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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§ 28. Übergang zum Aussagenkalkul.

Zu ihrer bessern Unterscheidung von der bisherigen, eine räum-
liche Mannigfaltigkeit darstellenden oder auch im Klassenkalkul ver-
wendeten (und auch noch fernerhin in dieser Weise zu verwendenden)
1, möge die Eins, als Symbol der Ewigkeit gedeutet, mit einem Tupfen
versehen, die Ewigkeit durch das Zeichen i hinfort dargestellt werden.

Von einer Aussage, welche für diese ganze Zeit wahr zu sein be-
ansprucht, wird zu sagen sein, sie gelte "immer", "stets", und kann also
die "Gültigkeitsdauer" einer solchen Aussage durch i ausgedrücktwerden.

Der identischen Null aber wird jetzt eine Zeitbestimmung ent-
sprechen, welche die Sprache mit dem Adverbium "nie", "niemals"
wiedergibt. Zur Unterscheidung von der 0 des Klassenkalkuls oder
auch des Kalkuls mit Gebieten überhaupt könnte man diese Null in
der Mannigfaltigkeit der Zeitpunkte ebenfalls mit einem Tupfen ver-
sehen, sie mit 0 darstellend; indessen erscheint es mir unbedenklich,
dies Unterscheidungsmerkmal wegzulassen: die gedachte Klasse, das
Gebiet ist hier wie dort ein leeres.

Einer Aussage die "Gültigkeitsdauer" 0 zuschreiben heisst nun
also, dieselbe für eine jederzeit ungültige, für eine niemals -- auch
nicht einen Augenblick -- gültige erklären.

Ein ganz beliebiges Gebiet von Zeitpunkten bestehend vielleicht
aus mehreren getrennten Zeiträumen oder auch vereinzelten Augen-
blicken, so wie es z. B. die Fig. 1 veranschaulichen würde, könnten
wir jetzt kurz ein "Zeitgebiet" nennen. Dafür werden wir aber
manchmal auch den Namen "(Zeit-)Dauer" oder "Zeitraum" selbst
gebrauchen, auch wenn das Gebiet (wie in dem angeführten Beispiele)
aus getrennten Zeitabschnitten, Perioden oder Epochen, eventuell nur
isolirten Zeitpunkten zusammengesetzt sein sollte. Namentlich werden
wir in diesem weiteren Sinne -- da "Gültigkeitszeitgebiet" unbehülf-
lich erscheint -- "Gültigkeitsgebiet" aber noch einen andern Sinn
liefert, Nebenbedeutungen hätte, von der "Gültigkeitsdauer" einer Aus-
sage nunmehr zu sprechen haben [ohne jedoch im geringsten die Vor-
stellung von einer metrischen Beziehung mit diesem Wort zu verknüpfen].

Unstreitig haben schon alle bisherigen Betrachtungen ein "zeit-
liches
Moment" enthalten, wenn dieses auch psychologisch sehr in den
Hintergrund des subjektiven Bewusstseins trat; sie waren in gewisser
Weise doch mit dem Zeitbegriff verwoben.

So wurden namentlich oft Voraussetzungen als gleichzeitig anzu-
nehmende hingestellt. Z. B. "Wenn a b und zugleich b a ist,
werde a = b geschrieben" -- so lautete die Definition (1) der Gleich-

§ 28. Übergang zum Aussagenkalkul.

Zu ihrer bessern Unterscheidung von der bisherigen, eine räum-
liche Mannigfaltigkeit darstellenden oder auch im Klassenkalkul ver-
wendeten (und auch noch fernerhin in dieser Weise zu verwendenden)
1, möge die Eins, als Symbol der Ewigkeit gedeutet, mit einem Tupfen
versehen, die Ewigkeit durch das Zeichen i hinfort dargestellt werden.

Von einer Aussage, welche für diese ganze Zeit wahr zu sein be-
ansprucht, wird zu sagen sein, sie gelte „immer“, „stets“, und kann also
die „Gültigkeitsdauer“ einer solchen Aussage durch i ausgedrücktwerden.

Der identischen Null aber wird jetzt eine Zeitbestimmung ent-
sprechen, welche die Sprache mit dem Adverbium „nie“, „niemals
wiedergibt. Zur Unterscheidung von der 0 des Klassenkalkuls oder
auch des Kalkuls mit Gebieten überhaupt könnte man diese Null in
der Mannigfaltigkeit der Zeitpunkte ebenfalls mit einem Tupfen ver-
sehen, sie mit 0̇ darstellend; indessen erscheint es mir unbedenklich,
dies Unterscheidungsmerkmal wegzulassen: die gedachte Klasse, das
Gebiet ist hier wie dort ein leeres.

Einer Aussage die „Gültigkeitsdauer“ 0 zuschreiben heisst nun
also, dieselbe für eine jederzeit ungültige, für eine niemals — auch
nicht einen Augenblick — gültige erklären.

Ein ganz beliebiges Gebiet von Zeitpunkten bestehend vielleicht
aus mehreren getrennten Zeiträumen oder auch vereinzelten Augen-
blicken, so wie es z. B. die Fig. 1 veranschaulichen würde, könnten
wir jetzt kurz ein „Zeitgebiet“ nennen. Dafür werden wir aber
manchmal auch den Namen „(Zeit-)Dauer“ oder „Zeitraum“ selbst
gebrauchen, auch wenn das Gebiet (wie in dem angeführten Beispiele)
aus getrennten Zeitabschnitten, Perioden oder Epochen, eventuell nur
isolirten Zeitpunkten zusammengesetzt sein sollte. Namentlich werden
wir in diesem weiteren Sinne — da „Gültigkeitszeitgebiet“ unbehülf-
lich erscheint — „Gültigkeitsgebiet“ aber noch einen andern Sinn
liefert, Nebenbedeutungen hätte, von der „Gültigkeitsdauer“ einer Aus-
sage nunmehr zu sprechen haben [ohne jedoch im geringsten die Vor-
stellung von einer metrischen Beziehung mit diesem Wort zu verknüpfen].

Unstreitig haben schon alle bisherigen Betrachtungen ein „zeit-
liches
Moment“ enthalten, wenn dieses auch psychologisch sehr in den
Hintergrund des subjektiven Bewusstseins trat; sie waren in gewisser
Weise doch mit dem Zeitbegriff verwoben.

So wurden namentlich oft Voraussetzungen als gleichzeitig anzu-
nehmende hingestellt. Z. B. „Wenn a b und zugleich b a ist,
werde a = b geschrieben“ — so lautete die Definition (1) der Gleich-

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[5/0029] § 28. Übergang zum Aussagenkalkul. Zu ihrer bessern Unterscheidung von der bisherigen, eine räum- liche Mannigfaltigkeit darstellenden oder auch im Klassenkalkul ver- wendeten (und auch noch fernerhin in dieser Weise zu verwendenden) 1, möge die Eins, als Symbol der Ewigkeit gedeutet, mit einem Tupfen versehen, die Ewigkeit durch das Zeichen i hinfort dargestellt werden. Von einer Aussage, welche für diese ganze Zeit wahr zu sein be- ansprucht, wird zu sagen sein, sie gelte „immer“, „stets“, und kann also die „Gültigkeitsdauer“ einer solchen Aussage durch i ausgedrücktwerden. Der identischen Null aber wird jetzt eine Zeitbestimmung ent- sprechen, welche die Sprache mit dem Adverbium „nie“, „niemals“ wiedergibt. Zur Unterscheidung von der 0 des Klassenkalkuls oder auch des Kalkuls mit Gebieten überhaupt könnte man diese Null in der Mannigfaltigkeit der Zeitpunkte ebenfalls mit einem Tupfen ver- sehen, sie mit 0̇ darstellend; indessen erscheint es mir unbedenklich, dies Unterscheidungsmerkmal wegzulassen: die gedachte Klasse, das Gebiet ist hier wie dort ein leeres. Einer Aussage die „Gültigkeitsdauer“ 0 zuschreiben heisst nun also, dieselbe für eine jederzeit ungültige, für eine niemals — auch nicht einen Augenblick — gültige erklären. Ein ganz beliebiges Gebiet von Zeitpunkten bestehend vielleicht aus mehreren getrennten Zeiträumen oder auch vereinzelten Augen- blicken, so wie es z. B. die Fig. 1 veranschaulichen würde, könnten wir jetzt kurz ein „Zeitgebiet“ nennen. Dafür werden wir aber manchmal auch den Namen „(Zeit-)Dauer“ oder „Zeitraum“ selbst gebrauchen, auch wenn das Gebiet (wie in dem angeführten Beispiele) aus getrennten Zeitabschnitten, Perioden oder Epochen, eventuell nur isolirten Zeitpunkten zusammengesetzt sein sollte. Namentlich werden wir in diesem weiteren Sinne — da „Gültigkeitszeitgebiet“ unbehülf- lich erscheint — „Gültigkeitsgebiet“ aber noch einen andern Sinn liefert, Nebenbedeutungen hätte, von der „Gültigkeitsdauer“ einer Aus- sage nunmehr zu sprechen haben [ohne jedoch im geringsten die Vor- stellung von einer metrischen Beziehung mit diesem Wort zu verknüpfen]. Unstreitig haben schon alle bisherigen Betrachtungen ein „zeit- liches Moment“ enthalten, wenn dieses auch psychologisch sehr in den Hintergrund des subjektiven Bewusstseins trat; sie waren in gewisser Weise doch mit dem Zeitbegriff verwoben. So wurden namentlich oft Voraussetzungen als gleichzeitig anzu- nehmende hingestellt. Z. B. „Wenn a  b und zugleich b  a ist, werde a = b geschrieben“ — so lautete die Definition (1) der Gleich-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/29>, abgerufen am 25.04.2024.