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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895.

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Zweite Vorlesung.
sagen "ein neues Symbol" definirt, welches in den vorhergehenden noch
niemals erwähnt war, sodass durch diese darüber auch nicht präjudi-
zirt sein konnte.

So -- um mit dem Ende anzufangen: wenn erst ausgemacht worden,
was unter 1 zu verstehen sei, so ist damit noch offen gelassen, was wir
unter 0 verstehen wollen, und wie immer wir letzteres ausmachen wollen
(weil eben noch nichts darüber ausgemacht ist, sind wir auch zu nichts
verpflichtet), so wird die Abmachung weder in der oder den vorhergehenden
enthalten sein, noch mit ihnen in Widerspruch treten können.

Beim Abacus (3) -- in dessen erster Zeile die Produkte resp. Summen
nicht sowohl einander als vielmehr dem letzten Symbole 0 resp. 1 jeweils
gleichgesetzt zu lesen sind -- enthält jede der (so geschieden zu denkenden)
Gleichungen auch eine neue sonst überhaupt nicht vorkommende Knüpfung
zwischen 0 und 1. Und dass z. B. die Gleichung 1 + 1 = 1 nicht aus
den andern folgen kann, lässt schon die Exemplifikation auf das nume-
rische Einmaleins erkennen, wo zwar die andern Gleichungen ebenfalls
gelten, sie (allein) gleichwol nicht gilt. Dass sie auch nicht in Wider-
spruch mit den übrigen stehen kann, erscheint darum als selbstverständlich,
weil sie des bislang noch unerklärten Ausdrucks 1 + 1 erstmals und aus-
schliesslich Erwähnung thut, sodass über die demselben beizumessende Be-
deutung Entgegenstehendes unmöglich schon ausgemacht sein kann.

Die Konventionen (2) endlich enthalten unabhängig von einander die
Festsetzungen über die 0 resp. 1 als Subjekt (oder als Prädikat) zur
0 oder 1.

Hätten wir die 14 letzten Konventionen konziser, d. h. in eine gerin-
gere Zahl von -- sonach allgemeineren -- formalen Festsetzungen (unter
Gebrauch von Buchstaben) zusammengefasst, so würde diese Überzeugung
von der Unabhängigkeit und Widerspruchslosigkeit der fundamentalen Kon-
ventionen minder bequem und leicht zu gewinnen gewesen sein -- was
uns nicht zum wenigsten veranlasste, der obigen Form ihrer Statuirung
den Vorzug zu geben.

Wie schon angedeutet bilden nun die bisherigen 15 Festsetzungen
die Basis, ausreichende Grundlage einer Buchstabenrechnung, eines
"Kalkuls", in welchem von jedem "allgemeinen Wertsymbole" oder
Buchstaben -- wie a, b, c ... -- zu unterstellen ist, dass er irgend
einen der beiden Werte 0 und 1 repräsentire.

Die formalen Gesetze, Sätze und Formeln dieser Buchstabenrech-
nung sind keine andern als die des "Aussagenkalkuls", jenes (noch
formelreicheren) Unterfalles des "identischen Kalkuls", den wir in Bd. 1
und 2 näher kennen gelernt haben.

Was wir dem Leser nunmehr zumuten müssen ist: dass er sich
hiervon gründlich überzeuge, d. h. zum wenigsten, nachsehe, dass die
l. c. zur Grundlage jener Kalkuln genommenen Definitionen und Prin-

Zweite Vorlesung.
sagen „ein neues Symbol“ definirt, welches in den vorhergehenden noch
niemals erwähnt war, sodass durch diese darüber auch nicht präjudi-
zirt sein konnte.

So — um mit dem Ende anzufangen: wenn erst ausgemacht worden,
was unter 1̅ zu verstehen sei, so ist damit noch offen gelassen, was wir
unter 0̅ verstehen wollen, und wie immer wir letzteres ausmachen wollen
(weil eben noch nichts darüber ausgemacht ist, sind wir auch zu nichts
verpflichtet), so wird die Abmachung weder in der oder den vorhergehenden
enthalten sein, noch mit ihnen in Widerspruch treten können.

Beim Abacus (3) — in dessen erster Zeile die Produkte resp. Summen
nicht sowohl einander als vielmehr dem letzten Symbole 0 resp. 1 jeweils
gleichgesetzt zu lesen sind — enthält jede der (so geschieden zu denkenden)
Gleichungen auch eine neue sonst überhaupt nicht vorkommende Knüpfung
zwischen 0 und 1. Und dass z. B. die Gleichung 1 + 1 = 1 nicht aus
den andern folgen kann, lässt schon die Exemplifikation auf das nume-
rische Einmaleins erkennen, wo zwar die andern Gleichungen ebenfalls
gelten, sie (allein) gleichwol nicht gilt. Dass sie auch nicht in Wider-
spruch mit den übrigen stehen kann, erscheint darum als selbstverständlich,
weil sie des bislang noch unerklärten Ausdrucks 1 + 1 erstmals und aus-
schliesslich Erwähnung thut, sodass über die demselben beizumessende Be-
deutung Entgegenstehendes unmöglich schon ausgemacht sein kann.

Die Konventionen (2) endlich enthalten unabhängig von einander die
Festsetzungen über die 0 resp. 1 als Subjekt (oder als Prädikat) zur
0 oder 1.

Hätten wir die 14 letzten Konventionen konziser, d. h. in eine gerin-
gere Zahl von — sonach allgemeineren — formalen Festsetzungen (unter
Gebrauch von Buchstaben) zusammengefasst, so würde diese Überzeugung
von der Unabhängigkeit und Widerspruchslosigkeit der fundamentalen Kon-
ventionen minder bequem und leicht zu gewinnen gewesen sein — was
uns nicht zum wenigsten veranlasste, der obigen Form ihrer Statuirung
den Vorzug zu geben.

Wie schon angedeutet bilden nun die bisherigen 15 Festsetzungen
die Basis, ausreichende Grundlage einer Buchstabenrechnung, eines
„Kalkuls“, in welchem von jedem „allgemeinen Wertsymbole“ oder
Buchstaben — wie a, b, c … — zu unterstellen ist, dass er irgend
einen der beiden Werte 0 und 1 repräsentire.

Die formalen Gesetze, Sätze und Formeln dieser Buchstabenrech-
nung sind keine andern als die des „Aussagenkalkuls“, jenes (noch
formelreicheren) Unterfalles des „identischen Kalkuls“, den wir in Bd. 1
und 2 näher kennen gelernt haben.

Was wir dem Leser nunmehr zumuten müssen ist: dass er sich
hiervon gründlich überzeuge, d. h. zum wenigsten, nachsehe, dass die
l. c. zur Grundlage jener Kalkuln genommenen Definitionen und Prin-

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[20/0034] Zweite Vorlesung. sagen „ein neues Symbol“ definirt, welches in den vorhergehenden noch niemals erwähnt war, sodass durch diese darüber auch nicht präjudi- zirt sein konnte. So — um mit dem Ende anzufangen: wenn erst ausgemacht worden, was unter 1̅ zu verstehen sei, so ist damit noch offen gelassen, was wir unter 0̅ verstehen wollen, und wie immer wir letzteres ausmachen wollen (weil eben noch nichts darüber ausgemacht ist, sind wir auch zu nichts verpflichtet), so wird die Abmachung weder in der oder den vorhergehenden enthalten sein, noch mit ihnen in Widerspruch treten können. Beim Abacus (3) — in dessen erster Zeile die Produkte resp. Summen nicht sowohl einander als vielmehr dem letzten Symbole 0 resp. 1 jeweils gleichgesetzt zu lesen sind — enthält jede der (so geschieden zu denkenden) Gleichungen auch eine neue sonst überhaupt nicht vorkommende Knüpfung zwischen 0 und 1. Und dass z. B. die Gleichung 1 + 1 = 1 nicht aus den andern folgen kann, lässt schon die Exemplifikation auf das nume- rische Einmaleins erkennen, wo zwar die andern Gleichungen ebenfalls gelten, sie (allein) gleichwol nicht gilt. Dass sie auch nicht in Wider- spruch mit den übrigen stehen kann, erscheint darum als selbstverständlich, weil sie des bislang noch unerklärten Ausdrucks 1 + 1 erstmals und aus- schliesslich Erwähnung thut, sodass über die demselben beizumessende Be- deutung Entgegenstehendes unmöglich schon ausgemacht sein kann. Die Konventionen (2) endlich enthalten unabhängig von einander die Festsetzungen über die 0 resp. 1 als Subjekt (oder als Prädikat) zur 0 oder 1. Hätten wir die 14 letzten Konventionen konziser, d. h. in eine gerin- gere Zahl von — sonach allgemeineren — formalen Festsetzungen (unter Gebrauch von Buchstaben) zusammengefasst, so würde diese Überzeugung von der Unabhängigkeit und Widerspruchslosigkeit der fundamentalen Kon- ventionen minder bequem und leicht zu gewinnen gewesen sein — was uns nicht zum wenigsten veranlasste, der obigen Form ihrer Statuirung den Vorzug zu geben. Wie schon angedeutet bilden nun die bisherigen 15 Festsetzungen die Basis, ausreichende Grundlage einer Buchstabenrechnung, eines „Kalkuls“, in welchem von jedem „allgemeinen Wertsymbole“ oder Buchstaben — wie a, b, c … — zu unterstellen ist, dass er irgend einen der beiden Werte 0 und 1 repräsentire. Die formalen Gesetze, Sätze und Formeln dieser Buchstabenrech- nung sind keine andern als die des „Aussagenkalkuls“, jenes (noch formelreicheren) Unterfalles des „identischen Kalkuls“, den wir in Bd. 1 und 2 näher kennen gelernt haben. Was wir dem Leser nunmehr zumuten müssen ist: dass er sich hiervon gründlich überzeuge, d. h. zum wenigsten, nachsehe, dass die l. c. zur Grundlage jener Kalkuln genommenen Definitionen und Prin-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik03_1895/34>, abgerufen am 20.04.2024.