Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen.
sein, wenn sie mit Denknotwendigkeit -- nach den Regeln des Kalkuls --
auf die Gleichung 1 = 0 hinausläuft.

Dass aber auch umgekehrt auf diese Gleichung jede im obigen Sinne
absurde Proposition hinauslaufen muss, jede nämlich, die durch kein Wert-
system ihrer unbestimmten Symbole erfüllbar ist, werden wir im Aussagen-
kalkul sehen.

Der vorige Kontext lässt dann nebenher die Thatsache deutlich wer-
den, dass sobald einmal ein Unsinn zugegeben wird, dann auch jeder Un-
sinn mittelst zwingender Schlüsse sich ableiten oder beweisen lässt -- so-
fern wir nämlich als Schema solchen Unsinnes die Behauptung nehmen,
dass zwei beliebig herausgegriffene verschiedene Dinge einerlei seien. Ge-
langten wir vom ersteren zu 0 = 1, so liess sich auch von da zu a = b
fortschreiten.

Ist die allgemeine synthetische Proposition nicht absurd, so gibt
es Werte oder Wertsysteme, deren Einsetzung in die Proposition (für
die in ihr vorkommenden nicht schon anderweitig bestimmten Gebiet-
symbole) die Wirkung hat, dass eine richtige spezielle Proposition ent-
steht. Von solchen, die allgemeine in eine richtige spezielle Propo-
sition "verwandelnden" Wert(system)en sagt man, dass sie die Propo-
sition "erfüllen", derselben "genügen", sie "bewahrheiten".

Man nennt sie auch "Wurzeln", beziehungsweise ein "System von
Wurzeln", dieser Proposition (Gleichung oder Subsumtion etc.) -- ent-
sprechend dem bei synthetischen Gleichungen in der Mathematik gel-
tenden Sprachgebrauche.

Sobald die Proposition aber Geltung beansprucht, stellt sie uns
vor die Aufgabe, uns unter ihren Buchstabensymbolen solche Gebiete
oder Klassen vorzustellen, welche sie "erfüllen", m. a. W., diese Sym-
bole eben nur bedeuten zu lassen: ein System von "Wurzeln" der Pro-
position. Und um dies für jedermann zu ermöglichen, müssen solche
Wurzeln mit Hülfe der in der Proposition etwa sonst noch vorkom-
menden bestimmten oder "gegebenen" Gebiete, ihrer sogenannten "Para-
meter", beschrieben, durch diese übrigen Gebiete ausgedrückt, "berech-
net
" werden.

Die Ausführung dieses Geschäftes heisst das "Auflösen" der Pro-
position nach den als ihre "Wurzeln" zu bestimmenden Gebieten als
"Unbekannten". Damit sie als solche sogleich erkennbar seien, werden
diese erst zu bestimmenden unbekannten Gebiete mit Vorliebe durch
die Buchstaben x, y, z, ... dargestellt, im Gegensatz zu den mit den
ersten Buchstaben des Alphabets zu bezeichnenden Parametern.

Und zwar erhält man eine "besondere" oder "partikulare" Lösung
der Proposition, wenn die Angabe von Wurzeln nur auf eine Weise er-

§ 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen.
sein, wenn sie mit Denknotwendigkeit — nach den Regeln des Kalkuls —
auf die Gleichung 1 = 0 hinausläuft.

Dass aber auch umgekehrt auf diese Gleichung jede im obigen Sinne
absurde Proposition hinauslaufen muss, jede nämlich, die durch kein Wert-
system ihrer unbestimmten Symbole erfüllbar ist, werden wir im Aussagen-
kalkul sehen.

Der vorige Kontext lässt dann nebenher die Thatsache deutlich wer-
den, dass sobald einmal ein Unsinn zugegeben wird, dann auch jeder Un-
sinn mittelst zwingender Schlüsse sich ableiten oder beweisen lässt — so-
fern wir nämlich als Schema solchen Unsinnes die Behauptung nehmen,
dass zwei beliebig herausgegriffene verschiedene Dinge einerlei seien. Ge-
langten wir vom ersteren zu 0 = 1, so liess sich auch von da zu a = b
fortschreiten.

Ist die allgemeine synthetische Proposition nicht absurd, so gibt
es Werte oder Wertsysteme, deren Einsetzung in die Proposition (für
die in ihr vorkommenden nicht schon anderweitig bestimmten Gebiet-
symbole) die Wirkung hat, dass eine richtige spezielle Proposition ent-
steht. Von solchen, die allgemeine in eine richtige spezielle Propo-
sition „verwandelnden“ Wert(system)en sagt man, dass sie die Propo-
sition „erfüllen“, derselben „genügen“, sie „bewahrheiten“.

Man nennt sie auch „Wurzeln“, beziehungsweise ein „System von
Wurzeln“, dieser Proposition (Gleichung oder Subsumtion etc.) — ent-
sprechend dem bei synthetischen Gleichungen in der Mathematik gel-
tenden Sprachgebrauche.

Sobald die Proposition aber Geltung beansprucht, stellt sie uns
vor die Aufgabe, uns unter ihren Buchstabensymbolen solche Gebiete
oder Klassen vorzustellen, welche sie „erfüllen“, m. a. W., diese Sym-
bole eben nur bedeuten zu lassen: ein System von „Wurzeln“ der Pro-
position. Und um dies für jedermann zu ermöglichen, müssen solche
Wurzeln mit Hülfe der in der Proposition etwa sonst noch vorkom-
menden bestimmten oder „gegebenen“ Gebiete, ihrer sogenannten „Para-
meter“, beschrieben, durch diese übrigen Gebiete ausgedrückt, „berech-
net
“ werden.

Die Ausführung dieses Geschäftes heisst das „Auflösen“ der Pro-
position nach den als ihre „Wurzeln“ zu bestimmenden Gebieten als
Unbekannten“. Damit sie als solche sogleich erkennbar seien, werden
diese erst zu bestimmenden unbekannten Gebiete mit Vorliebe durch
die Buchstaben x, y, z, … dargestellt, im Gegensatz zu den mit den
ersten Buchstaben des Alphabets zu bezeichnenden Parametern.

Und zwar erhält man eine „besondere“ oder „partikulare“ Lösung
der Proposition, wenn die Angabe von Wurzeln nur auf eine Weise er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0463" n="443"/><fw place="top" type="header">§ 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen.</fw><lb/>
sein, wenn sie mit Denknotwendigkeit &#x2014; nach den Regeln des Kalkuls &#x2014;<lb/>
auf die Gleichung 1 = 0 hinausläuft.</p><lb/>
          <p>Dass aber auch umgekehrt auf diese Gleichung jede im obigen Sinne<lb/>
absurde Proposition hinauslaufen muss, jede nämlich, die durch kein Wert-<lb/>
system ihrer unbestimmten Symbole erfüllbar ist, werden wir im Aussagen-<lb/>
kalkul sehen.</p><lb/>
          <p>Der vorige Kontext lässt dann nebenher die Thatsache deutlich wer-<lb/>
den, dass sobald einmal <hi rendition="#i">ein</hi> Unsinn zugegeben wird, dann auch <hi rendition="#i">jeder</hi> Un-<lb/>
sinn mittelst zwingender Schlüsse sich ableiten oder beweisen lässt &#x2014; so-<lb/>
fern wir nämlich als Schema solchen Unsinnes die Behauptung nehmen,<lb/>
dass zwei beliebig herausgegriffene verschiedene Dinge einerlei seien. Ge-<lb/>
langten wir vom ersteren zu 0 = 1, so liess sich auch von da zu <hi rendition="#i">a</hi> = <hi rendition="#i">b</hi><lb/>
fortschreiten.</p><lb/>
          <p>Ist die allgemeine synthetische Proposition <hi rendition="#i">nicht</hi> absurd, so gibt<lb/>
es Werte oder Wertsysteme, deren Einsetzung in die Proposition (für<lb/>
die in ihr vorkommenden nicht schon anderweitig bestimmten Gebiet-<lb/>
symbole) die Wirkung hat, dass eine richtige spezielle Proposition ent-<lb/>
steht. Von solchen, die allgemeine in eine richtige spezielle Propo-<lb/>
sition &#x201E;verwandelnden&#x201C; Wert(system)en sagt man, dass sie die Propo-<lb/>
sition &#x201E;<hi rendition="#i">erfüllen</hi>&#x201C;, derselben &#x201E;<hi rendition="#i">genügen</hi>&#x201C;, sie &#x201E;<hi rendition="#i">bewahrheiten</hi>&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Man nennt sie auch &#x201E;<hi rendition="#i">Wurzeln</hi>&#x201C;, beziehungsweise ein &#x201E;System von<lb/>
Wurzeln&#x201C;, dieser Proposition (Gleichung oder Subsumtion etc.) &#x2014; ent-<lb/>
sprechend dem bei synthetischen Gleichungen in der Mathematik gel-<lb/>
tenden Sprachgebrauche.</p><lb/>
          <p>Sobald die Proposition aber Geltung beansprucht, stellt sie uns<lb/>
vor die Aufgabe, uns unter ihren Buchstabensymbolen solche Gebiete<lb/>
oder Klassen vorzustellen, welche sie &#x201E;erfüllen&#x201C;, m. a. W., diese Sym-<lb/>
bole eben nur bedeuten zu lassen: ein System von &#x201E;Wurzeln&#x201C; der Pro-<lb/>
position. Und um dies für jedermann zu ermöglichen, müssen solche<lb/>
Wurzeln mit Hülfe der in der Proposition etwa sonst noch vorkom-<lb/>
menden bestimmten oder &#x201E;<hi rendition="#i">gegebenen</hi>&#x201C; Gebiete, ihrer sogenannten &#x201E;Para-<lb/>
meter&#x201C;, beschrieben, durch diese übrigen Gebiete ausgedrückt, &#x201E;<hi rendition="#i">berech-<lb/>
net</hi>&#x201C; werden.</p><lb/>
          <p>Die Ausführung dieses Geschäftes heisst das &#x201E;<hi rendition="#i">Auflösen</hi>&#x201C; der Pro-<lb/>
position nach den als ihre &#x201E;Wurzeln&#x201C; zu bestimmenden Gebieten als<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#i">Unbekannten</hi>&#x201C;. Damit sie als solche sogleich erkennbar seien, werden<lb/>
diese erst zu bestimmenden unbekannten Gebiete mit Vorliebe durch<lb/>
die Buchstaben <hi rendition="#i">x</hi>, <hi rendition="#i">y</hi>, <hi rendition="#i">z</hi>, &#x2026; dargestellt, im Gegensatz zu den mit den<lb/>
ersten Buchstaben des Alphabets zu bezeichnenden Parametern.</p><lb/>
          <p>Und zwar erhält man eine &#x201E;besondere&#x201C; oder &#x201E;<hi rendition="#i">partikulare</hi>&#x201C; Lösung<lb/>
der Proposition, wenn die Angabe von Wurzeln nur auf <hi rendition="#i">eine</hi> Weise er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0463] § 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen. sein, wenn sie mit Denknotwendigkeit — nach den Regeln des Kalkuls — auf die Gleichung 1 = 0 hinausläuft. Dass aber auch umgekehrt auf diese Gleichung jede im obigen Sinne absurde Proposition hinauslaufen muss, jede nämlich, die durch kein Wert- system ihrer unbestimmten Symbole erfüllbar ist, werden wir im Aussagen- kalkul sehen. Der vorige Kontext lässt dann nebenher die Thatsache deutlich wer- den, dass sobald einmal ein Unsinn zugegeben wird, dann auch jeder Un- sinn mittelst zwingender Schlüsse sich ableiten oder beweisen lässt — so- fern wir nämlich als Schema solchen Unsinnes die Behauptung nehmen, dass zwei beliebig herausgegriffene verschiedene Dinge einerlei seien. Ge- langten wir vom ersteren zu 0 = 1, so liess sich auch von da zu a = b fortschreiten. Ist die allgemeine synthetische Proposition nicht absurd, so gibt es Werte oder Wertsysteme, deren Einsetzung in die Proposition (für die in ihr vorkommenden nicht schon anderweitig bestimmten Gebiet- symbole) die Wirkung hat, dass eine richtige spezielle Proposition ent- steht. Von solchen, die allgemeine in eine richtige spezielle Propo- sition „verwandelnden“ Wert(system)en sagt man, dass sie die Propo- sition „erfüllen“, derselben „genügen“, sie „bewahrheiten“. Man nennt sie auch „Wurzeln“, beziehungsweise ein „System von Wurzeln“, dieser Proposition (Gleichung oder Subsumtion etc.) — ent- sprechend dem bei synthetischen Gleichungen in der Mathematik gel- tenden Sprachgebrauche. Sobald die Proposition aber Geltung beansprucht, stellt sie uns vor die Aufgabe, uns unter ihren Buchstabensymbolen solche Gebiete oder Klassen vorzustellen, welche sie „erfüllen“, m. a. W., diese Sym- bole eben nur bedeuten zu lassen: ein System von „Wurzeln“ der Pro- position. Und um dies für jedermann zu ermöglichen, müssen solche Wurzeln mit Hülfe der in der Proposition etwa sonst noch vorkom- menden bestimmten oder „gegebenen“ Gebiete, ihrer sogenannten „Para- meter“, beschrieben, durch diese übrigen Gebiete ausgedrückt, „berech- net“ werden. Die Ausführung dieses Geschäftes heisst das „Auflösen“ der Pro- position nach den als ihre „Wurzeln“ zu bestimmenden Gebieten als „Unbekannten“. Damit sie als solche sogleich erkennbar seien, werden diese erst zu bestimmenden unbekannten Gebiete mit Vorliebe durch die Buchstaben x, y, z, … dargestellt, im Gegensatz zu den mit den ersten Buchstaben des Alphabets zu bezeichnenden Parametern. Und zwar erhält man eine „besondere“ oder „partikulare“ Lösung der Proposition, wenn die Angabe von Wurzeln nur auf eine Weise er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/463
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/463>, abgerufen am 22.11.2024.