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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 1. Subsumtion.
er könnte sich dadurch den Vorwurf einer gewissen Unredlichkeit,
Verstellung zuziehn. Für den Hörer aber, der etwa nicht schon von
vornherein sachlich orientirt wäre, der seine Information über die Lage
von Paris erst aus der obigen Aussage schöpfen müsste, würde diese
Aussage ein irre führendes psychologisches Moment enthalten. Und
dennoch: Weniger zu sagen als man weiss, ist erlaubt; und aus der
Fülle der verfügbaren Kenntnisse Dasjenige hervorzuheben, was für
einen bestimmten Zweck verwertbar ist, und demgemäss Anderes un-
benutzt zu lassen, ist allgemeine Praxis in den Wissenschaften. Ge-
schah dies in dem citirten Ausspruch zwecklos, so hat es hier, bei 10)
zu geschehen zu dem Zwecke, den verschiedenen möglichen Fällen,
die wir unter 20) und 30) aufgezählt haben, eine einheitliche Behand-
lung angedeihen zu lassen, wie denn auch die Wortsprache faktisch
für sie alle der nämlichen Kopula "ist" oder "sind" sich bedient.

Noch eines kommt hinzu, den obigen (Paris betreffenden) Aus-
spruch in jeder andern als der logischen Hinsicht als verwerflich er-
scheinen zu lassen: es ist der Umstand, dass es hier einen grösseren
Aufwand von Worten erforderte, dass es umständlicher war, die in dem
Ausspruch gegebene unvollständige Information zu liefern, als es ge-
wesen wäre (in Gestalt des Ausspruchs: "Paris liegt an der Seine")
die vollständigere Information zu geben.

Die gleiche Ausstellung wird man -- anscheinend -- uns auch
später machen können, wenn wir in einer Subsumtion a b das
Zeichen als "untergeordnet oder gleich" lesen, während wir in
einem Falle sehr wohl wissen, dass wirkliche Unterordnung, in einem
andern Falle vielleicht, dass eigentlich Gleichheit stattfindet!

Hier wird eben nicht ausser Acht zu lassen sein, dass es sich
für uns, indem wir "untergeordnet oder gleich" sagten, in erster Linie
um eine genaue Darstellung, um charakteristische Wiedergabe des
Sinnes der Kopula handelte. Das ist freilich umständlicher, als nur
"untergeordnet" oder aber blos "gleich" zu sagen. Die Wortsprache
aber hat für den kürzeren Ausdruck "ist", wofern sie nicht --
noch kürzer -- dies Beziehungszeichen gänzlich unübersetzt lässt, wie
z. B. die russische Sprache, zuweilen auch die lateinische (vergl. "ars
longa", etc.).

Überhaupt haben wir bereits gesehen, dass -- im Gegensatz zu
vorigem abschreckenden Beispiele -- die unvollständigere Information
10) den weitaus kürzeren sprachlichen Ausdruck in der That besitzt.
Dies aber gilt für alle Kultursprachen und ist darum nicht etwa blos
für einen zufälligen Umstand, eine Äusserlichkeit der betreffenden

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er könnte sich dadurch den Vorwurf einer gewissen Unredlichkeit,
Verstellung zuziehn. Für den Hörer aber, der etwa nicht schon von
vornherein sachlich orientirt wäre, der seine Information über die Lage
von Paris erst aus der obigen Aussage schöpfen müsste, würde diese
Aussage ein irre führendes psychologisches Moment enthalten. Und
dennoch: Weniger zu sagen als man weiss, ist erlaubt; und aus der
Fülle der verfügbaren Kenntnisse Dasjenige hervorzuheben, was für
einen bestimmten Zweck verwertbar ist, und demgemäss Anderes un-
benutzt zu lassen, ist allgemeine Praxis in den Wissenschaften. Ge-
schah dies in dem citirten Ausspruch zwecklos, so hat es hier, bei 10)
zu geschehen zu dem Zwecke, den verschiedenen möglichen Fällen,
die wir unter 20) und 30) aufgezählt haben, eine einheitliche Behand-
lung angedeihen zu lassen, wie denn auch die Wortsprache faktisch
für sie alle der nämlichen Kopula „ist“ oder „sind“ sich bedient.

Noch eines kommt hinzu, den obigen (Paris betreffenden) Aus-
spruch in jeder andern als der logischen Hinsicht als verwerflich er-
scheinen zu lassen: es ist der Umstand, dass es hier einen grösseren
Aufwand von Worten erforderte, dass es umständlicher war, die in dem
Ausspruch gegebene unvollständige Information zu liefern, als es ge-
wesen wäre (in Gestalt des Ausspruchs: „Paris liegt an der Seine“)
die vollständigere Information zu geben.

Die gleiche Ausstellung wird man — anscheinend — uns auch
später machen können, wenn wir in einer Subsumtion ab das
Zeichen ⋹ als „untergeordnet oder gleich“ lesen, während wir in
einem Falle sehr wohl wissen, dass wirkliche Unterordnung, in einem
andern Falle vielleicht, dass eigentlich Gleichheit stattfindet!

Hier wird eben nicht ausser Acht zu lassen sein, dass es sich
für uns, indem wir „untergeordnet oder gleich“ sagten, in erster Linie
um eine genaue Darstellung, um charakteristische Wiedergabe des
Sinnes der Kopula handelte. Das ist freilich umständlicher, als nur
„untergeordnet“ oder aber blos „gleich“ zu sagen. Die Wortsprache
aber hat für ⋹ den kürzeren Ausdruck „ist“, wofern sie nicht —
noch kürzer — dies Beziehungszeichen gänzlich unübersetzt lässt, wie
z. B. die russische Sprache, zuweilen auch die lateinische (vergl. „ars
longa“, etc.).

Überhaupt haben wir bereits gesehen, dass — im Gegensatz zu
vorigem abschreckenden Beispiele — die unvollständigere Information
10) den weitaus kürzeren sprachlichen Ausdruck in der That besitzt.
Dies aber gilt für alle Kultursprachen und ist darum nicht etwa blos
für einen zufälligen Umstand, eine Äusserlichkeit der betreffenden

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[135/0155] § 1. Subsumtion. er könnte sich dadurch den Vorwurf einer gewissen Unredlichkeit, Verstellung zuziehn. Für den Hörer aber, der etwa nicht schon von vornherein sachlich orientirt wäre, der seine Information über die Lage von Paris erst aus der obigen Aussage schöpfen müsste, würde diese Aussage ein irre führendes psychologisches Moment enthalten. Und dennoch: Weniger zu sagen als man weiss, ist erlaubt; und aus der Fülle der verfügbaren Kenntnisse Dasjenige hervorzuheben, was für einen bestimmten Zweck verwertbar ist, und demgemäss Anderes un- benutzt zu lassen, ist allgemeine Praxis in den Wissenschaften. Ge- schah dies in dem citirten Ausspruch zwecklos, so hat es hier, bei 10) zu geschehen zu dem Zwecke, den verschiedenen möglichen Fällen, die wir unter 20) und 30) aufgezählt haben, eine einheitliche Behand- lung angedeihen zu lassen, wie denn auch die Wortsprache faktisch für sie alle der nämlichen Kopula „ist“ oder „sind“ sich bedient. Noch eines kommt hinzu, den obigen (Paris betreffenden) Aus- spruch in jeder andern als der logischen Hinsicht als verwerflich er- scheinen zu lassen: es ist der Umstand, dass es hier einen grösseren Aufwand von Worten erforderte, dass es umständlicher war, die in dem Ausspruch gegebene unvollständige Information zu liefern, als es ge- wesen wäre (in Gestalt des Ausspruchs: „Paris liegt an der Seine“) die vollständigere Information zu geben. Die gleiche Ausstellung wird man — anscheinend — uns auch später machen können, wenn wir in einer Subsumtion a ⋹ b das Zeichen ⋹ als „untergeordnet oder gleich“ lesen, während wir in einem Falle sehr wohl wissen, dass wirkliche Unterordnung, in einem andern Falle vielleicht, dass eigentlich Gleichheit stattfindet! Hier wird eben nicht ausser Acht zu lassen sein, dass es sich für uns, indem wir „untergeordnet oder gleich“ sagten, in erster Linie um eine genaue Darstellung, um charakteristische Wiedergabe des Sinnes der Kopula handelte. Das ist freilich umständlicher, als nur „untergeordnet“ oder aber blos „gleich“ zu sagen. Die Wortsprache aber hat für ⋹ den kürzeren Ausdruck „ist“, wofern sie nicht — noch kürzer — dies Beziehungszeichen gänzlich unübersetzt lässt, wie z. B. die russische Sprache, zuweilen auch die lateinische (vergl. „ars longa“, etc.). Überhaupt haben wir bereits gesehen, dass — im Gegensatz zu vorigem abschreckenden Beispiele — die unvollständigere Information 10) den weitaus kürzeren sprachlichen Ausdruck in der That besitzt. Dies aber gilt für alle Kultursprachen und ist darum nicht etwa blos für einen zufälligen Umstand, eine Äusserlichkeit der betreffenden

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/155>, abgerufen am 27.04.2024.