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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
nach gelernt, sich wenigstens in die äussere Lage Anderer
hineinzudenken und ist daher für Mitfreude und Mitleid
durch und durch empfänglich. Das letztere würde sogar eine
zu tief erschütternde, in ihren Folgen bedenkliche Wirkung
äussern können, wollte man das Kind schweren Erregungeu
desselben aussetzen. Nur rohen oder wirklich stumpfen Kin-
dern mag eine etwas kräftigere Dosis solcher Erregungen zu-
weilen heilsam sein.

Hat das Kind in den liebevollen Gesinnungen zu seinen
Aeltern sich befestigt, so wird es dieselben in entsprechen-
dem Verhältnisse auf seine sonstige Umgebung und ganze
übrige Welt von selbst übertragen, natürlich auch hierin im-
mer dem Vorbilde seiner Aeltern folgend.

Wir wenden uns nun zu einem anderen Kernpunkte des
geistigen Inneren, dessen Ausbildung der directen Ein- und
Mitwirkung der Aeltern am meisten bedarf. Es ist die sitt-
liche Willenskraft
-- das Siegesschwert im dereinstigen Le-
benskampfe. Erschrecket nicht, liebende Aeltern, über dieses
Wort. Das wahre und hohe Ziel des menschlichen Lebens
kann und soll ja nur durch edlen Kampf theils mit uns selbst
(im Glücke wie im Unglücke) theils mit dem äusseren Leben
errungen werden. Ob er für unsere Kinder leicht oder schwer
-- wir wissen's nicht, wie auch immer die Perspective mensch-
licher Berechnung nach den Verhältnissen der Gegenwart be-
schaffen sein möge. Diesen Kampf können und sollen wir
ihnen nicht ersparen, denn er ist Grundbedingung des Lebens.
Ohne Kampf kein Sieg, und ohne diesen kein wahres Lebens-
glück. Wohl aber können und sollen wir sie nach Möglich-
keit ausrüsten mit der Waffe, um den Kampf würdig durch-
zuführen, um das hohe Glück des Sieges zu erkämpfen -- und
diese Waffe, mit welcher sie freudigen Muthes in das Leben
hineingehen können, ist eben die sittliche Willenskraft. Er-
hält dieselbe auch erst später ihre volle Weihe durch die
Segnungen der Religion, so muss doch lange vorher, schon
im zarten Alter, die Grundlage jener Kraft geschaffen, der
Boden fähig gemacht werden, das göttliche Samenkorn in sich
aufzunehmen. Ausserdem fällt dieses auf rohen steinigen Bo-

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
nach gelernt, sich wenigstens in die äussere Lage Anderer
hineinzudenken und ist daher für Mitfreude und Mitleid
durch und durch empfänglich. Das letztere würde sogar eine
zu tief erschütternde, in ihren Folgen bedenkliche Wirkung
äussern können, wollte man das Kind schweren Erregungeu
desselben aussetzen. Nur rohen oder wirklich stumpfen Kin-
dern mag eine etwas kräftigere Dosis solcher Erregungen zu-
weilen heilsam sein.

Hat das Kind in den liebevollen Gesinnungen zu seinen
Aeltern sich befestigt, so wird es dieselben in entsprechen-
dem Verhältnisse auf seine sonstige Umgebung und ganze
übrige Welt von selbst übertragen, natürlich auch hierin im-
mer dem Vorbilde seiner Aeltern folgend.

Wir wenden uns nun zu einem anderen Kernpunkte des
geistigen Inneren, dessen Ausbildung der directen Ein- und
Mitwirkung der Aeltern am meisten bedarf. Es ist die sitt-
liche Willenskraft
— das Siegesschwert im dereinstigen Le-
benskampfe. Erschrecket nicht, liebende Aeltern, über dieses
Wort. Das wahre und hohe Ziel des menschlichen Lebens
kann und soll ja nur durch edlen Kampf theils mit uns selbst
(im Glücke wie im Unglücke) theils mit dem äusseren Leben
errungen werden. Ob er für unsere Kinder leicht oder schwer
— wir wissen's nicht, wie auch immer die Perspective mensch-
licher Berechnung nach den Verhältnissen der Gegenwart be-
schaffen sein möge. Diesen Kampf können und sollen wir
ihnen nicht ersparen, denn er ist Grundbedingung des Lebens.
Ohne Kampf kein Sieg, und ohne diesen kein wahres Lebens-
glück. Wohl aber können und sollen wir sie nach Möglich-
keit ausrüsten mit der Waffe, um den Kampf würdig durch-
zuführen, um das hohe Glück des Sieges zu erkämpfen — und
diese Waffe, mit welcher sie freudigen Muthes in das Leben
hineingehen können, ist eben die sittliche Willenskraft. Er-
hält dieselbe auch erst später ihre volle Weihe durch die
Segnungen der Religion, so muss doch lange vorher, schon
im zarten Alter, die Grundlage jener Kraft geschaffen, der
Boden fähig gemacht werden, das göttliche Samenkorn in sich
aufzunehmen. Ausserdem fällt dieses auf rohen steinigen Bo-

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[134/0138] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. nach gelernt, sich wenigstens in die äussere Lage Anderer hineinzudenken und ist daher für Mitfreude und Mitleid durch und durch empfänglich. Das letztere würde sogar eine zu tief erschütternde, in ihren Folgen bedenkliche Wirkung äussern können, wollte man das Kind schweren Erregungeu desselben aussetzen. Nur rohen oder wirklich stumpfen Kin- dern mag eine etwas kräftigere Dosis solcher Erregungen zu- weilen heilsam sein. Hat das Kind in den liebevollen Gesinnungen zu seinen Aeltern sich befestigt, so wird es dieselben in entsprechen- dem Verhältnisse auf seine sonstige Umgebung und ganze übrige Welt von selbst übertragen, natürlich auch hierin im- mer dem Vorbilde seiner Aeltern folgend. Wir wenden uns nun zu einem anderen Kernpunkte des geistigen Inneren, dessen Ausbildung der directen Ein- und Mitwirkung der Aeltern am meisten bedarf. Es ist die sitt- liche Willenskraft — das Siegesschwert im dereinstigen Le- benskampfe. Erschrecket nicht, liebende Aeltern, über dieses Wort. Das wahre und hohe Ziel des menschlichen Lebens kann und soll ja nur durch edlen Kampf theils mit uns selbst (im Glücke wie im Unglücke) theils mit dem äusseren Leben errungen werden. Ob er für unsere Kinder leicht oder schwer — wir wissen's nicht, wie auch immer die Perspective mensch- licher Berechnung nach den Verhältnissen der Gegenwart be- schaffen sein möge. Diesen Kampf können und sollen wir ihnen nicht ersparen, denn er ist Grundbedingung des Lebens. Ohne Kampf kein Sieg, und ohne diesen kein wahres Lebens- glück. Wohl aber können und sollen wir sie nach Möglich- keit ausrüsten mit der Waffe, um den Kampf würdig durch- zuführen, um das hohe Glück des Sieges zu erkämpfen — und diese Waffe, mit welcher sie freudigen Muthes in das Leben hineingehen können, ist eben die sittliche Willenskraft. Er- hält dieselbe auch erst später ihre volle Weihe durch die Segnungen der Religion, so muss doch lange vorher, schon im zarten Alter, die Grundlage jener Kraft geschaffen, der Boden fähig gemacht werden, das göttliche Samenkorn in sich aufzunehmen. Ausserdem fällt dieses auf rohen steinigen Bo-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/138>, abgerufen am 24.11.2024.