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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
Man wird z. B. dessen inne, wenn man im nächsten besten (Frage)-
Satze die Emphase, den Nachdruck der Reihe nach auf's erste oder
aber zweite u. s. w. bis letzte Wort legt.

Z. B. ".. Wenn Sie den Mut haben!" "Hat er die Lisette geheiratet?" Etc.

Ich will dabei nicht reden von Fällen, wo die Betonung geradezu den
Sinn des Satzes selbst verändert, wie der bekannte Ausspruch: "von der
Seite kannt' ich dich noch nicht" dies erfuhr, als ein schlechter Schau-
spieler mit der Betonung: "von der Seite kannt' ich dich noch nicht" den-
selben deklamirte. Ich will nur reden von den Wirkungen des Satzes, die
unbeschadet seines logischen Gehaltes nebenher gehen können. So sagt
z. B. der Ausdruck "Meine Wenigkeit" logisch nicht mehr als "ich"; ersterer
aber hat einen Beigeschmack von affektirter Bescheidenheit. Etc.

Von einem mitunter ganz beträchtlichen Teil dieses lebendigen
Inhaltes, des "psychologischen Gehalts" des Urteils sieht ohnehin die
Logik ab -- nicht nur die unsrige, die Logik des Umfanges, sondern
die Logik überhaupt. Diese kümmert sich um das Urteil nur insofern,
als es mit dem, was es ausdrücklich ausspricht, wahr oder falsch ist,
resp. durch die Konsequenz zu denken geboten oder weiteres zu
denken nötigend.

Wie aber der "logische Gehalt" des Urteils hienach nur als ein Aus-
zug, ein Excerpt aus dessen sprachlich angedeutetem Gehalte erscheint, so
verhält sich wol auch schon dieser zu dem ihm zugrunde liegenden Gedanken
und mag der Dichter (Victor v. Scheffel) recht haben, wenn er sagt:

"Die Sprache ist ein edel Ding,
Doch hat sie ihre Schranken;
Ich glaub', noch immer fehlt's am Wort
Für die feinsten und tiefsten Gedanken."

Dieser Auffassung gemäss soll nun auch nicht behauptet sein,
dass durch die beabsichtigte Darstellung eines Urteils als Subsumtion
dasselbe etwa nach seiner psychologischen Natur genauer dargelegt, dass
es damit in irgend einer andern als eben nur der logischen Hinsicht
angemessener oder besser dargestellt werde!

Als Beispiel betrachte man das Urteil: "Die Wanderheuschrecken
haben ihre Ohren an den Waden". Wir bestehen darauf, dass dieses
logisch äquivalent ist mit dem Satze: "Die Klasse der Wanderheu-
schrecken ist enthalten in der Klasse der Geschöpfe (Wesen oder über-
haupt "Dinge"), welche (ihre) Ohren (Gehörorgane) an (den) Waden
tragen". Keineswegs jedoch soll damit etwa unterstellt oder für die
Auffassung plädirt werden, als ob der Hörer in seinem Geiste bereits
vorgebildet habe die Vorstellung einer Klasse von Wesen, die das
Gehörorgan an der unteren Hälfte der Extremitäten besitzen, und dass
er nun, nachdem er durch das Urteil von der Thatsache in Kenntniss

§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
Man wird z. B. dessen inne, wenn man im nächsten besten (Frage)-
Satze die Emphase, den Nachdruck der Reihe nach auf's erste oder
aber zweite u. s. w. bis letzte Wort legt.

Z. B. „‥ Wenn Sie den Mut haben!“ „Hat er die Lisette geheiratet?“ Etc.

Ich will dabei nicht reden von Fällen, wo die Betonung geradezu den
Sinn des Satzes selbst verändert, wie der bekannte Ausspruch: „von der
Seite kannt' ich dich noch nicht“ dies erfuhr, als ein schlechter Schau-
spieler mit der Betonung: „von der Seite kannt' ich dich noch nicht“ den-
selben deklamirte. Ich will nur reden von den Wirkungen des Satzes, die
unbeschadet seines logischen Gehaltes nebenher gehen können. So sagt
z. B. der Ausdruck „Meine Wenigkeit“ logisch nicht mehr als „ich“; ersterer
aber hat einen Beigeschmack von affektirter Bescheidenheit. Etc.

Von einem mitunter ganz beträchtlichen Teil dieses lebendigen
Inhaltes, des „psychologischen Gehalts“ des Urteils sieht ohnehin die
Logik ab — nicht nur die unsrige, die Logik des Umfanges, sondern
die Logik überhaupt. Diese kümmert sich um das Urteil nur insofern,
als es mit dem, was es ausdrücklich ausspricht, wahr oder falsch ist,
resp. durch die Konsequenz zu denken geboten oder weiteres zu
denken nötigend.

Wie aber der „logische Gehalt“ des Urteils hienach nur als ein Aus-
zug, ein Excerpt aus dessen sprachlich angedeutetem Gehalte erscheint, so
verhält sich wol auch schon dieser zu dem ihm zugrunde liegenden Gedanken
und mag der Dichter (Victor v. Scheffel) recht haben, wenn er sagt:

„Die Sprache ist ein edel Ding,
Doch hat sie ihre Schranken;
Ich glaub', noch immer fehlt's am Wort
Für die feinsten und tiefsten Gedanken.“

Dieser Auffassung gemäss soll nun auch nicht behauptet sein,
dass durch die beabsichtigte Darstellung eines Urteils als Subsumtion
dasselbe etwa nach seiner psychologischen Natur genauer dargelegt, dass
es damit in irgend einer andern als eben nur der logischen Hinsicht
angemessener oder besser dargestellt werde!

Als Beispiel betrachte man das Urteil: „Die Wanderheuschrecken
haben ihre Ohren an den Waden“. Wir bestehen darauf, dass dieses
logisch äquivalent ist mit dem Satze: „Die Klasse der Wanderheu-
schrecken ist enthalten in der Klasse der Geschöpfe (Wesen oder über-
haupt „Dinge“), welche (ihre) Ohren (Gehörorgane) an (den) Waden
tragen“. Keineswegs jedoch soll damit etwa unterstellt oder für die
Auffassung plädirt werden, als ob der Hörer in seinem Geiste bereits
vorgebildet habe die Vorstellung einer Klasse von Wesen, die das
Gehörorgan an der unteren Hälfte der Extremitäten besitzen, und dass
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[143/0163] § 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile. Man wird z. B. dessen inne, wenn man im nächsten besten (Frage)- Satze die Emphase, den Nachdruck der Reihe nach auf's erste oder aber zweite u. s. w. bis letzte Wort legt. Z. B. „‥ Wenn Sie den Mut haben!“ „Hat er die Lisette geheiratet?“ Etc. Ich will dabei nicht reden von Fällen, wo die Betonung geradezu den Sinn des Satzes selbst verändert, wie der bekannte Ausspruch: „von der Seite kannt' ich dich noch nicht“ dies erfuhr, als ein schlechter Schau- spieler mit der Betonung: „von der Seite kannt' ich dich noch nicht“ den- selben deklamirte. Ich will nur reden von den Wirkungen des Satzes, die unbeschadet seines logischen Gehaltes nebenher gehen können. So sagt z. B. der Ausdruck „Meine Wenigkeit“ logisch nicht mehr als „ich“; ersterer aber hat einen Beigeschmack von affektirter Bescheidenheit. Etc. Von einem mitunter ganz beträchtlichen Teil dieses lebendigen Inhaltes, des „psychologischen Gehalts“ des Urteils sieht ohnehin die Logik ab — nicht nur die unsrige, die Logik des Umfanges, sondern die Logik überhaupt. Diese kümmert sich um das Urteil nur insofern, als es mit dem, was es ausdrücklich ausspricht, wahr oder falsch ist, resp. durch die Konsequenz zu denken geboten oder weiteres zu denken nötigend. Wie aber der „logische Gehalt“ des Urteils hienach nur als ein Aus- zug, ein Excerpt aus dessen sprachlich angedeutetem Gehalte erscheint, so verhält sich wol auch schon dieser zu dem ihm zugrunde liegenden Gedanken und mag der Dichter (Victor v. Scheffel) recht haben, wenn er sagt: „Die Sprache ist ein edel Ding, Doch hat sie ihre Schranken; Ich glaub', noch immer fehlt's am Wort Für die feinsten und tiefsten Gedanken.“ Dieser Auffassung gemäss soll nun auch nicht behauptet sein, dass durch die beabsichtigte Darstellung eines Urteils als Subsumtion dasselbe etwa nach seiner psychologischen Natur genauer dargelegt, dass es damit in irgend einer andern als eben nur der logischen Hinsicht angemessener oder besser dargestellt werde! Als Beispiel betrachte man das Urteil: „Die Wanderheuschrecken haben ihre Ohren an den Waden“. Wir bestehen darauf, dass dieses logisch äquivalent ist mit dem Satze: „Die Klasse der Wanderheu- schrecken ist enthalten in der Klasse der Geschöpfe (Wesen oder über- haupt „Dinge“), welche (ihre) Ohren (Gehörorgane) an (den) Waden tragen“. Keineswegs jedoch soll damit etwa unterstellt oder für die Auffassung plädirt werden, als ob der Hörer in seinem Geiste bereits vorgebildet habe die Vorstellung einer Klasse von Wesen, die das Gehörorgan an der unteren Hälfte der Extremitäten besitzen, und dass er nun, nachdem er durch das Urteil von der Thatsache in Kenntniss

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/163>, abgerufen am 27.04.2024.