kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll- kommnere Thiere dieser Klasse durch Lungen, sondern noch durch Kiemen athmen, welche denen der Fische ähnlich sind, und welche das Thier behält, so lange es lebt, so ohne allen Zweck! So die der amerikanischen Gat- tung Proteus, und die der Sirene lacertina. Bey an- dren Amphibien, wie bey den Fischen und Salaman- dern, sind zwar die Lungen in den ersten Tagen des Le- bens, wo das Thier im Larvenzustande auftritt, auch noch unnöthig, indem dasselbe zugleich mit Kiemen ver- sehen ist, durch welche es athmet, aber diese Kiemen verschwinden doch wenigstens später, und das Thier hat nun einen wirklichen Nutzen von seinen Lungen, die sich allmälig vollkommen entwicklen; bey jenen Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge während des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch sind eben jene dem Anscheine nach nutzlosen Anlagen, jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daseyn durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade das Wichtigste im ganzen Thier, indem sie der unvoll- kominne Keim des künftigen höheren Daseyns sind, wel- cher sich mitten in der Hülle des alten schon zu regen anfängt.
Es scheint, daß in jedem Wesen zwey verschiedene und öfters entgegengesetzte Naturen sich berühren. Das jetzige Daseyn, das sich in allen seinen Bestrebungen vollkommen ausspricht, und sich völlig zu vollenden vermag, und außer diesem noch in bald deutlicheren
kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll- kommnere Thiere dieſer Klaſſe durch Lungen, ſondern noch durch Kiemen athmen, welche denen der Fiſche aͤhnlich ſind, und welche das Thier behaͤlt, ſo lange es lebt, ſo ohne allen Zweck! So die der amerikaniſchen Gat- tung Proteus, und die der Sirene lacertina. Bey an- dren Amphibien, wie bey den Fiſchen und Salaman- dern, ſind zwar die Lungen in den erſten Tagen des Le- bens, wo das Thier im Larvenzuſtande auftritt, auch noch unnoͤthig, indem daſſelbe zugleich mit Kiemen ver- ſehen iſt, durch welche es athmet, aber dieſe Kiemen verſchwinden doch wenigſtens ſpaͤter, und das Thier hat nun einen wirklichen Nutzen von ſeinen Lungen, die ſich allmaͤlig vollkommen entwicklen; bey jenen Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge waͤhrend des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch ſind eben jene dem Anſcheine nach nutzloſen Anlagen, jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daſeyn durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade das Wichtigſte im ganzen Thier, indem ſie der unvoll- kominne Keim des kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns ſind, wel- cher ſich mitten in der Huͤlle des alten ſchon zu regen anfaͤngt.
Es ſcheint, daß in jedem Weſen zwey verſchiedene und oͤfters entgegengeſetzte Naturen ſich beruͤhren. Das jetzige Daſeyn, das ſich in allen ſeinen Beſtrebungen vollkommen ausſpricht, und ſich voͤllig zu vollenden vermag, und außer dieſem noch in bald deutlicheren
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0331"n="317"/>
kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll-<lb/>
kommnere Thiere dieſer Klaſſe durch Lungen, ſondern noch<lb/>
durch Kiemen athmen, welche denen der Fiſche aͤhnlich<lb/>ſind, und welche das Thier behaͤlt, ſo lange es lebt,<lb/>ſo ohne allen Zweck! So die der amerikaniſchen Gat-<lb/>
tung <hirendition="#aq">Proteus</hi>, und die der <hirendition="#aq">Sirene lacertina.</hi> Bey an-<lb/>
dren Amphibien, wie bey den Fiſchen und Salaman-<lb/>
dern, ſind zwar die Lungen in den erſten Tagen des Le-<lb/>
bens, wo das Thier im Larvenzuſtande auftritt, auch<lb/>
noch unnoͤthig, indem daſſelbe zugleich mit Kiemen ver-<lb/>ſehen iſt, durch welche es athmet, aber dieſe Kiemen<lb/>
verſchwinden doch wenigſtens ſpaͤter, und das Thier<lb/>
hat nun einen wirklichen Nutzen von ſeinen Lungen,<lb/>
die ſich allmaͤlig vollkommen entwicklen; bey jenen<lb/>
Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge waͤhrend<lb/>
des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch<lb/>ſind eben jene dem Anſcheine nach nutzloſen Anlagen,<lb/>
jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daſeyn<lb/>
durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade<lb/>
das Wichtigſte im ganzen Thier, indem ſie der unvoll-<lb/>
kominne Keim des kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns ſind, wel-<lb/>
cher ſich mitten in der Huͤlle des alten ſchon zu regen<lb/>
anfaͤngt.</p><lb/><p>Es ſcheint, daß in jedem Weſen zwey verſchiedene<lb/>
und oͤfters entgegengeſetzte Naturen ſich beruͤhren. Das<lb/>
jetzige Daſeyn, das ſich in allen ſeinen Beſtrebungen<lb/>
vollkommen ausſpricht, und ſich voͤllig zu vollenden<lb/>
vermag, und außer dieſem noch in bald deutlicheren<lb/></p></div></body></text></TEI>
[317/0331]
kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll-
kommnere Thiere dieſer Klaſſe durch Lungen, ſondern noch
durch Kiemen athmen, welche denen der Fiſche aͤhnlich
ſind, und welche das Thier behaͤlt, ſo lange es lebt,
ſo ohne allen Zweck! So die der amerikaniſchen Gat-
tung Proteus, und die der Sirene lacertina. Bey an-
dren Amphibien, wie bey den Fiſchen und Salaman-
dern, ſind zwar die Lungen in den erſten Tagen des Le-
bens, wo das Thier im Larvenzuſtande auftritt, auch
noch unnoͤthig, indem daſſelbe zugleich mit Kiemen ver-
ſehen iſt, durch welche es athmet, aber dieſe Kiemen
verſchwinden doch wenigſtens ſpaͤter, und das Thier
hat nun einen wirklichen Nutzen von ſeinen Lungen,
die ſich allmaͤlig vollkommen entwicklen; bey jenen
Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge waͤhrend
des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch
ſind eben jene dem Anſcheine nach nutzloſen Anlagen,
jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daſeyn
durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade
das Wichtigſte im ganzen Thier, indem ſie der unvoll-
kominne Keim des kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns ſind, wel-
cher ſich mitten in der Huͤlle des alten ſchon zu regen
anfaͤngt.
Es ſcheint, daß in jedem Weſen zwey verſchiedene
und oͤfters entgegengeſetzte Naturen ſich beruͤhren. Das
jetzige Daſeyn, das ſich in allen ſeinen Beſtrebungen
vollkommen ausſpricht, und ſich voͤllig zu vollenden
vermag, und außer dieſem noch in bald deutlicheren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/331>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.