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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Erste Vorlesung.
weise der logischen Materie bildet gerade hiefür eine beträchtliche Er-
schwerung. Zufolge der verbindenden Stellung, die sie zwischen Philosophie
einer- und Mathematik andrerseits einzunehmen bestimmt ist, werden wir
in der That auf zwei -- wie schon im Vorwort erwähnt -- fast allzu
verschieden disponirte Leserkreise stetsfort bedacht zu nehmen haben.

Die Hauptmasse aber des mit der Theorie des identischen Gebietekal-
kuls hier zu verflechtenden Beiwerks wird von sachlicher Art sein, nämlich
aus Nutzanwendungen des Kalkuls für die Zwecke der Logik selbst zu
bestehen haben. Von diesen finden wir für gut, einen (ersten) Teil wenig-
stens gleich neben der Theorie einherlaufen zu lassen, und zwar den Teil,
welcher abzielt auf die Verwertung des Kalkuls behufs Einkleidung in
seine Zeichensprache zunächst derjenigen Beziehungen, welche zwischen
Klassen oder Begriffsumfängen die Wortsprache auszudrücken vermag.

Begriffe und Sätze oder Formeln des "identischen" Kalkuls (be-
ziehungsweise des damit verwandten logischen, vergl. die sechste Vor-
lesung) werden (überhaupt) die verschiedenartigsten Anwendungen
zulassen, Anwendungen, die sich lediglich unterscheiden durch die
Deutungsweise, Interpretation der hier als allgemeine Symbole ver-
wendeten Buchstaben, und demgemäss auch der sie verknüpfenden
Operations- und Beziehungszeichen. Wir werden namentlich unter den
Buchstaben verstehen können:

a) Gebiete einer Mannigfaltigkeit von Elementen,
b) Klassen oder Gattungen von Individuen, insbesondere auch Be-
griffe, nach ihrem Umfang betrachtet, desgl.
g) Begriffe nach ihrem Inhalt betrachtet, speziell auch Vor-
stellungen,
d) Urteile, Behauptungen, Aussagen ("statements"),
e) Schlüsse ("inferences")*),
z) Funktionalgleichungen, Algorithmen, Kalkuln, "Gruppen",

-- kurzum, bei geeigneter Auslegung der Zeichen so ziemlich alles
Denkmögliche.

Wenn demnach als Vorwurf, Thema der deduktiven Logik ge-
meinhin bezeichnet wird die Lehre von den Begriffen, Urteilen und
Schlüssen, so wird zu sehen sein, dass auch auf diese Objekte unsre
Hülfsdisziplin des identischen Kalkuls sich mitbezieht. Sie wird sich
auf dieselben direkt übertragen lassen, indem man einfach einen Wechsel
in der Deutung der Zeichen vollzieht.

Wie schon angedeutet, würde unsre Darstellung des identischen
Kalkuls an Übersichtlichkeit allerdings gewinnen, wenn wir ihn zu-
nächst nur als reinen Gebietekalkul, lediglich unter dem Gesichtspunkte

*) Die "Schlüsse" können selbst als "Urteile" hingestellt werden -- welche
den denknotwendigen Zusammenhang zwischen Prämisse und Konklusion konstatiren.

Erste Vorlesung.
weise der logischen Materie bildet gerade hiefür eine beträchtliche Er-
schwerung. Zufolge der verbindenden Stellung, die sie zwischen Philosophie
einer- und Mathematik andrerseits einzunehmen bestimmt ist, werden wir
in der That auf zwei — wie schon im Vorwort erwähnt — fast allzu
verschieden disponirte Leserkreise stetsfort bedacht zu nehmen haben.

Die Hauptmasse aber des mit der Theorie des identischen Gebietekal-
kuls hier zu verflechtenden Beiwerks wird von sachlicher Art sein, nämlich
aus Nutzanwendungen des Kalkuls für die Zwecke der Logik selbst zu
bestehen haben. Von diesen finden wir für gut, einen (ersten) Teil wenig-
stens gleich neben der Theorie einherlaufen zu lassen, und zwar den Teil,
welcher abzielt auf die Verwertung des Kalkuls behufs Einkleidung in
seine Zeichensprache zunächst derjenigen Beziehungen, welche zwischen
Klassen oder Begriffsumfängen die Wortsprache auszudrücken vermag.

Begriffe und Sätze oder Formeln des „identischen“ Kalkuls (be-
ziehungsweise des damit verwandten logischen, vergl. die sechste Vor-
lesung) werden (überhaupt) die verschiedenartigsten Anwendungen
zulassen, Anwendungen, die sich lediglich unterscheiden durch die
Deutungsweise, Interpretation der hier als allgemeine Symbole ver-
wendeten Buchstaben, und demgemäss auch der sie verknüpfenden
Operations- und Beziehungszeichen. Wir werden namentlich unter den
Buchstaben verstehen können:

α) Gebiete einer Mannigfaltigkeit von Elementen,
β) Klassen oder Gattungen von Individuen, insbesondere auch Be-
griffe, nach ihrem Umfang betrachtet, desgl.
γ) Begriffe nach ihrem Inhalt betrachtet, speziell auch Vor-
stellungen,
δ) Urteile, Behauptungen, Aussagen („statements“),
ε) Schlüsse („inferences“)*),
ζ) Funktionalgleichungen, Algorithmen, Kalkuln, „Gruppen“,

— kurzum, bei geeigneter Auslegung der Zeichen so ziemlich alles
Denkmögliche.

Wenn demnach als Vorwurf, Thema der deduktiven Logik ge-
meinhin bezeichnet wird die Lehre von den Begriffen, Urteilen und
Schlüssen, so wird zu sehen sein, dass auch auf diese Objekte unsre
Hülfsdisziplin des identischen Kalkuls sich mitbezieht. Sie wird sich
auf dieselben direkt übertragen lassen, indem man einfach einen Wechsel
in der Deutung der Zeichen vollzieht.

Wie schon angedeutet, würde unsre Darstellung des identischen
Kalkuls an Übersichtlichkeit allerdings gewinnen, wenn wir ihn zu-
nächst nur als reinen Gebietekalkul, lediglich unter dem Gesichtspunkte

*) Die „Schlüsse“ können selbst als „Urteile“ hingestellt werden — welche
den denknotwendigen Zusammenhang zwischen Prämisse und Konklusion konstatiren.
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[160/0180] Erste Vorlesung. weise der logischen Materie bildet gerade hiefür eine beträchtliche Er- schwerung. Zufolge der verbindenden Stellung, die sie zwischen Philosophie einer- und Mathematik andrerseits einzunehmen bestimmt ist, werden wir in der That auf zwei — wie schon im Vorwort erwähnt — fast allzu verschieden disponirte Leserkreise stetsfort bedacht zu nehmen haben. Die Hauptmasse aber des mit der Theorie des identischen Gebietekal- kuls hier zu verflechtenden Beiwerks wird von sachlicher Art sein, nämlich aus Nutzanwendungen des Kalkuls für die Zwecke der Logik selbst zu bestehen haben. Von diesen finden wir für gut, einen (ersten) Teil wenig- stens gleich neben der Theorie einherlaufen zu lassen, und zwar den Teil, welcher abzielt auf die Verwertung des Kalkuls behufs Einkleidung in seine Zeichensprache zunächst derjenigen Beziehungen, welche zwischen Klassen oder Begriffsumfängen die Wortsprache auszudrücken vermag. Begriffe und Sätze oder Formeln des „identischen“ Kalkuls (be- ziehungsweise des damit verwandten logischen, vergl. die sechste Vor- lesung) werden (überhaupt) die verschiedenartigsten Anwendungen zulassen, Anwendungen, die sich lediglich unterscheiden durch die Deutungsweise, Interpretation der hier als allgemeine Symbole ver- wendeten Buchstaben, und demgemäss auch der sie verknüpfenden Operations- und Beziehungszeichen. Wir werden namentlich unter den Buchstaben verstehen können: α) Gebiete einer Mannigfaltigkeit von Elementen, β) Klassen oder Gattungen von Individuen, insbesondere auch Be- griffe, nach ihrem Umfang betrachtet, desgl. γ) Begriffe nach ihrem Inhalt betrachtet, speziell auch Vor- stellungen, δ) Urteile, Behauptungen, Aussagen („statements“), ε) Schlüsse („inferences“) *), ζ) Funktionalgleichungen, Algorithmen, Kalkuln, „Gruppen“, — kurzum, bei geeigneter Auslegung der Zeichen so ziemlich alles Denkmögliche. Wenn demnach als Vorwurf, Thema der deduktiven Logik ge- meinhin bezeichnet wird die Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen, so wird zu sehen sein, dass auch auf diese Objekte unsre Hülfsdisziplin des identischen Kalkuls sich mitbezieht. Sie wird sich auf dieselben direkt übertragen lassen, indem man einfach einen Wechsel in der Deutung der Zeichen vollzieht. Wie schon angedeutet, würde unsre Darstellung des identischen Kalkuls an Übersichtlichkeit allerdings gewinnen, wenn wir ihn zu- nächst nur als reinen Gebietekalkul, lediglich unter dem Gesichtspunkte *) Die „Schlüsse“ können selbst als „Urteile“ hingestellt werden — welche den denknotwendigen Zusammenhang zwischen Prämisse und Konklusion konstatiren.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/180>, abgerufen am 27.04.2024.