Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Vorlesung.
dem allgemeinen Urteil erhoben, dass die Berührung mit Feuer
brennenden Schmerz verursacht. Und jener Art des Schliessens vom
Besondern auf's Besondre -- des "Analogieschlusses" -- ist schon das
Tier fähig; auch der "asinus ad lapidem non bis offendit eundem",
selbst der Esel stösst nicht zwei mal an denselben Stein. Mit dem
allgemeinen Satze aber, wie ihn der Induktionsschluss liefert, erhebt
sich der menschliche Intellekt über den des Tieres. Dieser Satz ist
das wirksamste und sicherste Mittel, aus bisherigen Erfahrungen für
weitere Fälle Nutzen zu ziehen, dieselben zu verwerten. Derselbe ent-
lastet das Gedächtniss von der Anforderung, die Einzelwahrnehmungen
selbst (in ihrer vielleicht grossen Anzahl) mit all' ihren Nebenumständen
und Details zu behalten; er gewährt die Erleichterung, gestattet, alles
Nebensächliche zu vergessen; indem durch ihn diese Einzelwahr-
nehmungen gleichsam summarisch gebucht, nur das Facit aus den-
selben gezogen wird, bildet er die bequemste Form, dieselben zur
Nutzanwendung auf weitere Einzelfälle in der Erinnerung aufzuspeichern
und im Geiste zurecht zu legen. Er bildet dann die Vermittelung, das
Band, die Brücke, über die von jenen vielleicht schon im Gedächt-
niss gelöschten zu diesen neuen Fällen der Subsumtionsschluss uns
hinüberführt.

Den Satz "Alle Menschen sind sterblich" auf die bereits gestorbenen
Menschen anzuwenden würde freilich ein ziemlich unnützes Beginnen
sein. Aber wenden wir nicht diesen Satz (als Obersatz in Verbindung
mit dem Untersatze "N. N. ist ein Mensch" und der Konklusion: "ergo
ist N. N. sterblich") fortwährend an auf uns und unsre noch lebenden
Mitmenschen? Und wie anders würde es in der Welt aussehen, wenn
nicht unsre ganze Lebensführung unter der Herrschaft dieses Syllogis-
mus stünde? Dass man kein Logiker zu sein braucht, um ihn zu
machen, nimmt ihm nichts von seiner Wichtigkeit. (Wundt l. c.)

Oft auch handelt es sich darum mit Hülfe der Konklusion fest-
zustellen, ob eine Prämisse zulässig ist -- wie dies schon S. 11 an-
gedeutet wurde -- eine Prämisse, die zunächst noch einen provisorischen
oder hypothetischen Charakter hat. Der Chemiker z. B., der eine Sub-
stanz zu verbrennen versucht, um zu ermitteln, ob sie organischen
Ursprungs sei, steht unter der Herrschaft eines Syllogismus, dessen
Obersatz lautet: "Alle organischen Körper sind verbrennlich", dessen
Untersatz: "Diese Substanz ist organisch" aber erst durch das that-
sächliche Eintreffen oder Nichteintreffen des Schlusses: "Diese Sub-
stanz ist verbrennlich" als eine zulässige (und dann noch weiter zu
verfolgende, vollends ausser Zweifel zu setzende) oder aber als eine

Zweite Vorlesung.
dem allgemeinen Urteil erhoben, dass die Berührung mit Feuer
brennenden Schmerz verursacht. Und jener Art des Schliessens vom
Besondern auf's Besondre — des „Analogieschlusses“ — ist schon das
Tier fähig; auch der „asinus ad lapidem non bis offendit eundem“,
selbst der Esel stösst nicht zwei mal an denselben Stein. Mit dem
allgemeinen Satze aber, wie ihn der Induktionsschluss liefert, erhebt
sich der menschliche Intellekt über den des Tieres. Dieser Satz ist
das wirksamste und sicherste Mittel, aus bisherigen Erfahrungen für
weitere Fälle Nutzen zu ziehen, dieselben zu verwerten. Derselbe ent-
lastet das Gedächtniss von der Anforderung, die Einzelwahrnehmungen
selbst (in ihrer vielleicht grossen Anzahl) mit all' ihren Nebenumständen
und Details zu behalten; er gewährt die Erleichterung, gestattet, alles
Nebensächliche zu vergessen; indem durch ihn diese Einzelwahr-
nehmungen gleichsam summarisch gebucht, nur das Facit aus den-
selben gezogen wird, bildet er die bequemste Form, dieselben zur
Nutzanwendung auf weitere Einzelfälle in der Erinnerung aufzuspeichern
und im Geiste zurecht zu legen. Er bildet dann die Vermittelung, das
Band, die Brücke, über die von jenen vielleicht schon im Gedächt-
niss gelöschten zu diesen neuen Fällen der Subsumtionsschluss uns
hinüberführt.

Den Satz „Alle Menschen sind sterblich“ auf die bereits gestorbenen
Menschen anzuwenden würde freilich ein ziemlich unnützes Beginnen
sein. Aber wenden wir nicht diesen Satz (als Obersatz in Verbindung
mit dem Untersatze „N. N. ist ein Mensch“ und der Konklusion: „ergo
ist N. N. sterblich“) fortwährend an auf uns und unsre noch lebenden
Mitmenschen? Und wie anders würde es in der Welt aussehen, wenn
nicht unsre ganze Lebensführung unter der Herrschaft dieses Syllogis-
mus stünde? Dass man kein Logiker zu sein braucht, um ihn zu
machen, nimmt ihm nichts von seiner Wichtigkeit. (Wundt l. c.)

Oft auch handelt es sich darum mit Hülfe der Konklusion fest-
zustellen, ob eine Prämisse zulässig ist — wie dies schon S. 11 an-
gedeutet wurde — eine Prämisse, die zunächst noch einen provisorischen
oder hypothetischen Charakter hat. Der Chemiker z. B., der eine Sub-
stanz zu verbrennen versucht, um zu ermitteln, ob sie organischen
Ursprungs sei, steht unter der Herrschaft eines Syllogismus, dessen
Obersatz lautet: „Alle organischen Körper sind verbrennlich“, dessen
Untersatz: „Diese Substanz ist organisch“ aber erst durch das that-
sächliche Eintreffen oder Nichteintreffen des Schlusses: „Diese Sub-
stanz ist verbrennlich“ als eine zulässige (und dann noch weiter zu
verfolgende, vollends ausser Zweifel zu setzende) oder aber als eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="178"/><fw place="top" type="header">Zweite Vorlesung.</fw><lb/>
dem allgemeinen Urteil erhoben, dass die Berührung mit Feuer<lb/>
brennenden Schmerz verursacht. Und jener Art des Schliessens vom<lb/>
Besondern auf's Besondre &#x2014; des &#x201E;<hi rendition="#i">Analogieschlusses</hi>&#x201C; &#x2014; ist schon das<lb/>
Tier fähig; auch der &#x201E;asinus ad lapidem non bis offendit eundem&#x201C;,<lb/>
selbst der Esel stösst nicht zwei mal an denselben Stein. Mit dem<lb/>
allgemeinen Satze aber, wie ihn der Induktionsschluss liefert, erhebt<lb/>
sich der menschliche Intellekt über den des Tieres. Dieser Satz ist<lb/>
das wirksamste und sicherste Mittel, aus bisherigen Erfahrungen für<lb/>
weitere Fälle Nutzen zu ziehen, dieselben zu verwerten. Derselbe ent-<lb/>
lastet das Gedächtniss von der Anforderung, die Einzelwahrnehmungen<lb/>
selbst (in ihrer vielleicht grossen Anzahl) mit all' ihren Nebenumständen<lb/>
und Details zu behalten; er gewährt die Erleichterung, gestattet, alles<lb/>
Nebensächliche zu vergessen; indem durch ihn diese Einzelwahr-<lb/>
nehmungen gleichsam summarisch gebucht, nur das Facit aus den-<lb/>
selben gezogen wird, bildet er die bequemste Form, dieselben zur<lb/>
Nutzanwendung auf weitere Einzelfälle in der Erinnerung aufzuspeichern<lb/>
und im Geiste zurecht zu legen. Er bildet dann die Vermittelung, das<lb/>
Band, die Brücke, über die von jenen vielleicht schon im Gedächt-<lb/>
niss gelöschten zu diesen neuen Fällen der Subsumtionsschluss uns<lb/>
hinüberführt.</p><lb/>
          <p>Den Satz &#x201E;Alle Menschen sind sterblich&#x201C; auf die bereits gestorbenen<lb/>
Menschen anzuwenden würde freilich ein ziemlich unnützes Beginnen<lb/>
sein. Aber wenden wir nicht diesen Satz (als Obersatz in Verbindung<lb/>
mit dem Untersatze &#x201E;N. N. ist ein Mensch&#x201C; und der Konklusion: &#x201E;ergo<lb/>
ist N. N. sterblich&#x201C;) fortwährend an auf uns und unsre noch lebenden<lb/>
Mitmenschen? Und wie anders würde es in der Welt aussehen, wenn<lb/>
nicht unsre ganze Lebensführung unter der Herrschaft dieses Syllogis-<lb/>
mus stünde? Dass man kein Logiker zu sein braucht, um ihn zu<lb/>
machen, nimmt ihm nichts von seiner Wichtigkeit. (<hi rendition="#g">Wundt</hi> l. c.)</p><lb/>
          <p>Oft auch handelt es sich darum mit Hülfe der Konklusion fest-<lb/>
zustellen, ob eine Prämisse zulässig ist &#x2014; wie dies schon S. 11 an-<lb/>
gedeutet wurde &#x2014; eine Prämisse, die zunächst noch einen provisorischen<lb/>
oder hypothetischen Charakter hat. Der Chemiker z. B., der eine Sub-<lb/>
stanz zu verbrennen versucht, um zu ermitteln, ob sie organischen<lb/>
Ursprungs sei, steht unter der Herrschaft eines Syllogismus, dessen<lb/>
Obersatz lautet: &#x201E;Alle organischen Körper sind verbrennlich&#x201C;, dessen<lb/>
Untersatz: &#x201E;Diese Substanz ist organisch&#x201C; aber erst durch das that-<lb/>
sächliche Eintreffen oder Nichteintreffen des Schlusses: &#x201E;Diese Sub-<lb/>
stanz ist verbrennlich&#x201C; als eine zulässige (und dann noch weiter zu<lb/>
verfolgende, vollends ausser Zweifel zu setzende) oder aber als eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0198] Zweite Vorlesung. dem allgemeinen Urteil erhoben, dass die Berührung mit Feuer brennenden Schmerz verursacht. Und jener Art des Schliessens vom Besondern auf's Besondre — des „Analogieschlusses“ — ist schon das Tier fähig; auch der „asinus ad lapidem non bis offendit eundem“, selbst der Esel stösst nicht zwei mal an denselben Stein. Mit dem allgemeinen Satze aber, wie ihn der Induktionsschluss liefert, erhebt sich der menschliche Intellekt über den des Tieres. Dieser Satz ist das wirksamste und sicherste Mittel, aus bisherigen Erfahrungen für weitere Fälle Nutzen zu ziehen, dieselben zu verwerten. Derselbe ent- lastet das Gedächtniss von der Anforderung, die Einzelwahrnehmungen selbst (in ihrer vielleicht grossen Anzahl) mit all' ihren Nebenumständen und Details zu behalten; er gewährt die Erleichterung, gestattet, alles Nebensächliche zu vergessen; indem durch ihn diese Einzelwahr- nehmungen gleichsam summarisch gebucht, nur das Facit aus den- selben gezogen wird, bildet er die bequemste Form, dieselben zur Nutzanwendung auf weitere Einzelfälle in der Erinnerung aufzuspeichern und im Geiste zurecht zu legen. Er bildet dann die Vermittelung, das Band, die Brücke, über die von jenen vielleicht schon im Gedächt- niss gelöschten zu diesen neuen Fällen der Subsumtionsschluss uns hinüberführt. Den Satz „Alle Menschen sind sterblich“ auf die bereits gestorbenen Menschen anzuwenden würde freilich ein ziemlich unnützes Beginnen sein. Aber wenden wir nicht diesen Satz (als Obersatz in Verbindung mit dem Untersatze „N. N. ist ein Mensch“ und der Konklusion: „ergo ist N. N. sterblich“) fortwährend an auf uns und unsre noch lebenden Mitmenschen? Und wie anders würde es in der Welt aussehen, wenn nicht unsre ganze Lebensführung unter der Herrschaft dieses Syllogis- mus stünde? Dass man kein Logiker zu sein braucht, um ihn zu machen, nimmt ihm nichts von seiner Wichtigkeit. (Wundt l. c.) Oft auch handelt es sich darum mit Hülfe der Konklusion fest- zustellen, ob eine Prämisse zulässig ist — wie dies schon S. 11 an- gedeutet wurde — eine Prämisse, die zunächst noch einen provisorischen oder hypothetischen Charakter hat. Der Chemiker z. B., der eine Sub- stanz zu verbrennen versucht, um zu ermitteln, ob sie organischen Ursprungs sei, steht unter der Herrschaft eines Syllogismus, dessen Obersatz lautet: „Alle organischen Körper sind verbrennlich“, dessen Untersatz: „Diese Substanz ist organisch“ aber erst durch das that- sächliche Eintreffen oder Nichteintreffen des Schlusses: „Diese Sub- stanz ist verbrennlich“ als eine zulässige (und dann noch weiter zu verfolgende, vollends ausser Zweifel zu setzende) oder aber als eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/198
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/198>, abgerufen am 25.11.2024.