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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
wol ein Merkmal einer dritten Person (oder Sache) C nennen. Im Merk-
mal muss eine Bezugnahme auf das Ding zu erblicken sein, sobald wir
dieses ausdenken.

Wir pflegen nun jeweils solche Dinge mit demselben Gemeinnamen
zu benennen, welche dadurch, dass sie einander in Hinsicht bestimmter
Merkmale gleichen, sich uns sozusagen von selber zur Belehnung mit
dem gleichen Namen empfehlen.

r2) Schon als Vorbedingung und weiterhin im Verlauf dieses Be-
nennungsprozesses sowie bei dem Gebrauch des dadurch geschaffenen
Gemeinnamens treten allemal die übereinstimmenden Merkmale jener
Dinge in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, denn sie gerade bilden
das Band zwischen den wechselnden Vorstellungen der individuell ver-
schiedenen Dinge, welche der Gemeinname umfasst, und dem sich
gleichbleibenden Namen. Es wird (in Kant's Ausdrucksweise) auf
jene übereinstimmenden Merkmale "reflektirt".

Mit dem Gemeinnamen "teuer" (teures Ding) z. B. werden wir ver-
schiedene Gegenstände nur dann bezeichnen, wenn wir auf die Höhe ihres
Preises achten, mit dem Gemeinnamen "rund" nur solche, bei denen auf
ihre Gestalt wir unser Augenmerk richten und deren Übereinstimmung mit
der Kugelgestalt wahrnehmen. Etc.

Infolgedessen aber spielt sich ab, vollzieht sich im Geiste ein
eigentümlicher psychologischer Vorgang, welcher darin gipfelt, dass
wir mit dem Gemeinnamen einen "Begriff" verbinden.

Die übereinstimmenden Merkmale der Dinge, die wir mit dem-
selben Gemeinnamen bezeichnen, verstärken sich gegenseitig im Be-
wusstsein, werden als wiederholt vorgestellte intensiver gedacht, wo-
gegen deren nicht übereinstimmende Merkmale im Bewusstsein zu-
rücktreten.

In unserm Hirn mag diesem Vorgang ein Prozess entsprechen, welcher
treffend verglichen worden ist mit der Vertiefung einer Furche des Ackers,
wie sie durch wiederholtes Pflügen entlang derselben bewirkt wird.
Schopenhauer1 zieht zum Vergleiche heran: die durch wiederholte und
andauernde Umbiegung längs derselben Kanten sich ausbildende Neigung
eines Tuches, sich in bestimmter Faltung zu legen. Bei der unzweifel-
haften Feinheit der uns grösstenteils noch unbekannten Vorgänge im Ge-
hirne, welche die Denkhandlungen begleiten und deren Erforschung der
Physiologie obliegt, sind jedoch beide Vergleiche nur als sehr rohe An-
näherungen aufzufassen, als ein blosser Notbehelf zu nehmen.

Beneke fasst obigen Verstärkungsprozess als eine Anziehung des
Gleichartigen
(in unserm Geiste) auf.

s2) Es kann diese Wirkung noch mit bewusster Absicht gesteigert
werden kraft eines andern Vermögens des Menschengeistes (auf das

Schröder, Algebra der Logik. 6

Einleitung.
wol ein Merkmal einer dritten Person (oder Sache) C nennen. Im Merk-
mal muss eine Bezugnahme auf das Ding zu erblicken sein, sobald wir
dieses ausdenken.

Wir pflegen nun jeweils solche Dinge mit demselben Gemeinnamen
zu benennen, welche dadurch, dass sie einander in Hinsicht bestimmter
Merkmale gleichen, sich uns sozusagen von selber zur Belehnung mit
dem gleichen Namen empfehlen.

ϱ2) Schon als Vorbedingung und weiterhin im Verlauf dieses Be-
nennungsprozesses sowie bei dem Gebrauch des dadurch geschaffenen
Gemeinnamens treten allemal die übereinstimmenden Merkmale jener
Dinge in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, denn sie gerade bilden
das Band zwischen den wechselnden Vorstellungen der individuell ver-
schiedenen Dinge, welche der Gemeinname umfasst, und dem sich
gleichbleibenden Namen. Es wird (in Kant's Ausdrucksweise) auf
jene übereinstimmenden Merkmale „reflektirt“.

Mit dem Gemeinnamen „teuer“ (teures Ding) z. B. werden wir ver-
schiedene Gegenstände nur dann bezeichnen, wenn wir auf die Höhe ihres
Preises achten, mit dem Gemeinnamen „rund“ nur solche, bei denen auf
ihre Gestalt wir unser Augenmerk richten und deren Übereinstimmung mit
der Kugelgestalt wahrnehmen. Etc.

Infolgedessen aber spielt sich ab, vollzieht sich im Geiste ein
eigentümlicher psychologischer Vorgang, welcher darin gipfelt, dass
wir mit dem Gemeinnamen einen „Begriff“ verbinden.

Die übereinstimmenden Merkmale der Dinge, die wir mit dem-
selben Gemeinnamen bezeichnen, verstärken sich gegenseitig im Be-
wusstsein, werden als wiederholt vorgestellte intensiver gedacht, wo-
gegen deren nicht übereinstimmende Merkmale im Bewusstsein zu-
rücktreten.

In unserm Hirn mag diesem Vorgang ein Prozess entsprechen, welcher
treffend verglichen worden ist mit der Vertiefung einer Furche des Ackers,
wie sie durch wiederholtes Pflügen entlang derselben bewirkt wird.
Schopenhauer1 zieht zum Vergleiche heran: die durch wiederholte und
andauernde Umbiegung längs derselben Kanten sich ausbildende Neigung
eines Tuches, sich in bestimmter Faltung zu legen. Bei der unzweifel-
haften Feinheit der uns grösstenteils noch unbekannten Vorgänge im Ge-
hirne, welche die Denkhandlungen begleiten und deren Erforschung der
Physiologie obliegt, sind jedoch beide Vergleiche nur als sehr rohe An-
näherungen aufzufassen, als ein blosser Notbehelf zu nehmen.

Beneke fasst obigen Verstärkungsprozess als eine Anziehung des
Gleichartigen
(in unserm Geiste) auf.

σ2) Es kann diese Wirkung noch mit bewusster Absicht gesteigert
werden kraft eines andern Vermögens des Menschengeistes (auf das

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[81/0101] Einleitung. wol ein Merkmal einer dritten Person (oder Sache) C nennen. Im Merk- mal muss eine Bezugnahme auf das Ding zu erblicken sein, sobald wir dieses ausdenken. Wir pflegen nun jeweils solche Dinge mit demselben Gemeinnamen zu benennen, welche dadurch, dass sie einander in Hinsicht bestimmter Merkmale gleichen, sich uns sozusagen von selber zur Belehnung mit dem gleichen Namen empfehlen. ϱ2) Schon als Vorbedingung und weiterhin im Verlauf dieses Be- nennungsprozesses sowie bei dem Gebrauch des dadurch geschaffenen Gemeinnamens treten allemal die übereinstimmenden Merkmale jener Dinge in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, denn sie gerade bilden das Band zwischen den wechselnden Vorstellungen der individuell ver- schiedenen Dinge, welche der Gemeinname umfasst, und dem sich gleichbleibenden Namen. Es wird (in Kant's Ausdrucksweise) auf jene übereinstimmenden Merkmale „reflektirt“. Mit dem Gemeinnamen „teuer“ (teures Ding) z. B. werden wir ver- schiedene Gegenstände nur dann bezeichnen, wenn wir auf die Höhe ihres Preises achten, mit dem Gemeinnamen „rund“ nur solche, bei denen auf ihre Gestalt wir unser Augenmerk richten und deren Übereinstimmung mit der Kugelgestalt wahrnehmen. Etc. Infolgedessen aber spielt sich ab, vollzieht sich im Geiste ein eigentümlicher psychologischer Vorgang, welcher darin gipfelt, dass wir mit dem Gemeinnamen einen „Begriff“ verbinden. Die übereinstimmenden Merkmale der Dinge, die wir mit dem- selben Gemeinnamen bezeichnen, verstärken sich gegenseitig im Be- wusstsein, werden als wiederholt vorgestellte intensiver gedacht, wo- gegen deren nicht übereinstimmende Merkmale im Bewusstsein zu- rücktreten. In unserm Hirn mag diesem Vorgang ein Prozess entsprechen, welcher treffend verglichen worden ist mit der Vertiefung einer Furche des Ackers, wie sie durch wiederholtes Pflügen entlang derselben bewirkt wird. Schopenhauer1 zieht zum Vergleiche heran: die durch wiederholte und andauernde Umbiegung längs derselben Kanten sich ausbildende Neigung eines Tuches, sich in bestimmter Faltung zu legen. Bei der unzweifel- haften Feinheit der uns grösstenteils noch unbekannten Vorgänge im Ge- hirne, welche die Denkhandlungen begleiten und deren Erforschung der Physiologie obliegt, sind jedoch beide Vergleiche nur als sehr rohe An- näherungen aufzufassen, als ein blosser Notbehelf zu nehmen. Beneke fasst obigen Verstärkungsprozess als eine Anziehung des Gleichartigen (in unserm Geiste) auf. σ2) Es kann diese Wirkung noch mit bewusster Absicht gesteigert werden kraft eines andern Vermögens des Menschengeistes (auf das Schröder, Algebra der Logik. 6

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/101>, abgerufen am 28.11.2024.