Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.todt sein, setzte er leiser hinzu; ihre Hände und Schläfe sind warm, und ich glaube von Zeit zu Zeit eine leise Regung ihres Pulses zu fühlen. In dem Augenblicke trat der Arzt aus dem nächsten Marktflecken in das Zimmer. Er bestätigte, nach der ersten Untersuchung, Maxens Vermuthung und ordnete Einiges zur weiteren Behandlung der Scheintodten an. Ich hatte mich auf einen Stuhl niederlassen müssen und erwartete mit unbeschreiblicher Bangigkeit den Ausgang der Sache. Plötzlich hörte ich Max aufschreien: Sie lebt! Sie schlägt die Augen auf. -- Ich stürzte auf ihn zu und drückte ihn sprachlos in meine Arme. Der Arzt bedeutete uns, still zu sein, weil die Kranke noch nicht ganz zur Besinnung gekommen wäre. Wir zogen uns behutsam zurück, indem wir unsere Freude so viel als möglich unterdrückten. Gretchen lag eins Weile mit offenen, gerade aufwärts stehenden Augen; ihre Wangen fingen an, sich zu färben; endlich wandte sie Gesicht und Blicke nach unserer Seite. -- Max! rief sie, ihm ihre Hand freundlich entgegenstreckend. Der junge Mensch eilte auf sie zu und küßte die ihm dargebotene Hand mit großer Innigkeit. Auch ich war näher getreten; sie wurde mich gewahr und reichte mir die andere Hand hin. Er hat mir das Leben gerettet, sagte sie, mit dem Kopf gegen Max nickend; es war ein grauser Tod, der mir drohte, lieber Herr Brink! -- Sie leben, sagte ich, ihre Hand an meine Lippen drückend, Sie sind uns wiedergegeben, theures Gretchen! Er hat todt sein, setzte er leiser hinzu; ihre Hände und Schläfe sind warm, und ich glaube von Zeit zu Zeit eine leise Regung ihres Pulses zu fühlen. In dem Augenblicke trat der Arzt aus dem nächsten Marktflecken in das Zimmer. Er bestätigte, nach der ersten Untersuchung, Maxens Vermuthung und ordnete Einiges zur weiteren Behandlung der Scheintodten an. Ich hatte mich auf einen Stuhl niederlassen müssen und erwartete mit unbeschreiblicher Bangigkeit den Ausgang der Sache. Plötzlich hörte ich Max aufschreien: Sie lebt! Sie schlägt die Augen auf. — Ich stürzte auf ihn zu und drückte ihn sprachlos in meine Arme. Der Arzt bedeutete uns, still zu sein, weil die Kranke noch nicht ganz zur Besinnung gekommen wäre. Wir zogen uns behutsam zurück, indem wir unsere Freude so viel als möglich unterdrückten. Gretchen lag eins Weile mit offenen, gerade aufwärts stehenden Augen; ihre Wangen fingen an, sich zu färben; endlich wandte sie Gesicht und Blicke nach unserer Seite. — Max! rief sie, ihm ihre Hand freundlich entgegenstreckend. Der junge Mensch eilte auf sie zu und küßte die ihm dargebotene Hand mit großer Innigkeit. Auch ich war näher getreten; sie wurde mich gewahr und reichte mir die andere Hand hin. Er hat mir das Leben gerettet, sagte sie, mit dem Kopf gegen Max nickend; es war ein grauser Tod, der mir drohte, lieber Herr Brink! — Sie leben, sagte ich, ihre Hand an meine Lippen drückend, Sie sind uns wiedergegeben, theures Gretchen! Er hat <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0079"/> todt sein, setzte er leiser hinzu; ihre Hände und Schläfe sind warm, und ich glaube von Zeit zu Zeit eine leise Regung ihres Pulses zu fühlen.</p><lb/> <p>In dem Augenblicke trat der Arzt aus dem nächsten Marktflecken in das Zimmer. Er bestätigte, nach der ersten Untersuchung, Maxens Vermuthung und ordnete Einiges zur weiteren Behandlung der Scheintodten an. Ich hatte mich auf einen Stuhl niederlassen müssen und erwartete mit unbeschreiblicher Bangigkeit den Ausgang der Sache. Plötzlich hörte ich Max aufschreien: Sie lebt! Sie schlägt die Augen auf. — Ich stürzte auf ihn zu und drückte ihn sprachlos in meine Arme.</p><lb/> <p>Der Arzt bedeutete uns, still zu sein, weil die Kranke noch nicht ganz zur Besinnung gekommen wäre. Wir zogen uns behutsam zurück, indem wir unsere Freude so viel als möglich unterdrückten. Gretchen lag eins Weile mit offenen, gerade aufwärts stehenden Augen; ihre Wangen fingen an, sich zu färben; endlich wandte sie Gesicht und Blicke nach unserer Seite. — Max! rief sie, ihm ihre Hand freundlich entgegenstreckend. Der junge Mensch eilte auf sie zu und küßte die ihm dargebotene Hand mit großer Innigkeit. Auch ich war näher getreten; sie wurde mich gewahr und reichte mir die andere Hand hin. Er hat mir das Leben gerettet, sagte sie, mit dem Kopf gegen Max nickend; es war ein grauser Tod, der mir drohte, lieber Herr Brink! — Sie leben, sagte ich, ihre Hand an meine Lippen drückend, Sie sind uns wiedergegeben, theures Gretchen! Er hat<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
todt sein, setzte er leiser hinzu; ihre Hände und Schläfe sind warm, und ich glaube von Zeit zu Zeit eine leise Regung ihres Pulses zu fühlen.
In dem Augenblicke trat der Arzt aus dem nächsten Marktflecken in das Zimmer. Er bestätigte, nach der ersten Untersuchung, Maxens Vermuthung und ordnete Einiges zur weiteren Behandlung der Scheintodten an. Ich hatte mich auf einen Stuhl niederlassen müssen und erwartete mit unbeschreiblicher Bangigkeit den Ausgang der Sache. Plötzlich hörte ich Max aufschreien: Sie lebt! Sie schlägt die Augen auf. — Ich stürzte auf ihn zu und drückte ihn sprachlos in meine Arme.
Der Arzt bedeutete uns, still zu sein, weil die Kranke noch nicht ganz zur Besinnung gekommen wäre. Wir zogen uns behutsam zurück, indem wir unsere Freude so viel als möglich unterdrückten. Gretchen lag eins Weile mit offenen, gerade aufwärts stehenden Augen; ihre Wangen fingen an, sich zu färben; endlich wandte sie Gesicht und Blicke nach unserer Seite. — Max! rief sie, ihm ihre Hand freundlich entgegenstreckend. Der junge Mensch eilte auf sie zu und küßte die ihm dargebotene Hand mit großer Innigkeit. Auch ich war näher getreten; sie wurde mich gewahr und reichte mir die andere Hand hin. Er hat mir das Leben gerettet, sagte sie, mit dem Kopf gegen Max nickend; es war ein grauser Tod, der mir drohte, lieber Herr Brink! — Sie leben, sagte ich, ihre Hand an meine Lippen drückend, Sie sind uns wiedergegeben, theures Gretchen! Er hat
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/79>, abgerufen am 28.07.2024. |