me. Dieser gelingt es deshalb, sobald sie ihre Traum- bildersprache redet, Combinationen in derselben zu machen, auf die wir im Wachen freilich nicht kämen; sie knüpft das Morgen geschickt ans Gestern, das Schicksal ganzer künftiger Jahre an die Vergangen- heit an, und die Rechnung trifft ein; der Erfolg zeigt, daß sie uns das was künftig, oft ganz richtig vor- hersagt. Eine Art zu rechnen und zu kombiniren, die ich und du nicht verstehen; eine höhere Art von Al- gebra, noch kürzer und beguemer als die unsrige, die aber nur der versteckte Poet in unserm Innern zu handhaben weiß.
Merkwürdig ist es immer, daß jene Sprache nicht bey jedem Menschen eine verschiedene, gleichsam nach der Willkühr einer jeden Individualität selbster- schaffene ist; sondern daß sie bey allen Menschen so ziemlich als dieselbe, höchstens dem Dialect nach et- was verschieden erscheint. Könnten wir im Tempel des Amphiaraus im Traume mit einander reden, so würde der americanische Wilde und der Neuseelän- der meine Traumbildersprache verstehen, und ich die ihrige. Freilich hat auch hier die Sprache des Einen ungleich mehr Wortreichthum, Umfang und Bildung, als die des andern, Plato redet griechisch, und der Matrose außen im Piräo auch, dennoch wird der Um- fang dieses Griechischen bey beyden ziemlich verschieden seyn; die gebildete Hofdame und die Bäuerin sprechen beide, und zwar in einer und der nämlichen Sprache, von denselben Naturgegenständen und Bedürfnissen des täglichen Lebens, und doch hat jene dafür ganz andre Worte als diese. Oder auch, in einer Sprache die so unendlich
reich
me. Dieſer gelingt es deshalb, ſobald ſie ihre Traum- bilderſprache redet, Combinationen in derſelben zu machen, auf die wir im Wachen freilich nicht kaͤmen; ſie knuͤpft das Morgen geſchickt ans Geſtern, das Schickſal ganzer kuͤnftiger Jahre an die Vergangen- heit an, und die Rechnung trifft ein; der Erfolg zeigt, daß ſie uns das was kuͤnftig, oft ganz richtig vor- herſagt. Eine Art zu rechnen und zu kombiniren, die ich und du nicht verſtehen; eine hoͤhere Art von Al- gebra, noch kuͤrzer und beguemer als die unſrige, die aber nur der verſteckte Poet in unſerm Innern zu handhaben weiß.
Merkwuͤrdig iſt es immer, daß jene Sprache nicht bey jedem Menſchen eine verſchiedene, gleichſam nach der Willkuͤhr einer jeden Individualitaͤt ſelbſter- ſchaffene iſt; ſondern daß ſie bey allen Menſchen ſo ziemlich als dieſelbe, hoͤchſtens dem Dialect nach et- was verſchieden erſcheint. Koͤnnten wir im Tempel des Amphiaraus im Traume mit einander reden, ſo wuͤrde der americaniſche Wilde und der Neuſeelaͤn- der meine Traumbilderſprache verſtehen, und ich die ihrige. Freilich hat auch hier die Sprache des Einen ungleich mehr Wortreichthum, Umfang und Bildung, als die des andern, Plato redet griechiſch, und der Matroſe außen im Piraͤo auch, dennoch wird der Um- fang dieſes Griechiſchen bey beyden ziemlich verſchieden ſeyn; die gebildete Hofdame und die Baͤuerin ſprechen beide, und zwar in einer und der naͤmlichen Sprache, von denſelben Naturgegenſtaͤnden und Beduͤrfniſſen des taͤglichen Lebens, und doch hat jene dafuͤr ganz andre Worte als dieſe. Oder auch, in einer Sprache die ſo unendlich
reich
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me. Dieſer gelingt es deshalb, ſobald ſie ihre Traum-
bilderſprache redet, Combinationen in derſelben zu
machen, auf die wir im Wachen freilich nicht kaͤmen;
ſie knuͤpft das Morgen geſchickt ans Geſtern, das
Schickſal ganzer kuͤnftiger Jahre an die Vergangen-
heit an, und die Rechnung trifft ein; der Erfolg zeigt,
daß ſie uns das was kuͤnftig, oft ganz richtig vor-
herſagt. Eine Art zu rechnen und zu kombiniren, die
ich und du nicht verſtehen; eine hoͤhere Art von Al-
gebra, noch kuͤrzer und beguemer als die unſrige, die
aber nur der verſteckte Poet in unſerm Innern zu
handhaben weiß.
Merkwuͤrdig iſt es immer, daß jene Sprache
nicht bey jedem Menſchen eine verſchiedene, gleichſam
nach der Willkuͤhr einer jeden Individualitaͤt ſelbſter-
ſchaffene iſt; ſondern daß ſie bey allen Menſchen ſo
ziemlich als dieſelbe, hoͤchſtens dem Dialect nach et-
was verſchieden erſcheint. Koͤnnten wir im Tempel
des Amphiaraus im Traume mit einander reden, ſo
wuͤrde der americaniſche Wilde und der Neuſeelaͤn-
der meine Traumbilderſprache verſtehen, und ich die
ihrige. Freilich hat auch hier die Sprache des Einen
ungleich mehr Wortreichthum, Umfang und Bildung,
als die des andern, Plato redet griechiſch, und der
Matroſe außen im Piraͤo auch, dennoch wird der Um-
fang dieſes Griechiſchen bey beyden ziemlich verſchieden
ſeyn; die gebildete Hofdame und die Baͤuerin ſprechen
beide, und zwar in einer und der naͤmlichen Sprache,
von denſelben Naturgegenſtaͤnden und Beduͤrfniſſen des
taͤglichen Lebens, und doch hat jene dafuͤr ganz andre Worte
als dieſe. Oder auch, in einer Sprache die ſo unendlich
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/13>, abgerufen am 16.02.2025.
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