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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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der Bestimmung des gegenwärtigen Daseyns vollendet,
schon den Keim eines künftigen in sich trägt, welcher
in den höchsten Momenten des jetzigen erwachend, sich
zuweilen auf kurze Augenblicke sichtbar macht. Wie
derselbe schon in jenen Zuständen des noch lebenden
Körpers, wo die noch übermächtigen Kräfte des ge-
genwärtigen Lebens schlummern, oder gehemmt sind,
sich deutlich regt, so wird er noch vielmehr im Tode,
wenn das was ihn verdunkelte hinuntergegangen, auf-
leben. Es geschieht, wie anderwärts gezeigt ist, der
Uebergang in ein neues Daseyn, durch einen Zwischen-
zustand, welcher jener seltnen Zuständen, wo sich
ganz neue sonst nie gesehene Eigenschaften unsrer Na-
tur entfalten, mehr verwand ist. -- Was vermöchte
aber in den Wesen jene mit dem jetzigen Leben in kei-
nem Zusammenhang, ja öfters im Widerspruch stehen-
den Eigenschaften zu erwecken, als eben jener höhere
Einfluß, in welchem alle einzelne, an sich oft einseitige
Zustände des Daseyns der Dinge, erst ein Ganzes wer-
den. Dieser ist es, welcher den Wesen in den höchsten
Augenblicken ihres Lebens, am innigsten gegenwärtig ist,
und er, welcher sie einst zu dem jetzigen Tagewerk her-
vorgerufen, erzeugt sie dann zu dem neuen höheren.
In? ihm allein beginnt alles Leben, und in ihn kehret
nach vollendetem Laufe alles zurück, auf daß es aus
ihm von neuem höher wiedergebohren würde.

Offenbar deuten jene tieferen Eigenschaften, wel-
che zuweilen wie hohe Fremdlinge, bey einem unvoll-
kommnen Daseyn verweilen, auf Etwas, das über die
eigenthümlichen Gränzen der gegenwärtigen Kräfte und
Bestrebungen weit hinaus geht, und was nicht eine
Wirkung der jetzigen Umgebungen, welche weit un-

der Beſtimmung des gegenwaͤrtigen Daſeyns vollendet,
ſchon den Keim eines kuͤnftigen in ſich traͤgt, welcher
in den hoͤchſten Momenten des jetzigen erwachend, ſich
zuweilen auf kurze Augenblicke ſichtbar macht. Wie
derſelbe ſchon in jenen Zuſtaͤnden des noch lebenden
Koͤrpers, wo die noch uͤbermaͤchtigen Kraͤfte des ge-
genwaͤrtigen Lebens ſchlummern, oder gehemmt ſind,
ſich deutlich regt, ſo wird er noch vielmehr im Tode,
wenn das was ihn verdunkelte hinuntergegangen, auf-
leben. Es geſchieht, wie anderwaͤrts gezeigt iſt, der
Uebergang in ein neues Daſeyn, durch einen Zwiſchen-
zuſtand, welcher jener ſeltnen Zuſtaͤnden, wo ſich
ganz neue ſonſt nie geſehene Eigenſchaften unſrer Na-
tur entfalten, mehr verwand iſt. — Was vermoͤchte
aber in den Weſen jene mit dem jetzigen Leben in kei-
nem Zuſammenhang, ja oͤfters im Widerſpruch ſtehen-
den Eigenſchaften zu erwecken, als eben jener hoͤhere
Einfluß, in welchem alle einzelne, an ſich oft einſeitige
Zuſtaͤnde des Daſeyns der Dinge, erſt ein Ganzes wer-
den. Dieſer iſt es, welcher den Weſen in den hoͤchſten
Augenblicken ihres Lebens, am innigſten gegenwaͤrtig iſt,
und er, welcher ſie einſt zu dem jetzigen Tagewerk her-
vorgerufen, erzeugt ſie dann zu dem neuen hoͤheren.
In? ihm allein beginnt alles Leben, und in ihn kehret
nach vollendetem Laufe alles zuruͤck, auf daß es aus
ihm von neuem hoͤher wiedergebohren wuͤrde.

Offenbar deuten jene tieferen Eigenſchaften, wel-
che zuweilen wie hohe Fremdlinge, bey einem unvoll-
kommnen Daſeyn verweilen, auf Etwas, das uͤber die
eigenthuͤmlichen Graͤnzen der gegenwaͤrtigen Kraͤfte und
Beſtrebungen weit hinaus geht, und was nicht eine
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[381/0395] der Beſtimmung des gegenwaͤrtigen Daſeyns vollendet, ſchon den Keim eines kuͤnftigen in ſich traͤgt, welcher in den hoͤchſten Momenten des jetzigen erwachend, ſich zuweilen auf kurze Augenblicke ſichtbar macht. Wie derſelbe ſchon in jenen Zuſtaͤnden des noch lebenden Koͤrpers, wo die noch uͤbermaͤchtigen Kraͤfte des ge- genwaͤrtigen Lebens ſchlummern, oder gehemmt ſind, ſich deutlich regt, ſo wird er noch vielmehr im Tode, wenn das was ihn verdunkelte hinuntergegangen, auf- leben. Es geſchieht, wie anderwaͤrts gezeigt iſt, der Uebergang in ein neues Daſeyn, durch einen Zwiſchen- zuſtand, welcher jener ſeltnen Zuſtaͤnden, wo ſich ganz neue ſonſt nie geſehene Eigenſchaften unſrer Na- tur entfalten, mehr verwand iſt. — Was vermoͤchte aber in den Weſen jene mit dem jetzigen Leben in kei- nem Zuſammenhang, ja oͤfters im Widerſpruch ſtehen- den Eigenſchaften zu erwecken, als eben jener hoͤhere Einfluß, in welchem alle einzelne, an ſich oft einſeitige Zuſtaͤnde des Daſeyns der Dinge, erſt ein Ganzes wer- den. Dieſer iſt es, welcher den Weſen in den hoͤchſten Augenblicken ihres Lebens, am innigſten gegenwaͤrtig iſt, und er, welcher ſie einſt zu dem jetzigen Tagewerk her- vorgerufen, erzeugt ſie dann zu dem neuen hoͤheren. In? ihm allein beginnt alles Leben, und in ihn kehret nach vollendetem Laufe alles zuruͤck, auf daß es aus ihm von neuem hoͤher wiedergebohren wuͤrde. Offenbar deuten jene tieferen Eigenſchaften, wel- che zuweilen wie hohe Fremdlinge, bey einem unvoll- kommnen Daſeyn verweilen, auf Etwas, das uͤber die eigenthuͤmlichen Graͤnzen der gegenwaͤrtigen Kraͤfte und Beſtrebungen weit hinaus geht, und was nicht eine Wirkung der jetzigen Umgebungen, welche weit un-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/395>, abgerufen am 22.11.2024.