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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Zweite Vorlesung.
pflichtet, wer immer dem dictum des "quidquid valet etc." allgemeine
Geltung zuerkennen will.

Als eine Nutzanwendung hievon bemerkten wir schon in § 2 S. 150,
dass wenn ein Ausdruck wie "einige b" in verschiedenen Sätzen vorkommt,
diese Klasse nicht immer mit demselben Zeichen b', sondern allemal wieder
mit einem neuen b'', b''', etc. im allgemeinen darzustellen sein wird. Und
ähnliches gilt, wo "ein b" als Subjekt eines "unbestimmten" Urteils auf-
tritt. Der identische Kalkul wird ja übrigens zur Darstellung partikularer
sowol als unbestimmter Urteile, über bessere als dieses provisorische Aus-
kunftsmittel späterhin verfügen.

Eine dritte Art von scheinbaren Ausnahmen zu Prinzip II möge ver-
deutlicht werden an dem Beispiele von Jevons:

Alle Werke (Schriften, Stücke) Shakespeare's können (von einer
Person) nicht in einem Tage durchgelesen werden. Hamlet ist ein Werk
von Shakespeare. Ergo kann Hamlet nicht in einem Tage durchgelesen
werden. Für eine deutsche Schule mag man Goethe's Iphigenie als Para-
digma vorziehen.

Der Untersatz und Schluss kann nicht bemängelt werden, wofern es
mit dem Obersatze seine Richtigkeit hat.

Das Subjekt dieses -- oben vorangestellten -- Satzes: "Alle Werke .."
steht hier nicht "distributiv" als eine Klasse, sondern "kollektiv" als eine
Menge; es steht für "die Gesamtheit der Werke", für "alle Werke zusam-
mengenommen
" (cuncti, nicht omnes) und wäre besser durch "Sämtliche
Werke" auszudrücken gewesen.

Das Urteil ist gar kein generelles (abgesehen von der Unbestimmtheit
der durchlesenden Person); es ist kein im engeren Sinne "universales". Ein
"universales" (im weiteren Sinne, schlechtweg) kann es nur genannt wer-
den, insofern es ein "singulares" Urteil ist und die singularen Urteile mit
zu den universalen gerechnet werden.

Wofern der Untersatz nicht gerade Identität zwischen seinem Subjekt
und seinem Prädikate aufweist, wird er -- wie dies oben der Fall -- eine
wirkliche Unterordnung dieses Subjekts unter die Klasse seines Prädikat-
begriffes ausdrücken. Sein Prädikat muss dann also ein allgemeiner oder
Gattungsbegriff sein. Dieses Prädikat des Untersatzes muss aber, als der
Mittelbegriff, zugleich Subjekt des Obersatzes sein (wenn anders ein Subsum-
tionsschluss nach dem Schema II sich soll anbringen lassen) -- was oben
nicht zutrifft; und deshalb war der Schluss hinfällig.

Es sind also blos Unvollkommenheiten unsrer modernen Sprachen
gewesen, die zu den Fehlschlüssen verleitet haben und damit Aus-
nahmen zum Prinzip II zu begründen schienen.

Zusatz zu II. Die Ausdehnung des Satzes II auf mehr als zwei
als Prämissen angenommene Subsumtionen, welche sich so anordnen
lassen, dass bis zur letzten hin das Prädikat einer jeden mit dem Sub-
jekt der auf sie folgenden übereinstimmt, ist naheliegend. Wenn
a b, b c und c d, so folgt auch a d und so weiter.

Der Beweis ist auf Grund von II selbst -- durch mehrmalige An-

Zweite Vorlesung.
pflichtet, wer immer dem dictum des „quidquid valet etc.“ allgemeine
Geltung zuerkennen will.

Als eine Nutzanwendung hievon bemerkten wir schon in § 2 S. 150,
dass wenn ein Ausdruck wie „einige b“ in verschiedenen Sätzen vorkommt,
diese Klasse nicht immer mit demselben Zeichen b', sondern allemal wieder
mit einem neuen b'', b''', etc. im allgemeinen darzustellen sein wird. Und
ähnliches gilt, wo „ein b“ als Subjekt eines „unbestimmten“ Urteils auf-
tritt. Der identische Kalkul wird ja übrigens zur Darstellung partikularer
sowol als unbestimmter Urteile, über bessere als dieses provisorische Aus-
kunftsmittel späterhin verfügen.

Eine dritte Art von scheinbaren Ausnahmen zu Prinzip II möge ver-
deutlicht werden an dem Beispiele von Jevons:

Alle Werke (Schriften, Stücke) Shakespeare's können (von einer
Person) nicht in einem Tage durchgelesen werden. Hamlet ist ein Werk
von Shakespeare. Ergo kann Hamlet nicht in einem Tage durchgelesen
werden. Für eine deutsche Schule mag man Goethe's Iphigenie als Para-
digma vorziehen.

Der Untersatz und Schluss kann nicht bemängelt werden, wofern es
mit dem Obersatze seine Richtigkeit hat.

Das Subjekt dieses — oben vorangestellten — Satzes: „Alle Werke ‥“
steht hier nicht „distributiv“ als eine Klasse, sondern „kollektiv“ als eine
Menge; es steht für „die Gesamtheit der Werke“, für „alle Werke zusam-
mengenommen
“ (cuncti, nicht omnes) und wäre besser durch „Sämtliche
Werke“ auszudrücken gewesen.

Das Urteil ist gar kein generelles (abgesehen von der Unbestimmtheit
der durchlesenden Person); es ist kein im engeren Sinne „universales“. Ein
„universales“ (im weiteren Sinne, schlechtweg) kann es nur genannt wer-
den, insofern es ein „singulares“ Urteil ist und die singularen Urteile mit
zu den universalen gerechnet werden.

Wofern der Untersatz nicht gerade Identität zwischen seinem Subjekt
und seinem Prädikate aufweist, wird er — wie dies oben der Fall — eine
wirkliche Unterordnung dieses Subjekts unter die Klasse seines Prädikat-
begriffes ausdrücken. Sein Prädikat muss dann also ein allgemeiner oder
Gattungsbegriff sein. Dieses Prädikat des Untersatzes muss aber, als der
Mittelbegriff, zugleich Subjekt des Obersatzes sein (wenn anders ein Subsum-
tionsschluss nach dem Schema II sich soll anbringen lassen) — was oben
nicht zutrifft; und deshalb war der Schluss hinfällig.

Es sind also blos Unvollkommenheiten unsrer modernen Sprachen
gewesen, die zu den Fehlschlüssen verleitet haben und damit Aus-
nahmen zum Prinzip II zu begründen schienen.

Zusatz zu II. Die Ausdehnung des Satzes II auf mehr als zwei
als Prämissen angenommene Subsumtionen, welche sich so anordnen
lassen, dass bis zur letzten hin das Prädikat einer jeden mit dem Sub-
jekt der auf sie folgenden übereinstimmt, ist naheliegend. Wenn
ab, bc und cd, so folgt auch ad und so weiter.

Der Beweis ist auf Grund von II selbst — durch mehrmalige An-

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[182/0202] Zweite Vorlesung. pflichtet, wer immer dem dictum des „quidquid valet etc.“ allgemeine Geltung zuerkennen will. Als eine Nutzanwendung hievon bemerkten wir schon in § 2 S. 150, dass wenn ein Ausdruck wie „einige b“ in verschiedenen Sätzen vorkommt, diese Klasse nicht immer mit demselben Zeichen b', sondern allemal wieder mit einem neuen b'', b''', etc. im allgemeinen darzustellen sein wird. Und ähnliches gilt, wo „ein b“ als Subjekt eines „unbestimmten“ Urteils auf- tritt. Der identische Kalkul wird ja übrigens zur Darstellung partikularer sowol als unbestimmter Urteile, über bessere als dieses provisorische Aus- kunftsmittel späterhin verfügen. Eine dritte Art von scheinbaren Ausnahmen zu Prinzip II möge ver- deutlicht werden an dem Beispiele von Jevons: Alle Werke (Schriften, Stücke) Shakespeare's können (von einer Person) nicht in einem Tage durchgelesen werden. Hamlet ist ein Werk von Shakespeare. Ergo kann Hamlet nicht in einem Tage durchgelesen werden. Für eine deutsche Schule mag man Goethe's Iphigenie als Para- digma vorziehen. Der Untersatz und Schluss kann nicht bemängelt werden, wofern es mit dem Obersatze seine Richtigkeit hat. Das Subjekt dieses — oben vorangestellten — Satzes: „Alle Werke ‥“ steht hier nicht „distributiv“ als eine Klasse, sondern „kollektiv“ als eine Menge; es steht für „die Gesamtheit der Werke“, für „alle Werke zusam- mengenommen“ (cuncti, nicht omnes) und wäre besser durch „Sämtliche Werke“ auszudrücken gewesen. Das Urteil ist gar kein generelles (abgesehen von der Unbestimmtheit der durchlesenden Person); es ist kein im engeren Sinne „universales“. Ein „universales“ (im weiteren Sinne, schlechtweg) kann es nur genannt wer- den, insofern es ein „singulares“ Urteil ist und die singularen Urteile mit zu den universalen gerechnet werden. Wofern der Untersatz nicht gerade Identität zwischen seinem Subjekt und seinem Prädikate aufweist, wird er — wie dies oben der Fall — eine wirkliche Unterordnung dieses Subjekts unter die Klasse seines Prädikat- begriffes ausdrücken. Sein Prädikat muss dann also ein allgemeiner oder Gattungsbegriff sein. Dieses Prädikat des Untersatzes muss aber, als der Mittelbegriff, zugleich Subjekt des Obersatzes sein (wenn anders ein Subsum- tionsschluss nach dem Schema II sich soll anbringen lassen) — was oben nicht zutrifft; und deshalb war der Schluss hinfällig. Es sind also blos Unvollkommenheiten unsrer modernen Sprachen gewesen, die zu den Fehlschlüssen verleitet haben und damit Aus- nahmen zum Prinzip II zu begründen schienen. Zusatz zu II. Die Ausdehnung des Satzes II auf mehr als zwei als Prämissen angenommene Subsumtionen, welche sich so anordnen lassen, dass bis zur letzten hin das Prädikat einer jeden mit dem Sub- jekt der auf sie folgenden übereinstimmt, ist naheliegend. Wenn a ⋹ b, b ⋹ c und c ⋹ d, so folgt auch a ⋹ d und so weiter. Der Beweis ist auf Grund von II selbst — durch mehrmalige An-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/202>, abgerufen am 27.04.2024.