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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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wahrgenommen. Vier Wochen vor ihrem Tode er-
wachte sie endlich aus ihrem zwanzigjährigen schwe-
ren Traume. Aber die sie vor ihrem Wahnsinne ge-
kannt hatten, kannten sie jetzt, in dem Zustande dieser
letzten Verwandlung kaum wieder, so veredelt, erweitert
und erhöhet waren alle Kräfte und Empfindungen ihrer
geistigen Natur, so veredelt ihr Ausdruck. Sie sprach
in dieser Zeit Dinge mit einer Klarheit und inneren
Helle aus, welche der Mensch in seinem jetzigen Zu-
stande nur selten oberflächlich erkennen lernt. Ihre
Geschichte erregte Aufsehen: Gelehrte und Ungelehrte,
Gebildete und minder Gebildete drängten sich an je-
nes merkwürdige Krankenbette, und Alle mußten ein-
gestehen, daß, wenn auch die Kranke während der
ganzen Zeit ihres Wahnsinnes den Umgang und die
Belehrung der gelehrtesten und erleuchtetsten Männer
ihrer Zeit genossen hätte, ihr Geist doch nicht gebil-
deter, ihre Erkenntnisse doch nicht umfangsreicher und
höher hätten seyn können, als jetzt, wo sie aus einer
so langen, tiefen Gefangenschaft aller Kräfte zu er-
wachen schien. *) So sind denn jene Führungen
unseres Geistes durch die kindische Beschränktheit des
hohen Alters, oder selbst durch noch dunklere, trübere
Zustände, nicht das was sie dem Materialismus schei-
nen, und das ewige Eigenthum unsers Geistes kann
uns durch nichts entwendet werden.

Aber wo verbirgt sich denn jene dem Anscheine
nach verloren gegangene Erkenntniß, wo verbirgt sich

die
*) Basler Sammlungen, Jahrgang 1786. Pag. 116.

wahrgenommen. Vier Wochen vor ihrem Tode er-
wachte ſie endlich aus ihrem zwanzigjaͤhrigen ſchwe-
ren Traume. Aber die ſie vor ihrem Wahnſinne ge-
kannt hatten, kannten ſie jetzt, in dem Zuſtande dieſer
letzten Verwandlung kaum wieder, ſo veredelt, erweitert
und erhoͤhet waren alle Kraͤfte und Empfindungen ihrer
geiſtigen Natur, ſo veredelt ihr Ausdruck. Sie ſprach
in dieſer Zeit Dinge mit einer Klarheit und inneren
Helle aus, welche der Menſch in ſeinem jetzigen Zu-
ſtande nur ſelten oberflaͤchlich erkennen lernt. Ihre
Geſchichte erregte Aufſehen: Gelehrte und Ungelehrte,
Gebildete und minder Gebildete draͤngten ſich an je-
nes merkwuͤrdige Krankenbette, und Alle mußten ein-
geſtehen, daß, wenn auch die Kranke waͤhrend der
ganzen Zeit ihres Wahnſinnes den Umgang und die
Belehrung der gelehrteſten und erleuchtetſten Maͤnner
ihrer Zeit genoſſen haͤtte, ihr Geiſt doch nicht gebil-
deter, ihre Erkenntniſſe doch nicht umfangsreicher und
hoͤher haͤtten ſeyn koͤnnen, als jetzt, wo ſie aus einer
ſo langen, tiefen Gefangenſchaft aller Kraͤfte zu er-
wachen ſchien. *) So ſind denn jene Fuͤhrungen
unſeres Geiſtes durch die kindiſche Beſchraͤnktheit des
hohen Alters, oder ſelbſt durch noch dunklere, truͤbere
Zuſtaͤnde, nicht das was ſie dem Materialismus ſchei-
nen, und das ewige Eigenthum unſers Geiſtes kann
uns durch nichts entwendet werden.

Aber wo verbirgt ſich denn jene dem Anſcheine
nach verloren gegangene Erkenntniß, wo verbirgt ſich

die
*) Basler Sammlungen, Jahrgang 1786. Pag. 116.
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[146/0156] wahrgenommen. Vier Wochen vor ihrem Tode er- wachte ſie endlich aus ihrem zwanzigjaͤhrigen ſchwe- ren Traume. Aber die ſie vor ihrem Wahnſinne ge- kannt hatten, kannten ſie jetzt, in dem Zuſtande dieſer letzten Verwandlung kaum wieder, ſo veredelt, erweitert und erhoͤhet waren alle Kraͤfte und Empfindungen ihrer geiſtigen Natur, ſo veredelt ihr Ausdruck. Sie ſprach in dieſer Zeit Dinge mit einer Klarheit und inneren Helle aus, welche der Menſch in ſeinem jetzigen Zu- ſtande nur ſelten oberflaͤchlich erkennen lernt. Ihre Geſchichte erregte Aufſehen: Gelehrte und Ungelehrte, Gebildete und minder Gebildete draͤngten ſich an je- nes merkwuͤrdige Krankenbette, und Alle mußten ein- geſtehen, daß, wenn auch die Kranke waͤhrend der ganzen Zeit ihres Wahnſinnes den Umgang und die Belehrung der gelehrteſten und erleuchtetſten Maͤnner ihrer Zeit genoſſen haͤtte, ihr Geiſt doch nicht gebil- deter, ihre Erkenntniſſe doch nicht umfangsreicher und hoͤher haͤtten ſeyn koͤnnen, als jetzt, wo ſie aus einer ſo langen, tiefen Gefangenſchaft aller Kraͤfte zu er- wachen ſchien. *) So ſind denn jene Fuͤhrungen unſeres Geiſtes durch die kindiſche Beſchraͤnktheit des hohen Alters, oder ſelbſt durch noch dunklere, truͤbere Zuſtaͤnde, nicht das was ſie dem Materialismus ſchei- nen, und das ewige Eigenthum unſers Geiſtes kann uns durch nichts entwendet werden. Aber wo verbirgt ſich denn jene dem Anſcheine nach verloren gegangene Erkenntniß, wo verbirgt ſich die *) Basler Sammlungen, Jahrgang 1786. Pag. 116.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/156>, abgerufen am 23.11.2024.