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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lich fiel mir auch der Taufschein in die Hände; er war in weißes Papier eingeschlagen und mit Gretchens Namen, von ihrer eigenen zierlichen Hand, überschrieben. Nie habe ich eine Urkunde mit größerer Theilnahme, ja mit einer so andächtigen Empfindung, betrachtet. Es schien mir eine Anweisung auf meinen Antheil irdischen Glückes. Als sie ins Dasein trat, sagte ich zu mir selbst, erneuerte und verjüngte sich das meinige; sie ward geboren, damit ich nicht umsonst gelebt hätte.

Am andern Morgen währte es mir zu lange, bis der Doctor kam. Ich ging also, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen, wodurch es geschah, daß wir einander verfehlten. Als ich wieder nach Hause kam, hörte ich, er sei inzwischen da gewesen und habe die Nachricht hinterlassen, daß ein dringendes Geschäft ihn auf das Land rufe, von wo er nicht vor dem nächsten Mittage zurückkehren werde. -- Was blieb mir zu thun übrig, als mich in Geduld zu fassen, so schwer es mir auch fiel? Paul konnte nicht begreifen, worüber ich so übellaunig war, und warum ich nicht geraden Weges auf unser Gut zurückfuhr, nach welchem ich einige Mal überlaut geseufzt hatte. Damit nur die Zeit verginge, trieb ich mich in zwanzig Fabriken und Kaufläden herum, ließ mir eine Menge Dinge zeigen, die ich nicht nöthig hatte, und kaufte Manches, mitunter auch Unnützes, zu Gretchens Ausstattung. Mein Seel, Herr! sagte Paul, als ich mit der dritten Ladung angefahren kam, ich glaube, Sie wollen eine Krambude oder eine Lotterie von Putzsachen

lich fiel mir auch der Taufschein in die Hände; er war in weißes Papier eingeschlagen und mit Gretchens Namen, von ihrer eigenen zierlichen Hand, überschrieben. Nie habe ich eine Urkunde mit größerer Theilnahme, ja mit einer so andächtigen Empfindung, betrachtet. Es schien mir eine Anweisung auf meinen Antheil irdischen Glückes. Als sie ins Dasein trat, sagte ich zu mir selbst, erneuerte und verjüngte sich das meinige; sie ward geboren, damit ich nicht umsonst gelebt hätte.

Am andern Morgen währte es mir zu lange, bis der Doctor kam. Ich ging also, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen, wodurch es geschah, daß wir einander verfehlten. Als ich wieder nach Hause kam, hörte ich, er sei inzwischen da gewesen und habe die Nachricht hinterlassen, daß ein dringendes Geschäft ihn auf das Land rufe, von wo er nicht vor dem nächsten Mittage zurückkehren werde. — Was blieb mir zu thun übrig, als mich in Geduld zu fassen, so schwer es mir auch fiel? Paul konnte nicht begreifen, worüber ich so übellaunig war, und warum ich nicht geraden Weges auf unser Gut zurückfuhr, nach welchem ich einige Mal überlaut geseufzt hatte. Damit nur die Zeit verginge, trieb ich mich in zwanzig Fabriken und Kaufläden herum, ließ mir eine Menge Dinge zeigen, die ich nicht nöthig hatte, und kaufte Manches, mitunter auch Unnützes, zu Gretchens Ausstattung. Mein Seel, Herr! sagte Paul, als ich mit der dritten Ladung angefahren kam, ich glaube, Sie wollen eine Krambude oder eine Lotterie von Putzsachen

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/76>, abgerufen am 24.11.2024.