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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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genblicke des Daseyns, dieses sich selber auflöset und
zerstört. Es welkt die Blume sogleich, wenn der
höchste Augenblick des Blühens vorüber ist, und das
bunte Insekt sucht in der einen Stunde der Liebe zu-
gleich die seines Todes, und empfängt in dem Tempel
der Hochzeit selber sein Grab. Ja es sind bey dem
Menschen gerade die seeligsten und geistigsten Augen-
blicke des Lebens, für dieses selber die zerstörendsten,
und wir finden öfters in dem höchsten und heiligsten
Streben unsres Wesens, einen seeligen Untergang.
Die erhabensten und göttlichsten Blüthen in der Ge-
schichte unsres Geschlechts, sind am schnellsten ver-
gangen, am schnellsten von dem Andrange ihrer Zeit,
oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerstört wor-
den, obwohl das Werk selber das sie gethan, für alle
Zeiten gethan ist. So wird, wenn die Wesen mit al-
len Kräften gerungen, daß sie den Geist einer höheren
Vollendung ergreifen möchten, der Genuß selber der
Tod, und nur das Streben nach jenem höchsten Mo-
ment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch ist je-
nes Streben nicht vergeblich gewesen, und eben die
Gluth jener zerstörenden Augenblicke, für die bisheri-
ge Form des Daseyns zu erhaben, erzeugt den Keim
eines neuen höheren Lebens in der Asche des unterge-
gangenen vorigen, und das Vergängliche wird, (be-
rührt und verzehrt von dem Ewigen) aus diesem von
neuem wieder verjüngt. Auf diese Weise wird uns ei-
ne der künftigen Vorlesungen in vielen Thatsachen die
aus der Natur selber geschöpft sind, zeigen, wie ge-

genblicke des Daſeyns, dieſes ſich ſelber aufloͤſet und
zerſtoͤrt. Es welkt die Blume ſogleich, wenn der
hoͤchſte Augenblick des Bluͤhens voruͤber iſt, und das
bunte Inſekt ſucht in der einen Stunde der Liebe zu-
gleich die ſeines Todes, und empfaͤngt in dem Tempel
der Hochzeit ſelber ſein Grab. Ja es ſind bey dem
Menſchen gerade die ſeeligſten und geiſtigſten Augen-
blicke des Lebens, fuͤr dieſes ſelber die zerſtoͤrendſten,
und wir finden oͤfters in dem hoͤchſten und heiligſten
Streben unſres Weſens, einen ſeeligen Untergang.
Die erhabenſten und goͤttlichſten Bluͤthen in der Ge-
ſchichte unſres Geſchlechts, ſind am ſchnellſten ver-
gangen, am ſchnellſten von dem Andrange ihrer Zeit,
oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerſtoͤrt wor-
den, obwohl das Werk ſelber das ſie gethan, fuͤr alle
Zeiten gethan iſt. So wird, wenn die Weſen mit al-
len Kraͤften gerungen, daß ſie den Geiſt einer hoͤheren
Vollendung ergreifen moͤchten, der Genuß ſelber der
Tod, und nur das Streben nach jenem hoͤchſten Mo-
ment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch iſt je-
nes Streben nicht vergeblich geweſen, und eben die
Gluth jener zerſtoͤrenden Augenblicke, fuͤr die bisheri-
ge Form des Daſeyns zu erhaben, erzeugt den Keim
eines neuen hoͤheren Lebens in der Aſche des unterge-
gangenen vorigen, und das Vergaͤngliche wird, (be-
ruͤhrt und verzehrt von dem Ewigen) aus dieſem von
neuem wieder verjuͤngt. Auf dieſe Weiſe wird uns ei-
ne der kuͤnftigen Vorleſungen in vielen Thatſachen die
aus der Natur ſelber geſchoͤpft ſind, zeigen, wie ge-

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[70/0084] genblicke des Daſeyns, dieſes ſich ſelber aufloͤſet und zerſtoͤrt. Es welkt die Blume ſogleich, wenn der hoͤchſte Augenblick des Bluͤhens voruͤber iſt, und das bunte Inſekt ſucht in der einen Stunde der Liebe zu- gleich die ſeines Todes, und empfaͤngt in dem Tempel der Hochzeit ſelber ſein Grab. Ja es ſind bey dem Menſchen gerade die ſeeligſten und geiſtigſten Augen- blicke des Lebens, fuͤr dieſes ſelber die zerſtoͤrendſten, und wir finden oͤfters in dem hoͤchſten und heiligſten Streben unſres Weſens, einen ſeeligen Untergang. Die erhabenſten und goͤttlichſten Bluͤthen in der Ge- ſchichte unſres Geſchlechts, ſind am ſchnellſten ver- gangen, am ſchnellſten von dem Andrange ihrer Zeit, oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerſtoͤrt wor- den, obwohl das Werk ſelber das ſie gethan, fuͤr alle Zeiten gethan iſt. So wird, wenn die Weſen mit al- len Kraͤften gerungen, daß ſie den Geiſt einer hoͤheren Vollendung ergreifen moͤchten, der Genuß ſelber der Tod, und nur das Streben nach jenem hoͤchſten Mo- ment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch iſt je- nes Streben nicht vergeblich geweſen, und eben die Gluth jener zerſtoͤrenden Augenblicke, fuͤr die bisheri- ge Form des Daſeyns zu erhaben, erzeugt den Keim eines neuen hoͤheren Lebens in der Aſche des unterge- gangenen vorigen, und das Vergaͤngliche wird, (be- ruͤhrt und verzehrt von dem Ewigen) aus dieſem von neuem wieder verjuͤngt. Auf dieſe Weiſe wird uns ei- ne der kuͤnftigen Vorleſungen in vielen Thatſachen die aus der Natur ſelber geſchoͤpft ſind, zeigen, wie ge-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/84>, abgerufen am 28.04.2024.