Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 4. Erste Grundlagen: Definition der Gleichheit.
miteinander vertauscht werden, oder: Die identische Gleichheit ist eine
"symmetrische" Beziehung
-- ein Satz, der sich, wie wir soeben sahen,
ganz streng beweisen lässt.

Stellen a und b Gebiete vor, so müssen sie, wenn das erste im
zweiten und zugleich das zweite im ersten enthalten sein soll, einan-
der decken, in eines zusammenfallen, koincidiren. Identisch gleiche
Gebiete bezeichnen wir demnach als "einerlei".

Man ersieht hierans, dass -- wie schon in der Einleitung betont --
der Begriff der Gleichheit im identischen Kalkul weit enger gefasst ist,
als in der Grössenlehre. Dort, wo von Maassbestimmungen absolut nicht
die Rede sein soll, dürfen wir zwei Kreise oder Flächen, wenn sie etwa
nur "gleich gross" (inhaltsgleich, sogar, wenn sie auch kongruent) sein
sollten, durchaus nicht als (identisch) "gleich" gelten lassen.

Ungeachtet dieser verschiedenen Interpretation des Gleichheitszeichens
in den beiden Disziplinen ist es doch unbedenklich, sich des nämlichen
Zeichens = für beiderlei Beziehungen zu bedienen selbst dann, wenn An-
wendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der mit Zahl und
Maass operirenden Mathematik beabsichtigt sein sollten. Und zwar aus
zwei Gründen.

Erstens deshalb, weil auch in der Mathematik nicht mit den Grössen
selbst, sondern nur mit deren Maasszahlen, weil darin allgemein nur mit
abstrakten Zablen gerechnet zu werden pflegt. Jede abstrakte Zahl be-
trachtet man aber daselbst als ein nur einmal existirendes Individuum, ver-
sinnlicht etwa durch einen bestimmten Punkt der Zahlenlinie resp. Zahlen-
ebene, und bei dieser Auffassung kommt die Gleichheit zweier Zahlen auch
auf ein Zusammenfallen derselben, auf deren Identität hinaus -- wie schon
S. 146 angedeutet.

Zweitens würden gedachte Anwendungen des identischen Kalkuls auf
das Gebiet der rechnenden Analysis doch vor allem angezeigt erscheinen
-- und könnten in der That von grossem Nutzen werden -- da, wo man
mit vieldeutigen Ausdrücken zu thun bekommt, wo nämlich mit Zahlzeichen
zu operiren ist, die nicht notwendig je eine einzige Zahl, sondern eventuell
eine ganze Klasse oder Gattung von Zahlen vorstellen. Von zwei solchen
Zahlgattungen würde nun eine, A, "untergeordnet oder gleich" einer an-
dern B zu nennen, es würde A B zu schreiben sein, wenn alle Werte,
die A umfasst, unter den Werten von B zu finden sind, und "gleich"
würden die beiden vieldeutigen Ausdrücke A und B heissen müssen, wenn
dies gegenseitig ist, d. h. wenn sie beide ganz die nämlichen Werte um-
fassen. Sobald aber diese identisch gleichen Ausdrücke A und B ein-
deutige Zahlzeichen würden, nämlich die unter A und B verstandenen
Zahlengattungen etwa nur je aus einem Zahlindividuum bestehen sollten, die
Klasse A in den einen Wert a, die B zu der Zahl b zusammenschrumpfte,
dann würde die vorhin statuirte identische Gleichheit A = B der Klassen
doch in der That zusammenfallen mit der arithmetischen Gleichheit a = b
zwischen diesen ihren einzigen Zahlwerten.

So wenig sich auch, wie S. 136, 139 dargelegt, das Zeichen < zur

§ 4. Erste Grundlagen: Definition der Gleichheit.
miteinander vertauscht werden, oder: Die identische Gleichheit ist eine
„symmetrische“ Beziehung
— ein Satz, der sich, wie wir soeben sahen,
ganz streng beweisen lässt.

Stellen a und b Gebiete vor, so müssen sie, wenn das erste im
zweiten und zugleich das zweite im ersten enthalten sein soll, einan-
der decken, in eines zusammenfallen, koincidiren. Identisch gleiche
Gebiete bezeichnen wir demnach als „einerlei“.

Man ersieht hierans, dass — wie schon in der Einleitung betont —
der Begriff der Gleichheit im identischen Kalkul weit enger gefasst ist,
als in der Grössenlehre. Dort, wo von Maassbestimmungen absolut nicht
die Rede sein soll, dürfen wir zwei Kreise oder Flächen, wenn sie etwa
nur „gleich gross“ (inhaltsgleich, sogar, wenn sie auch kongruent) sein
sollten, durchaus nicht als (identisch) „gleich“ gelten lassen.

Ungeachtet dieser verschiedenen Interpretation des Gleichheitszeichens
in den beiden Disziplinen ist es doch unbedenklich, sich des nämlichen
Zeichens = für beiderlei Beziehungen zu bedienen selbst dann, wenn An-
wendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der mit Zahl und
Maass operirenden Mathematik beabsichtigt sein sollten. Und zwar aus
zwei Gründen.

Erstens deshalb, weil auch in der Mathematik nicht mit den Grössen
selbst, sondern nur mit deren Maasszahlen, weil darin allgemein nur mit
abstrakten Zablen gerechnet zu werden pflegt. Jede abstrakte Zahl be-
trachtet man aber daselbst als ein nur einmal existirendes Individuum, ver-
sinnlicht etwa durch einen bestimmten Punkt der Zahlenlinie resp. Zahlen-
ebene, und bei dieser Auffassung kommt die Gleichheit zweier Zahlen auch
auf ein Zusammenfallen derselben, auf deren Identität hinaus — wie schon
S. 146 angedeutet.

Zweitens würden gedachte Anwendungen des identischen Kalkuls auf
das Gebiet der rechnenden Analysis doch vor allem angezeigt erscheinen
— und könnten in der That von grossem Nutzen werden — da, wo man
mit vieldeutigen Ausdrücken zu thun bekommt, wo nämlich mit Zahlzeichen
zu operiren ist, die nicht notwendig je eine einzige Zahl, sondern eventuell
eine ganze Klasse oder Gattung von Zahlen vorstellen. Von zwei solchen
Zahlgattungen würde nun eine, A, „untergeordnet oder gleich“ einer an-
dern B zu nennen, es würde AB zu schreiben sein, wenn alle Werte,
die A umfasst, unter den Werten von B zu finden sind, und „gleich“
würden die beiden vieldeutigen Ausdrücke A und B heissen müssen, wenn
dies gegenseitig ist, d. h. wenn sie beide ganz die nämlichen Werte um-
fassen. Sobald aber diese identisch gleichen Ausdrücke A und B ein-
deutige Zahlzeichen würden, nämlich die unter A und B verstandenen
Zahlengattungen etwa nur je aus einem Zahlindividuum bestehen sollten, die
Klasse A in den einen Wert a, die B zu der Zahl b zusammenschrumpfte,
dann würde die vorhin statuirte identische Gleichheit A = B der Klassen
doch in der That zusammenfallen mit der arithmetischen Gleichheit a = b
zwischen diesen ihren einzigen Zahlwerten.

So wenig sich auch, wie S. 136, 139 dargelegt, das Zeichen < zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="185"/><fw place="top" type="header">§ 4. Erste Grundlagen: Definition der Gleichheit.</fw><lb/><hi rendition="#i">miteinander vertauscht werden</hi>, oder: <hi rendition="#i">Die identische Gleichheit ist eine<lb/>
&#x201E;symmetrische&#x201C; Beziehung</hi> &#x2014; ein Satz, der sich, wie wir soeben sahen,<lb/>
ganz streng beweisen lässt.</p><lb/>
          <p>Stellen <hi rendition="#i">a</hi> und <hi rendition="#i">b</hi> Gebiete vor, so müssen sie, wenn das erste im<lb/>
zweiten und zugleich das zweite im ersten enthalten sein soll, einan-<lb/>
der decken, in eines zusammenfallen, koincidiren. Identisch gleiche<lb/>
Gebiete bezeichnen wir demnach als &#x201E;<hi rendition="#i">einerlei</hi>&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Man ersieht hierans, dass &#x2014; wie schon in der Einleitung betont &#x2014;<lb/>
der Begriff der Gleichheit im identischen Kalkul weit enger gefasst ist,<lb/>
als in der Grössenlehre. Dort, wo von Maassbestimmungen absolut nicht<lb/>
die Rede sein soll, dürfen wir zwei Kreise oder Flächen, wenn sie etwa<lb/>
nur &#x201E;gleich gross&#x201C; (inhaltsgleich, sogar, wenn sie auch kongruent) sein<lb/>
sollten, durchaus nicht als (identisch) &#x201E;gleich&#x201C; gelten lassen.</p><lb/>
          <p>Ungeachtet dieser verschiedenen Interpretation des Gleichheitszeichens<lb/>
in den beiden Disziplinen ist es doch unbedenklich, sich des nämlichen<lb/>
Zeichens = für beiderlei Beziehungen zu bedienen selbst dann, wenn An-<lb/>
wendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der mit Zahl und<lb/>
Maass operirenden Mathematik beabsichtigt sein sollten. Und zwar aus<lb/>
zwei Gründen.</p><lb/>
          <p>Erstens deshalb, weil auch in der Mathematik nicht mit den Grössen<lb/>
selbst, sondern nur mit deren Maasszahlen, weil darin allgemein nur mit<lb/>
abstrakten Zablen gerechnet zu werden pflegt. Jede abstrakte Zahl be-<lb/>
trachtet man aber daselbst als ein nur <hi rendition="#i">ein</hi>mal existirendes Individuum, ver-<lb/>
sinnlicht etwa durch einen bestimmten Punkt der Zahlenlinie resp. Zahlen-<lb/>
ebene, und bei dieser Auffassung kommt die Gleichheit zweier Zahlen auch<lb/>
auf ein Zusammenfallen derselben, auf deren Identität hinaus &#x2014; wie schon<lb/>
S. 146 angedeutet.</p><lb/>
          <p>Zweitens würden gedachte Anwendungen des identischen Kalkuls auf<lb/>
das Gebiet der rechnenden Analysis doch vor allem angezeigt erscheinen<lb/>
&#x2014; und könnten in der That von grossem Nutzen werden &#x2014; da, wo man<lb/>
mit <hi rendition="#i">vieldeutigen Ausdrücken</hi> zu thun bekommt, wo nämlich mit Zahlzeichen<lb/>
zu operiren ist, die nicht notwendig je eine einzige Zahl, sondern eventuell<lb/>
eine ganze Klasse oder Gattung von Zahlen vorstellen. Von zwei solchen<lb/>
Zahlgattungen würde nun eine, <hi rendition="#i">A</hi>, &#x201E;untergeordnet oder gleich&#x201C; einer an-<lb/>
dern <hi rendition="#i">B</hi> zu nennen, es würde <hi rendition="#i">A</hi> &#x22F9; <hi rendition="#i">B</hi> zu schreiben sein, wenn alle Werte,<lb/>
die <hi rendition="#i">A</hi> umfasst, unter den Werten von <hi rendition="#i">B</hi> zu finden sind, und &#x201E;gleich&#x201C;<lb/>
würden die beiden vieldeutigen Ausdrücke <hi rendition="#i">A</hi> und <hi rendition="#i">B</hi> heissen müssen, wenn<lb/>
dies gegenseitig ist, d. h. wenn sie beide ganz die nämlichen Werte um-<lb/>
fassen. Sobald aber diese identisch gleichen Ausdrücke <hi rendition="#i">A</hi> und <hi rendition="#i">B</hi> ein-<lb/>
deutige Zahlzeichen würden, nämlich die unter <hi rendition="#i">A</hi> und <hi rendition="#i">B</hi> verstandenen<lb/>
Zahlengattungen etwa nur je aus <hi rendition="#i">einem</hi> Zahlindividuum bestehen sollten, die<lb/>
Klasse <hi rendition="#i">A</hi> in den einen Wert <hi rendition="#i">a</hi>, die <hi rendition="#i">B</hi> zu der Zahl <hi rendition="#i">b</hi> zusammenschrumpfte,<lb/>
dann würde die vorhin statuirte identische Gleichheit <hi rendition="#i">A</hi> = <hi rendition="#i">B</hi> der Klassen<lb/>
doch in der That zusammenfallen mit der arithmetischen Gleichheit <hi rendition="#i">a</hi> = <hi rendition="#i">b</hi><lb/>
zwischen diesen ihren einzigen Zahlwerten.</p><lb/>
          <p>So wenig sich auch, wie S. 136, 139 dargelegt, das Zeichen &lt; zur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0205] § 4. Erste Grundlagen: Definition der Gleichheit. miteinander vertauscht werden, oder: Die identische Gleichheit ist eine „symmetrische“ Beziehung — ein Satz, der sich, wie wir soeben sahen, ganz streng beweisen lässt. Stellen a und b Gebiete vor, so müssen sie, wenn das erste im zweiten und zugleich das zweite im ersten enthalten sein soll, einan- der decken, in eines zusammenfallen, koincidiren. Identisch gleiche Gebiete bezeichnen wir demnach als „einerlei“. Man ersieht hierans, dass — wie schon in der Einleitung betont — der Begriff der Gleichheit im identischen Kalkul weit enger gefasst ist, als in der Grössenlehre. Dort, wo von Maassbestimmungen absolut nicht die Rede sein soll, dürfen wir zwei Kreise oder Flächen, wenn sie etwa nur „gleich gross“ (inhaltsgleich, sogar, wenn sie auch kongruent) sein sollten, durchaus nicht als (identisch) „gleich“ gelten lassen. Ungeachtet dieser verschiedenen Interpretation des Gleichheitszeichens in den beiden Disziplinen ist es doch unbedenklich, sich des nämlichen Zeichens = für beiderlei Beziehungen zu bedienen selbst dann, wenn An- wendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der mit Zahl und Maass operirenden Mathematik beabsichtigt sein sollten. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens deshalb, weil auch in der Mathematik nicht mit den Grössen selbst, sondern nur mit deren Maasszahlen, weil darin allgemein nur mit abstrakten Zablen gerechnet zu werden pflegt. Jede abstrakte Zahl be- trachtet man aber daselbst als ein nur einmal existirendes Individuum, ver- sinnlicht etwa durch einen bestimmten Punkt der Zahlenlinie resp. Zahlen- ebene, und bei dieser Auffassung kommt die Gleichheit zweier Zahlen auch auf ein Zusammenfallen derselben, auf deren Identität hinaus — wie schon S. 146 angedeutet. Zweitens würden gedachte Anwendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der rechnenden Analysis doch vor allem angezeigt erscheinen — und könnten in der That von grossem Nutzen werden — da, wo man mit vieldeutigen Ausdrücken zu thun bekommt, wo nämlich mit Zahlzeichen zu operiren ist, die nicht notwendig je eine einzige Zahl, sondern eventuell eine ganze Klasse oder Gattung von Zahlen vorstellen. Von zwei solchen Zahlgattungen würde nun eine, A, „untergeordnet oder gleich“ einer an- dern B zu nennen, es würde A ⋹ B zu schreiben sein, wenn alle Werte, die A umfasst, unter den Werten von B zu finden sind, und „gleich“ würden die beiden vieldeutigen Ausdrücke A und B heissen müssen, wenn dies gegenseitig ist, d. h. wenn sie beide ganz die nämlichen Werte um- fassen. Sobald aber diese identisch gleichen Ausdrücke A und B ein- deutige Zahlzeichen würden, nämlich die unter A und B verstandenen Zahlengattungen etwa nur je aus einem Zahlindividuum bestehen sollten, die Klasse A in den einen Wert a, die B zu der Zahl b zusammenschrumpfte, dann würde die vorhin statuirte identische Gleichheit A = B der Klassen doch in der That zusammenfallen mit der arithmetischen Gleichheit a = b zwischen diesen ihren einzigen Zahlwerten. So wenig sich auch, wie S. 136, 139 dargelegt, das Zeichen < zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/205
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/205>, abgerufen am 27.04.2024.