlsſprache (des Traumes, der Begeiſterung) prophe-
tiſcher Weihe, iſt noch jetzt die Sprache der hoͤheren
Liebe mit unſerer liebenden Seele, die eine ganze
Welt von lebendigen Geſtalten und Gefuͤhlen zum
Ausdruck ihres Sehnens erwachet.

Aber die liebende Faͤhigkeit im Menſchen hat
ſich von ihrem urſpruͤnglichen Gegenſtand entfernt, und
ihr unvergaͤngliches Sehnen auf einen vergaͤnglichen
Vorwurf gerichtet. Wie der natuͤrliche Schlaf, ein
Bild des Todes, dadurch entſteht, daß die in mate-
rieller Bildung befangene Ganglienthaͤtigkeit (der ſchla-
fende Phosphorus) dieſe ihr eigenthuͤmliche Befan-
genheit und Laͤhmung periodiſch auf das Cerebralſy-

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[157/0167] innerhalb welchem ſich noch jetzt die hoͤchſten Wun- der unſerer Natur entſalten. Wir wollen ihn mit einem andern, mit ſeinem eigentlichen Namen nen- nen: jener gefallene, in die Materie befangene Phos- phorus unſers Weſens, iſt nichts anders als die Faͤ- higkeit deſſelben zu lieben. Nur der Liebe in uns offenbart ſich die hoͤhere geiſtige Region, nur die Lie- be vermag, wenn ſie ſich von dem ihrer unwuͤrdigen Gegenſtand zu einem hoͤheren und wuͤrdigeren erhebt, das zu erkennen, was uͤber den engen Kreis des jetzi- gen Daſeyns hinausliegt. Und unſre Liebe allein, und das was ſie in ihrem bald weiteren, bald enge- ren Kreis aufgenommen, geht mit uns hinuͤber. Die Sprache der ewigen, goͤttlichen Liebe, mit der liebenden Faͤhigkeit im Menſchen, war nach dem Vorhergehenden das als aͤußere Natur geoffenbarte Wort. Und dieſes Wort, in der Bilder- und Ge- fuͤhlsſprache (des Traumes, der Begeiſterung) prophe- tiſcher Weihe, iſt noch jetzt die Sprache der hoͤheren Liebe mit unſerer liebenden Seele, die eine ganze Welt von lebendigen Geſtalten und Gefuͤhlen zum Ausdruck ihres Sehnens erwachet. Aber die liebende Faͤhigkeit im Menſchen hat ſich von ihrem urſpruͤnglichen Gegenſtand entfernt, und ihr unvergaͤngliches Sehnen auf einen vergaͤnglichen Vorwurf gerichtet. Wie der natuͤrliche Schlaf, ein Bild des Todes, dadurch entſteht, daß die in mate- rieller Bildung befangene Ganglienthaͤtigkeit (der ſchla- fende Phosphorus) dieſe ihr eigenthuͤmliche Befan- genheit und Laͤhmung periodiſch auf das Cerebralſy- ſtem

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/167>, abgerufen am 30.04.2024.