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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Erste Vorlesung.
gesetzt ist, in diese vorrätige Klasse auch einfach diejenige der Wander-
heuschrecken "einordne".

Im Gegenteil: die Thatsache wird wol den meisten Lesern über-
raschend und neu sein, so wie es z. B. auch in weiteren Kreisen un-
bekannt sein mag, dass eine Krebsart, Mysis, das Gehörorgan sogar
an den Schwanzflossen trägt. Ein solches Urteil wird uns nicht schon
im Besitz der Prädikatklasse antreffen, sondern uns höchstens Veran-
lassung werden, dass wir eine solche Klasse erst aufstellen. Wesent-
lich wird jenes Urteil nur unsern Begriff von den Wanderheuschrecken
berichtigen oder vervollständigen, uns nötigend, diese Tiere, während
wir bislang bei ihnen an Gehörorgane vielleicht niemals gedacht haben,
fortan mit Trommelfellen, Tympanums, zu beiden Seiten jedes Schien-
beins*) ausgestattet zu denken.

Auch der sprachliche Ausdruck unsrer als Beispiel gewählten Aus-
sage ist durch die Umschreibung nur schwerfälliger geworden. Un-
streitig aber gibt diese Umschreibung doch die nämliche Information
wie die ursprüngliche Aussage, und ihr Vorzug besteht darin, dass sie
die Beziehung zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriffe rein
nach deren Umfangsverhältnisse darstellt, wodurch diese Beziehung in
der auf das Subsumtionszeichen gegründeten Zeichensprache, in Gestalt
von a b, nunmehr ausdrückbar wird. Und die Vorteile solcher Aus-
drucksweise -- wo immer es sich um logische Fragen handelt --
werden im weiteren Verfolg unsrer Theorie genugsam zutage treten.

Ähnliche Bemerkungen, wie an das Vorhergegangene, würden nun
auch mutatis mutandis an manche der nachfolgend anzuführenden Bei-
spiele sich anknüpfen lassen; indess werden wir nicht mehr ausdrück-
lich darauf hinweisen.

Eines aber sei hier noch hervorgehoben: in Bezug auf verneinende
Urteile.

Es ist geltend gemacht worden, die durch eine Verneinung
geforderte permanente Sonderung, Auseinanderhaltung oder Trennung
von Merkmalen sei so wesentlich verschieden von der durch ein be-
jahendes Urteil angeregten Verknüpfung solcher, dass es keinen Wert
habe, beide Operationen unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten,
unter ein gemeinsames Schema sie zu bringen. Dies aber dürfte doch
absprechend, vorschnell geurteilt sein.

Sagen wir z. B. "das Wasser sei nicht zusammendrückbar (inkompres-

*) Diese Ausdrucksweise ist begreiflich eine anthropomorphistische. Bei
Insekten, Heuschrecken von "Waden" zu reden ist jedoch in der Zoologie rezipirt.

Erste Vorlesung.
gesetzt ist, in diese vorrätige Klasse auch einfach diejenige der Wander-
heuschrecken „einordne“.

Im Gegenteil: die Thatsache wird wol den meisten Lesern über-
raschend und neu sein, so wie es z. B. auch in weiteren Kreisen un-
bekannt sein mag, dass eine Krebsart, Mysis, das Gehörorgan sogar
an den Schwanzflossen trägt. Ein solches Urteil wird uns nicht schon
im Besitz der Prädikatklasse antreffen, sondern uns höchstens Veran-
lassung werden, dass wir eine solche Klasse erst aufstellen. Wesent-
lich wird jenes Urteil nur unsern Begriff von den Wanderheuschrecken
berichtigen oder vervollständigen, uns nötigend, diese Tiere, während
wir bislang bei ihnen an Gehörorgane vielleicht niemals gedacht haben,
fortan mit Trommelfellen, Tympanums, zu beiden Seiten jedes Schien-
beins*) ausgestattet zu denken.

Auch der sprachliche Ausdruck unsrer als Beispiel gewählten Aus-
sage ist durch die Umschreibung nur schwerfälliger geworden. Un-
streitig aber gibt diese Umschreibung doch die nämliche Information
wie die ursprüngliche Aussage, und ihr Vorzug besteht darin, dass sie
die Beziehung zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriffe rein
nach deren Umfangsverhältnisse darstellt, wodurch diese Beziehung in
der auf das Subsumtionszeichen gegründeten Zeichensprache, in Gestalt
von ab, nunmehr ausdrückbar wird. Und die Vorteile solcher Aus-
drucksweise — wo immer es sich um logische Fragen handelt —
werden im weiteren Verfolg unsrer Theorie genugsam zutage treten.

Ähnliche Bemerkungen, wie an das Vorhergegangene, würden nun
auch mutatis mutandis an manche der nachfolgend anzuführenden Bei-
spiele sich anknüpfen lassen; indess werden wir nicht mehr ausdrück-
lich darauf hinweisen.

Eines aber sei hier noch hervorgehoben: in Bezug auf verneinende
Urteile.

Es ist geltend gemacht worden, die durch eine Verneinung
geforderte permanente Sonderung, Auseinanderhaltung oder Trennung
von Merkmalen sei so wesentlich verschieden von der durch ein be-
jahendes Urteil angeregten Verknüpfung solcher, dass es keinen Wert
habe, beide Operationen unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten,
unter ein gemeinsames Schema sie zu bringen. Dies aber dürfte doch
absprechend, vorschnell geurteilt sein.

Sagen wir z. B. „das Wasser sei nicht zusammendrückbar (inkompres-

*) Diese Ausdrucksweise ist begreiflich eine anthropomorphistische. Bei
Insekten, Heuschrecken von „Waden“ zu reden ist jedoch in der Zoologie rezipirt.
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[144/0164] Erste Vorlesung. gesetzt ist, in diese vorrätige Klasse auch einfach diejenige der Wander- heuschrecken „einordne“. Im Gegenteil: die Thatsache wird wol den meisten Lesern über- raschend und neu sein, so wie es z. B. auch in weiteren Kreisen un- bekannt sein mag, dass eine Krebsart, Mysis, das Gehörorgan sogar an den Schwanzflossen trägt. Ein solches Urteil wird uns nicht schon im Besitz der Prädikatklasse antreffen, sondern uns höchstens Veran- lassung werden, dass wir eine solche Klasse erst aufstellen. Wesent- lich wird jenes Urteil nur unsern Begriff von den Wanderheuschrecken berichtigen oder vervollständigen, uns nötigend, diese Tiere, während wir bislang bei ihnen an Gehörorgane vielleicht niemals gedacht haben, fortan mit Trommelfellen, Tympanums, zu beiden Seiten jedes Schien- beins *) ausgestattet zu denken. Auch der sprachliche Ausdruck unsrer als Beispiel gewählten Aus- sage ist durch die Umschreibung nur schwerfälliger geworden. Un- streitig aber gibt diese Umschreibung doch die nämliche Information wie die ursprüngliche Aussage, und ihr Vorzug besteht darin, dass sie die Beziehung zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriffe rein nach deren Umfangsverhältnisse darstellt, wodurch diese Beziehung in der auf das Subsumtionszeichen gegründeten Zeichensprache, in Gestalt von a ⋹ b, nunmehr ausdrückbar wird. Und die Vorteile solcher Aus- drucksweise — wo immer es sich um logische Fragen handelt — werden im weiteren Verfolg unsrer Theorie genugsam zutage treten. Ähnliche Bemerkungen, wie an das Vorhergegangene, würden nun auch mutatis mutandis an manche der nachfolgend anzuführenden Bei- spiele sich anknüpfen lassen; indess werden wir nicht mehr ausdrück- lich darauf hinweisen. Eines aber sei hier noch hervorgehoben: in Bezug auf verneinende Urteile. Es ist geltend gemacht worden, die durch eine Verneinung geforderte permanente Sonderung, Auseinanderhaltung oder Trennung von Merkmalen sei so wesentlich verschieden von der durch ein be- jahendes Urteil angeregten Verknüpfung solcher, dass es keinen Wert habe, beide Operationen unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten, unter ein gemeinsames Schema sie zu bringen. Dies aber dürfte doch absprechend, vorschnell geurteilt sein. Sagen wir z. B. „das Wasser sei nicht zusammendrückbar (inkompres- *) Diese Ausdrucksweise ist begreiflich eine anthropomorphistische. Bei Insekten, Heuschrecken von „Waden“ zu reden ist jedoch in der Zoologie rezipirt.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/164>, abgerufen am 27.04.2024.