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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
benen Lücken, Mängel und Schwächen zu entdecken, die noch
einer ferneren und letzten Nachhilfe bedürfen. Wir dürfen
nichts Mangelhaftes an ihm, worauf überhaupt Einfluss mög-
lich, als eine bereits abgeschlossene Thatsache ganz still-
schweigend hinnehmen wollen. In jedem Falle muss die
Selbsterkenntniss -- und diese ist jetzt der kräftigste
Hebel -- darüber recht gründlich aufgeklärt, und die ganze
Aufmerksamkeit und Willenskraft darauf hingelenkt werden.
Die Selbsterkenntniss erhält aber jetzt auch noch eine zum
Theile neue Aufgabe, insofern das Alter herangekommen ist,
in welchem die Leidenschaftlichkeit mit der grössten, bisher
ungekannten Gewalt emporquillt. Den ersten Andrang die-
ser Strömungen zu überwachen und ihnen Maass und Rich-
tung anzuweisen, ist jetzt noch eine der wichtigsten Aufgaben
der Erziehung.

Religion, Vernunft und Ehrgefühl sind die drei
mächtigen Grundwurzeln, auf welchen der junge Baum stehen
soll. Sie bilden in harmonischer Vereinigung die sittliche
Gewissenhaftigkeit. So lange diese als die feste Richtschnur
des Lebenslaufes in der Oberhand bleibt, wird Alles, was der
Strudel des Lebens herbeiführt, höchstens nur vorübergehende,
nicht aber dauernde Störungen und Abweichungen der edlen
Richtung erzeugen können, vielmehr wird die Festigkeit dieser
Richtung dadurch immer mehr gesteigert werden. Die Kraft
der Ausführung alles Dessen, was Religion, Vernunft und
Ehrgefühl bedingen -- die sittliche Willens- und That-
kraft,
die gemeinschaftliche Frucht und Krone jener drei in-
neren Grundlagen -- kann aber nur mitten im und durch's
Leben selbst erstarken. Sie erhält ihre Richtung von innen,
ihre Nahrung aber zugleich von aussen her: durch Uebung.
Zu all Dem ist aber durchaus nöthig, dass der junge Mensch
die wesentlichsten Gefahren im Allgemeinen kenne, welche
möglicher Weise seine Richtung, seinen inneren Halt bedrohen,
damit er nicht aus Achtlosigkeit und Mangel an Vorbereitung
unversehens denselben erliege.

Die Zukunft ist undurchsichtig. Die zu erwartenden
Wechselfälle des Lebens, an welchen sich die selbsteigene

17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
benen Lücken, Mängel und Schwächen zu entdecken, die noch
einer ferneren und letzten Nachhilfe bedürfen. Wir dürfen
nichts Mangelhaftes an ihm, worauf überhaupt Einfluss mög-
lich, als eine bereits abgeschlossene Thatsache ganz still-
schweigend hinnehmen wollen. In jedem Falle muss die
Selbsterkenntniss — und diese ist jetzt der kräftigste
Hebel — darüber recht gründlich aufgeklärt, und die ganze
Aufmerksamkeit und Willenskraft darauf hingelenkt werden.
Die Selbsterkenntniss erhält aber jetzt auch noch eine zum
Theile neue Aufgabe, insofern das Alter herangekommen ist,
in welchem die Leidenschaftlichkeit mit der grössten, bisher
ungekannten Gewalt emporquillt. Den ersten Andrang die-
ser Strömungen zu überwachen und ihnen Maass und Rich-
tung anzuweisen, ist jetzt noch eine der wichtigsten Aufgaben
der Erziehung.

Religion, Vernunft und Ehrgefühl sind die drei
mächtigen Grundwurzeln, auf welchen der junge Baum stehen
soll. Sie bilden in harmonischer Vereinigung die sittliche
Gewissenhaftigkeit. So lange diese als die feste Richtschnur
des Lebenslaufes in der Oberhand bleibt, wird Alles, was der
Strudel des Lebens herbeiführt, höchstens nur vorübergehende,
nicht aber dauernde Störungen und Abweichungen der edlen
Richtung erzeugen können, vielmehr wird die Festigkeit dieser
Richtung dadurch immer mehr gesteigert werden. Die Kraft
der Ausführung alles Dessen, was Religion, Vernunft und
Ehrgefühl bedingen — die sittliche Willens- und That-
kraft,
die gemeinschaftliche Frucht und Krone jener drei in-
neren Grundlagen — kann aber nur mitten im und durch's
Leben selbst erstarken. Sie erhält ihre Richtung von innen,
ihre Nahrung aber zugleich von aussen her: durch Uebung.
Zu all Dem ist aber durchaus nöthig, dass der junge Mensch
die wesentlichsten Gefahren im Allgemeinen kenne, welche
möglicher Weise seine Richtung, seinen inneren Halt bedrohen,
damit er nicht aus Achtlosigkeit und Mangel an Vorbereitung
unversehens denselben erliege.

Die Zukunft ist undurchsichtig. Die zu erwartenden
Wechselfälle des Lebens, an welchen sich die selbsteigene

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[282/0286] 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. benen Lücken, Mängel und Schwächen zu entdecken, die noch einer ferneren und letzten Nachhilfe bedürfen. Wir dürfen nichts Mangelhaftes an ihm, worauf überhaupt Einfluss mög- lich, als eine bereits abgeschlossene Thatsache ganz still- schweigend hinnehmen wollen. In jedem Falle muss die Selbsterkenntniss — und diese ist jetzt der kräftigste Hebel — darüber recht gründlich aufgeklärt, und die ganze Aufmerksamkeit und Willenskraft darauf hingelenkt werden. Die Selbsterkenntniss erhält aber jetzt auch noch eine zum Theile neue Aufgabe, insofern das Alter herangekommen ist, in welchem die Leidenschaftlichkeit mit der grössten, bisher ungekannten Gewalt emporquillt. Den ersten Andrang die- ser Strömungen zu überwachen und ihnen Maass und Rich- tung anzuweisen, ist jetzt noch eine der wichtigsten Aufgaben der Erziehung. Religion, Vernunft und Ehrgefühl sind die drei mächtigen Grundwurzeln, auf welchen der junge Baum stehen soll. Sie bilden in harmonischer Vereinigung die sittliche Gewissenhaftigkeit. So lange diese als die feste Richtschnur des Lebenslaufes in der Oberhand bleibt, wird Alles, was der Strudel des Lebens herbeiführt, höchstens nur vorübergehende, nicht aber dauernde Störungen und Abweichungen der edlen Richtung erzeugen können, vielmehr wird die Festigkeit dieser Richtung dadurch immer mehr gesteigert werden. Die Kraft der Ausführung alles Dessen, was Religion, Vernunft und Ehrgefühl bedingen — die sittliche Willens- und That- kraft, die gemeinschaftliche Frucht und Krone jener drei in- neren Grundlagen — kann aber nur mitten im und durch's Leben selbst erstarken. Sie erhält ihre Richtung von innen, ihre Nahrung aber zugleich von aussen her: durch Uebung. Zu all Dem ist aber durchaus nöthig, dass der junge Mensch die wesentlichsten Gefahren im Allgemeinen kenne, welche möglicher Weise seine Richtung, seinen inneren Halt bedrohen, damit er nicht aus Achtlosigkeit und Mangel an Vorbereitung unversehens denselben erliege. Die Zukunft ist undurchsichtig. Die zu erwartenden Wechselfälle des Lebens, an welchen sich die selbsteigene

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/286>, abgerufen am 25.11.2024.