§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Subjekt schon zu der engeren, so wird es um so mehr auch zu der erweiterten Prädikatklasse gehören.
Sind A und B irgend welche Klassen von Individuen oder völlig bestimmten mittelst Eigennamens bezeichenbaren Objekten des Den- kens -- Klassen, die z. B. als die Umfänge von uns gegebenen Be- griffen bestimmt sein mögen -- so kann man immer eine Mannig- faltigkeit konstruiren, welche die Individuen aus beiden Klassen sämt- lich enthält, und schon mit Bezug auf diese Mannigfaltigkeit (die Mn. A + B) werden dann die Aussagen: "Einige A sind nicht-B" sowie "Alle A sind nicht-B" einen völlig bestimmten Sinn haben, nämlich fähig sein, auszudrücken, dass die Klassen A und B teilweise resp. ganz einander ausschliessen (und zwar im ersteren Falle auch auf welche Weise).
Ganz dasselbe wird auch gelten für eine jede der genannten über- geordnete Mannigfaltigkeit. Und es scheint zunächst nichts im Wege zu stehen, dass wir die letztere sogar sich erstrecken lassen über das ganze Gebiet des überhaupt zu denken Möglichen, dass -- wie wir dies ausdrücken wollen -- wir unsern Betrachtungen zugrunde legen die "absolute Mannigfaltigkeit" (des Denkmöglichen).
Es würde dadurch die als "Verneinung" einer bestimmten Klasse B "schlechtweg" zu bezeichnende Klasse Nicht-B die weiteste Bedeu- tung zugewiesen erhalten, deren sie überhaupt fähig sein kann, sie würde nämlich alle möglichen individuellen Objekte des Denkens zu- sammenschliessen mit Ausnahme der zur Klasse B gehörenden.
In so erweiterter Bedeutung pflegt nun die Wortsprache die durch Verbindung eines Terms B mit der Verneinungspartikel "nicht" von ihr zusammengesetzten Ausdrücke "nicht-B" allerdings gemeinhin nicht aufzufassen, namentlich dann nicht, wenn dieselben in andern Stellungen wie als Prädikat gebraucht werden. Vielmehr bezieht sie dieselben in der Regel stillschweigend nur auf irgend ein dem Begriffe B über- geordnetes genus proximum.
Sprechen wir z. B. von "Nichtkombattanten", so wird das genus proximum (zu Kombattanten) hier etwa die Klasse der zur Armee gehörigen oder aber der an einem Feldzug teilnehmenden Personen sein. Und sicher, wenn wir das Wort als Subjekt eines Satzes, oder im Genitiv, in einem von andern Substantiven regirten Kasus ge- brauchen, werden wir -- wie Lotze treffend betont -- die Pferde, Wagen und Steine am Wege nicht unter die Nicht-Kombattanten einrechnen.
Fällt dagegen das Wort als Prädikat, sagen wir z. B. "die Ärzte
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§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Subjekt schon zu der engeren, so wird es um so mehr auch zu der erweiterten Prädikatklasse gehören.
Sind A und B irgend welche Klassen von Individuen oder völlig bestimmten mittelst Eigennamens bezeichenbaren Objekten des Den- kens — Klassen, die z. B. als die Umfänge von uns gegebenen Be- griffen bestimmt sein mögen — so kann man immer eine Mannig- faltigkeit konstruiren, welche die Individuen aus beiden Klassen sämt- lich enthält, und schon mit Bezug auf diese Mannigfaltigkeit (die Mn. A + B) werden dann die Aussagen: „Einige A sind nicht-B“ sowie „Alle A sind nicht-B“ einen völlig bestimmten Sinn haben, nämlich fähig sein, auszudrücken, dass die Klassen A und B teilweise resp. ganz einander ausschliessen (und zwar im ersteren Falle auch auf welche Weise).
Ganz dasselbe wird auch gelten für eine jede der genannten über- geordnete Mannigfaltigkeit. Und es scheint zunächst nichts im Wege zu stehen, dass wir die letztere sogar sich erstrecken lassen über das ganze Gebiet des überhaupt zu denken Möglichen, dass — wie wir dies ausdrücken wollen — wir unsern Betrachtungen zugrunde legen die „absolute Mannigfaltigkeit“ (des Denkmöglichen).
Es würde dadurch die als „Verneinung“ einer bestimmten Klasse B „schlechtweg“ zu bezeichnende Klasse Nicht-B die weiteste Bedeu- tung zugewiesen erhalten, deren sie überhaupt fähig sein kann, sie würde nämlich alle möglichen individuellen Objekte des Denkens zu- sammenschliessen mit Ausnahme der zur Klasse B gehörenden.
In so erweiterter Bedeutung pflegt nun die Wortsprache die durch Verbindung eines Terms B mit der Verneinungspartikel „nicht“ von ihr zusammengesetzten Ausdrücke „nicht-B“ allerdings gemeinhin nicht aufzufassen, namentlich dann nicht, wenn dieselben in andern Stellungen wie als Prädikat gebraucht werden. Vielmehr bezieht sie dieselben in der Regel stillschweigend nur auf irgend ein dem Begriffe B über- geordnetes genus proximum.
Sprechen wir z. B. von „Nichtkombattanten“, so wird das genus proximum (zu Kombattanten) hier etwa die Klasse der zur Armee gehörigen oder aber der an einem Feldzug teilnehmenden Personen sein. Und sicher, wenn wir das Wort als Subjekt eines Satzes, oder im Genitiv, in einem von andern Substantiven regirten Kasus ge- brauchen, werden wir — wie Lotze treffend betont — die Pferde, Wagen und Steine am Wege nicht unter die Nicht-Kombattanten einrechnen.
Fällt dagegen das Wort als Prädikat, sagen wir z. B. „die Ärzte
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§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Subjekt schon zu der engeren, so wird es um so mehr auch zu der
erweiterten Prädikatklasse gehören.
Sind A und B irgend welche Klassen von Individuen oder völlig
bestimmten mittelst Eigennamens bezeichenbaren Objekten des Den-
kens — Klassen, die z. B. als die Umfänge von uns gegebenen Be-
griffen bestimmt sein mögen — so kann man immer eine Mannig-
faltigkeit konstruiren, welche die Individuen aus beiden Klassen sämt-
lich enthält, und schon mit Bezug auf diese Mannigfaltigkeit (die Mn.
A + B) werden dann die Aussagen: „Einige A sind nicht-B“ sowie
„Alle A sind nicht-B“ einen völlig bestimmten Sinn haben, nämlich
fähig sein, auszudrücken, dass die Klassen A und B teilweise resp.
ganz einander ausschliessen (und zwar im ersteren Falle auch auf
welche Weise).
Ganz dasselbe wird auch gelten für eine jede der genannten über-
geordnete Mannigfaltigkeit. Und es scheint zunächst nichts im Wege
zu stehen, dass wir die letztere sogar sich erstrecken lassen über das
ganze Gebiet des überhaupt zu denken Möglichen, dass — wie wir
dies ausdrücken wollen — wir unsern Betrachtungen zugrunde legen
die „absolute Mannigfaltigkeit“ (des Denkmöglichen).
Es würde dadurch die als „Verneinung“ einer bestimmten Klasse
B „schlechtweg“ zu bezeichnende Klasse Nicht-B die weiteste Bedeu-
tung zugewiesen erhalten, deren sie überhaupt fähig sein kann, sie
würde nämlich alle möglichen individuellen Objekte des Denkens zu-
sammenschliessen mit Ausnahme der zur Klasse B gehörenden.
In so erweiterter Bedeutung pflegt nun die Wortsprache die durch
Verbindung eines Terms B mit der Verneinungspartikel „nicht“ von
ihr zusammengesetzten Ausdrücke „nicht-B“ allerdings gemeinhin nicht
aufzufassen, namentlich dann nicht, wenn dieselben in andern Stellungen
wie als Prädikat gebraucht werden. Vielmehr bezieht sie dieselben in
der Regel stillschweigend nur auf irgend ein dem Begriffe B über-
geordnetes genus proximum.
Sprechen wir z. B. von „Nichtkombattanten“, so wird das genus
proximum (zu Kombattanten) hier etwa die Klasse der zur Armee
gehörigen oder aber der an einem Feldzug teilnehmenden Personen
sein. Und sicher, wenn wir das Wort als Subjekt eines Satzes, oder
im Genitiv, in einem von andern Substantiven regirten Kasus ge-
brauchen, werden wir — wie Lotze treffend betont — die Pferde,
Wagen und Steine am Wege nicht unter die Nicht-Kombattanten
einrechnen.
Fällt dagegen das Wort als Prädikat, sagen wir z. B. „die Ärzte
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/343>, abgerufen am 23.11.2024.
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