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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG.
Regel ist die, dass wir das Ersatzmittel der normalen Nah-
rung, der Muttermilch, nach Maassgabe ihrer den Entwicke-
lungsstufen des Kindes immer genau entsprechenden Ver-
änderungen sowohl hinsichtlich der Mischungsverhältnisse als
der Temperatur, stets so ähnlich wie möglich zu machen
suchen. Das beste, überall zu erlangende Ersatzmittel ist
die Kuhmilch.*) Diese ist aber, mit der Menschenmilch ver-
glichen, zu reich an Butter und Käsestoff, dagegen zu arm
an Milchzucker. Sie muss daher in nunmehr anzugebender
Weise verdünnt und versüsst werden.

In den ersten drei Tagen nach der Geburt ist es am
besten, dem Kinde nichts weiter als süsse, aus Kuhmilch be-
reitete Molken zu reichen, welche der Beschaffenheit der ersten
Muttermilch am ähnlichsten sind. Diese letztere, Colostrum
genannt, hat nämlich eine viel dünnflüssigere, substanzlosere
Beschaffenheit, als die spätere, am 4. oder 5. Tage nach der
Geburt eintretende Milch, und vermöge dieser Beschaffenheit
eine die ersten Darmausleerungen des Kindes begünstigende
Wirkung.**) Von da an nimmt man unabgerahmte gute Kuh-
milch (d. h. von einer gesunden, wo möglich jungen, neu-
melkenden und nicht in ausschliesslicher Stallfütterung gehal-
tenen Kuh) und verdünnt dieselbe mit zwei Drittel und nach
2 Wochen drei Fünftel eines ganz schwachen Fenchelsaamen-
Aufgusses. Dieser Aufguss ist das zuträglichste Verdünnungs-
mittel und ersetzt auch ziemlich das der Kuhmilch mangelnde
Verhältniss des Milchzuckers; doch kann man in den ersten
Wochen von letzterem immer noch ein wenig hinzufügen. So
fährt man fort bis zur 8. Woche. Dann nimmt man nur die
Hälfte, gegen die 18.--20. Woche nur ein Drittel, im 6. Mo-
nate ein Viertel Verdünnungsmittel und erst nach 8 Monaten
gibt man die Milch unverdünnt (doch immer noch mit einem

*) Zwar ist die Eselsmilch in ihren Mischungsverhältnissen der Menschen-
milch noch etwas ähnlicher. Jedoch bei der Seltenheit dieser Thiergattung
würde wenig Gelegenheit geboten sein, davon Gebrauch zu machen.
**) Aus diesem Grunde ist die Unsitte mancher Hebammen, die zarten
Neugeborenen mit arzneilichen Abführmitteln oder anderen Sudeleien zu be-
grüssen, höchst überflüssig, überhaupt auch als entschieden nachtheilig zu
verwerfen.

1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG.
Regel ist die, dass wir das Ersatzmittel der normalen Nah-
rung, der Muttermilch, nach Maassgabe ihrer den Entwicke-
lungsstufen des Kindes immer genau entsprechenden Ver-
änderungen sowohl hinsichtlich der Mischungsverhältnisse als
der Temperatur, stets so ähnlich wie möglich zu machen
suchen. Das beste, überall zu erlangende Ersatzmittel ist
die Kuhmilch.*) Diese ist aber, mit der Menschenmilch ver-
glichen, zu reich an Butter und Käsestoff, dagegen zu arm
an Milchzucker. Sie muss daher in nunmehr anzugebender
Weise verdünnt und versüsst werden.

In den ersten drei Tagen nach der Geburt ist es am
besten, dem Kinde nichts weiter als süsse, aus Kuhmilch be-
reitete Molken zu reichen, welche der Beschaffenheit der ersten
Muttermilch am ähnlichsten sind. Diese letztere, Colostrum
genannt, hat nämlich eine viel dünnflüssigere, substanzlosere
Beschaffenheit, als die spätere, am 4. oder 5. Tage nach der
Geburt eintretende Milch, und vermöge dieser Beschaffenheit
eine die ersten Darmausleerungen des Kindes begünstigende
Wirkung.**) Von da an nimmt man unabgerahmte gute Kuh-
milch (d. h. von einer gesunden, wo möglich jungen, neu-
melkenden und nicht in ausschliesslicher Stallfütterung gehal-
tenen Kuh) und verdünnt dieselbe mit zwei Drittel und nach
2 Wochen drei Fünftel eines ganz schwachen Fenchelsaamen-
Aufgusses. Dieser Aufguss ist das zuträglichste Verdünnungs-
mittel und ersetzt auch ziemlich das der Kuhmilch mangelnde
Verhältniss des Milchzuckers; doch kann man in den ersten
Wochen von letzterem immer noch ein wenig hinzufügen. So
fährt man fort bis zur 8. Woche. Dann nimmt man nur die
Hälfte, gegen die 18.—20. Woche nur ein Drittel, im 6. Mo-
nate ein Viertel Verdünnungsmittel und erst nach 8 Monaten
gibt man die Milch unverdünnt (doch immer noch mit einem

*) Zwar ist die Eselsmilch in ihren Mischungsverhältnissen der Menschen-
milch noch etwas ähnlicher. Jedoch bei der Seltenheit dieser Thiergattung
würde wenig Gelegenheit geboten sein, davon Gebrauch zu machen.
**) Aus diesem Grunde ist die Unsitte mancher Hebammen, die zarten
Neugeborenen mit arzneilichen Abführmitteln oder anderen Sudeleien zu be-
grüssen, höchst überflüssig, überhaupt auch als entschieden nachtheilig zu
verwerfen.
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[41/0045] 1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG. Regel ist die, dass wir das Ersatzmittel der normalen Nah- rung, der Muttermilch, nach Maassgabe ihrer den Entwicke- lungsstufen des Kindes immer genau entsprechenden Ver- änderungen sowohl hinsichtlich der Mischungsverhältnisse als der Temperatur, stets so ähnlich wie möglich zu machen suchen. Das beste, überall zu erlangende Ersatzmittel ist die Kuhmilch. *) Diese ist aber, mit der Menschenmilch ver- glichen, zu reich an Butter und Käsestoff, dagegen zu arm an Milchzucker. Sie muss daher in nunmehr anzugebender Weise verdünnt und versüsst werden. In den ersten drei Tagen nach der Geburt ist es am besten, dem Kinde nichts weiter als süsse, aus Kuhmilch be- reitete Molken zu reichen, welche der Beschaffenheit der ersten Muttermilch am ähnlichsten sind. Diese letztere, Colostrum genannt, hat nämlich eine viel dünnflüssigere, substanzlosere Beschaffenheit, als die spätere, am 4. oder 5. Tage nach der Geburt eintretende Milch, und vermöge dieser Beschaffenheit eine die ersten Darmausleerungen des Kindes begünstigende Wirkung. **) Von da an nimmt man unabgerahmte gute Kuh- milch (d. h. von einer gesunden, wo möglich jungen, neu- melkenden und nicht in ausschliesslicher Stallfütterung gehal- tenen Kuh) und verdünnt dieselbe mit zwei Drittel und nach 2 Wochen drei Fünftel eines ganz schwachen Fenchelsaamen- Aufgusses. Dieser Aufguss ist das zuträglichste Verdünnungs- mittel und ersetzt auch ziemlich das der Kuhmilch mangelnde Verhältniss des Milchzuckers; doch kann man in den ersten Wochen von letzterem immer noch ein wenig hinzufügen. So fährt man fort bis zur 8. Woche. Dann nimmt man nur die Hälfte, gegen die 18.—20. Woche nur ein Drittel, im 6. Mo- nate ein Viertel Verdünnungsmittel und erst nach 8 Monaten gibt man die Milch unverdünnt (doch immer noch mit einem *) Zwar ist die Eselsmilch in ihren Mischungsverhältnissen der Menschen- milch noch etwas ähnlicher. Jedoch bei der Seltenheit dieser Thiergattung würde wenig Gelegenheit geboten sein, davon Gebrauch zu machen. **) Aus diesem Grunde ist die Unsitte mancher Hebammen, die zarten Neugeborenen mit arzneilichen Abführmitteln oder anderen Sudeleien zu be- grüssen, höchst überflüssig, überhaupt auch als entschieden nachtheilig zu verwerfen.

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/45>, abgerufen am 27.11.2024.