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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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Fünfzehnte Vorlesung.

Für die obigen Beispiele dürfen wir demnach sagen, dass:
a = i und b = 0
ist. Anstatt -- wie hienach berechtigt -- zu schreiben:
(2 x 2 = 4) = i,
wird man aber kürzer die Behauptung 2 x 2 = 4, oder a selbst, ein-
fach hinstellen. Wogegen die Falschheit der Behauptung, dass 2 x 2
gleich 5 sei, vorerst nicht einfacher darzustellen ist als mittelst des
Ansatzes:
(2 x 2 = 5) = 0.

Bedeutet c die Aussage: "Die Masse der Welt ist konstant" und
d die Aussage: "Die Materie ist vergänglich", so ist (nach den Grund-
lehren der Physik) ebenso c = i und d = 0, die erstere nämlich wahr,
die letztere falsch, und zwar nicht nur soeben, sondern überhaupt.

Man könnte gegen oben Gesagtes einwenden: der Ausspruch
"Caesar wurde ermordet" sei vor oder während seiner Ermordung noch
nicht wahr gewesen, sei erst seitdem wahr. Wird das Tempus des
Verbums festgehalten, so ist dieser Einwand auch sicherlich berechtigt.
Allein dann haben wir, obzwar eine Aussage von grammatikalisch
konstanter Form, von sich gleich bleibendem Wortlaute, doch gerade
eben nicht eine solche konstanten Sinnes, indem das Tempus prae-
teritum, auf welches mit der Verbalform "wurde ermordet" hin-
gewiesen wird, zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Bedeutung
beansprucht.

Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, dass ein erzählendes (eventuell
auch ein beschreibendes) Urteil, soll es konstanten Sinn besitzen, mit
seinem Verbum nicht an die relative Gegenwart (Vergangenheit oder
Zukunft) d. i. die Gegenwart (etc.) der Aussage anknüpfen, darf, es darf
m. a. W. nicht auf den Zeitpunkt, in welchem die Aussage fällt, sich
beziehen, sondern es muss dasselbe vielmehr auf einen absolut be-
stimmten Zeitpunkt oder Zeitraum verweisen, wofern es solchen nicht
ganz unbestimmt lässt.

Letzteres wäre für unser Beispiel etwa der Fall, wenn wir sagten:
Die Ermordung Caesar's ist ein Ereigniss in der Wirklichkeit, ist (eine)
historische Thatsache. Das andere, falls wir sagten: "Die Ermordung
Caesar's fällt in das Jahr 44 v. Chr." In dieser Fassung ist der Satz
zu allen Zeiten wahr gewesen. Ebenso bei den Aussagen: "In die
Jahre 1870 und 71 fällt ein deutschfranzösischer Krieg", "Am 28. Mai
1900 findet eine ringförmige Sonnenfinsterniss statt". Letzteres ist

Fünfzehnte Vorlesung.

Für die obigen Beispiele dürfen wir demnach sagen, dass:
a = i und b = 0
ist. Anstatt — wie hienach berechtigt — zu schreiben:
(2 × 2 = 4) = i,
wird man aber kürzer die Behauptung 2 × 2 = 4, oder a selbst, ein-
fach hinstellen. Wogegen die Falschheit der Behauptung, dass 2 × 2
gleich 5 sei, vorerst nicht einfacher darzustellen ist als mittelst des
Ansatzes:
(2 × 2 = 5) = 0.

Bedeutet c die Aussage: „Die Masse der Welt ist konstant“ und
d die Aussage: „Die Materie ist vergänglich“, so ist (nach den Grund-
lehren der Physik) ebenso c = i und d = 0, die erstere nämlich wahr,
die letztere falsch, und zwar nicht nur soeben, sondern überhaupt.

Man könnte gegen oben Gesagtes einwenden: der Ausspruch
„Caesar wurde ermordet“ sei vor oder während seiner Ermordung noch
nicht wahr gewesen, sei erst seitdem wahr. Wird das Tempus des
Verbums festgehalten, so ist dieser Einwand auch sicherlich berechtigt.
Allein dann haben wir, obzwar eine Aussage von grammatikalisch
konstanter Form, von sich gleich bleibendem Wortlaute, doch gerade
eben nicht eine solche konstanten Sinnes, indem das Tempus prae-
teritum, auf welches mit der Verbalform „wurde ermordet“ hin-
gewiesen wird, zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Bedeutung
beansprucht.

Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, dass ein erzählendes (eventuell
auch ein beschreibendes) Urteil, soll es konstanten Sinn besitzen, mit
seinem Verbum nicht an die relative Gegenwart (Vergangenheit oder
Zukunft) d. i. die Gegenwart (etc.) der Aussage anknüpfen, darf, es darf
m. a. W. nicht auf den Zeitpunkt, in welchem die Aussage fällt, sich
beziehen, sondern es muss dasselbe vielmehr auf einen absolut be-
stimmten Zeitpunkt oder Zeitraum verweisen, wofern es solchen nicht
ganz unbestimmt lässt.

Letzteres wäre für unser Beispiel etwa der Fall, wenn wir sagten:
Die Ermordung Caesar’s ist ein Ereigniss in der Wirklichkeit, ist (eine)
historische Thatsache. Das andere, falls wir sagten: „Die Ermordung
Caesar’s fällt in das Jahr 44 v. Chr.“ In dieser Fassung ist der Satz
zu allen Zeiten wahr gewesen. Ebenso bei den Aussagen: „In die
Jahre 1870 und 71 fällt ein deutschfranzösischer Krieg“, „Am 28. Mai
1900 findet eine ringförmige Sonnenfinsterniss statt“. Letzteres ist

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[10/0034] Fünfzehnte Vorlesung. Für die obigen Beispiele dürfen wir demnach sagen, dass: a = i und b = 0 ist. Anstatt — wie hienach berechtigt — zu schreiben: (2 × 2 = 4) = i, wird man aber kürzer die Behauptung 2 × 2 = 4, oder a selbst, ein- fach hinstellen. Wogegen die Falschheit der Behauptung, dass 2 × 2 gleich 5 sei, vorerst nicht einfacher darzustellen ist als mittelst des Ansatzes: (2 × 2 = 5) = 0. Bedeutet c die Aussage: „Die Masse der Welt ist konstant“ und d die Aussage: „Die Materie ist vergänglich“, so ist (nach den Grund- lehren der Physik) ebenso c = i und d = 0, die erstere nämlich wahr, die letztere falsch, und zwar nicht nur soeben, sondern überhaupt. Man könnte gegen oben Gesagtes einwenden: der Ausspruch „Caesar wurde ermordet“ sei vor oder während seiner Ermordung noch nicht wahr gewesen, sei erst seitdem wahr. Wird das Tempus des Verbums festgehalten, so ist dieser Einwand auch sicherlich berechtigt. Allein dann haben wir, obzwar eine Aussage von grammatikalisch konstanter Form, von sich gleich bleibendem Wortlaute, doch gerade eben nicht eine solche konstanten Sinnes, indem das Tempus prae- teritum, auf welches mit der Verbalform „wurde ermordet“ hin- gewiesen wird, zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Bedeutung beansprucht. Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, dass ein erzählendes (eventuell auch ein beschreibendes) Urteil, soll es konstanten Sinn besitzen, mit seinem Verbum nicht an die relative Gegenwart (Vergangenheit oder Zukunft) d. i. die Gegenwart (etc.) der Aussage anknüpfen, darf, es darf m. a. W. nicht auf den Zeitpunkt, in welchem die Aussage fällt, sich beziehen, sondern es muss dasselbe vielmehr auf einen absolut be- stimmten Zeitpunkt oder Zeitraum verweisen, wofern es solchen nicht ganz unbestimmt lässt. Letzteres wäre für unser Beispiel etwa der Fall, wenn wir sagten: Die Ermordung Caesar’s ist ein Ereigniss in der Wirklichkeit, ist (eine) historische Thatsache. Das andere, falls wir sagten: „Die Ermordung Caesar’s fällt in das Jahr 44 v. Chr.“ In dieser Fassung ist der Satz zu allen Zeiten wahr gewesen. Ebenso bei den Aussagen: „In die Jahre 1870 und 71 fällt ein deutschfranzösischer Krieg“, „Am 28. Mai 1900 findet eine ringförmige Sonnenfinsterniss statt“. Letzteres ist

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/34>, abgerufen am 19.04.2024.