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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
nöthigenfalls sich selbst verläugnende, ist die wahre älter-
liche Liebe.

Unter dieser wird auch im kindlichen Herzen die Liebe
sich rein und edel entwickeln, denn sie ist auf Achtung
gegründet. Mehr und mehr wird das Kind erkennen lernen,
dass Eure Liebe nicht in einem blinden, maass- und schran-
kenlosen Entgegenkommen besteht, sondern unter der Ober-
leitung gewisser fester Gesetze und Bedingungen sich äussert.
Es wird fühlen lernen, dass selbst hinter Eurem Ernste und
Eurer Strenge nur die gute Absicht, die Liebe, steht und
wirksam ist, wie die Sonne hinter Wolken. Der Begriff des
Guten, Rechten und Wahren, den in den Augen des Kindes
Ihr zunächst repräsentirt, wird in ihm zur vollen Herrschaft
gelangen und es mit Achtung vor Eurem Willen erfüllen. Die
Liebe wird dann mit der Achtung eng verschwistert sein und
in derselben erst ihren wahren Wurzelgrund finden. Eine Liebe
ohne Achtung ist nur eine Scheinliebe, eine Laune, von der
augenblicklichen Stimmung und Willkür abhängig.

Bedenket aber wohl, dass nicht Eure Worte allein die
edle Richtung des kindlichen Herzens entwickeln können, son-
dern dass es Euer ganzes, dem Kinde wahrnehmbares Beneh-
men nach allen Seiten hin, Euer Vorbild ist, welches in der
noch weichen Seele des Kindes sich abdrückt. Und zwar
zieht alles Edle und Gute, ebenso wie umgekehrt alles Rohe
und Schlechte, welches von Euch sich abspiegelt, als unmittel-
barer Gefühlseindruck schon in der frühesten Zeit in das
kindliche Gemüth ein, weit früher als die Entwickelung der
Sprache und das allgemeine Verständniss der Dinge selbst
noch den ersten Grad der Reife erlangt hat.

Einer der vielen Strahlen der Liebe ist die Dankbar-
keit
im engeren Sinne, d. h. die Rückstrahlung der in einzel-
nen Handlungen empfangenen Liebesäusserungen; denn im wei-
teren Sinne fliesst Dankbarkeit und Liebe beim Kinde, welches
ja eben durch nichts weiter als seine liebende Gesinnung zu
danken vermag, völlig in Eins zusammen. Zwar werden im-
mer anfangs directe Aufforderungen zu den gebührlichen Dan-
kesbezeigungen nicht ganz umgangen werden können, doch

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
nöthigenfalls sich selbst verläugnende, ist die wahre älter-
liche Liebe.

Unter dieser wird auch im kindlichen Herzen die Liebe
sich rein und edel entwickeln, denn sie ist auf Achtung
gegründet. Mehr und mehr wird das Kind erkennen lernen,
dass Eure Liebe nicht in einem blinden, maass- und schran-
kenlosen Entgegenkommen besteht, sondern unter der Ober-
leitung gewisser fester Gesetze und Bedingungen sich äussert.
Es wird fühlen lernen, dass selbst hinter Eurem Ernste und
Eurer Strenge nur die gute Absicht, die Liebe, steht und
wirksam ist, wie die Sonne hinter Wolken. Der Begriff des
Guten, Rechten und Wahren, den in den Augen des Kindes
Ihr zunächst repräsentirt, wird in ihm zur vollen Herrschaft
gelangen und es mit Achtung vor Eurem Willen erfüllen. Die
Liebe wird dann mit der Achtung eng verschwistert sein und
in derselben erst ihren wahren Wurzelgrund finden. Eine Liebe
ohne Achtung ist nur eine Scheinliebe, eine Laune, von der
augenblicklichen Stimmung und Willkür abhängig.

Bedenket aber wohl, dass nicht Eure Worte allein die
edle Richtung des kindlichen Herzens entwickeln können, son-
dern dass es Euer ganzes, dem Kinde wahrnehmbares Beneh-
men nach allen Seiten hin, Euer Vorbild ist, welches in der
noch weichen Seele des Kindes sich abdrückt. Und zwar
zieht alles Edle und Gute, ebenso wie umgekehrt alles Rohe
und Schlechte, welches von Euch sich abspiegelt, als unmittel-
barer Gefühlseindruck schon in der frühesten Zeit in das
kindliche Gemüth ein, weit früher als die Entwickelung der
Sprache und das allgemeine Verständniss der Dinge selbst
noch den ersten Grad der Reife erlangt hat.

Einer der vielen Strahlen der Liebe ist die Dankbar-
keit
im engeren Sinne, d. h. die Rückstrahlung der in einzel-
nen Handlungen empfangenen Liebesäusserungen; denn im wei-
teren Sinne fliesst Dankbarkeit und Liebe beim Kinde, welches
ja eben durch nichts weiter als seine liebende Gesinnung zu
danken vermag, völlig in Eins zusammen. Zwar werden im-
mer anfangs directe Aufforderungen zu den gebührlichen Dan-
kesbezeigungen nicht ganz umgangen werden können, doch

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[132/0136] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. nöthigenfalls sich selbst verläugnende, ist die wahre älter- liche Liebe. Unter dieser wird auch im kindlichen Herzen die Liebe sich rein und edel entwickeln, denn sie ist auf Achtung gegründet. Mehr und mehr wird das Kind erkennen lernen, dass Eure Liebe nicht in einem blinden, maass- und schran- kenlosen Entgegenkommen besteht, sondern unter der Ober- leitung gewisser fester Gesetze und Bedingungen sich äussert. Es wird fühlen lernen, dass selbst hinter Eurem Ernste und Eurer Strenge nur die gute Absicht, die Liebe, steht und wirksam ist, wie die Sonne hinter Wolken. Der Begriff des Guten, Rechten und Wahren, den in den Augen des Kindes Ihr zunächst repräsentirt, wird in ihm zur vollen Herrschaft gelangen und es mit Achtung vor Eurem Willen erfüllen. Die Liebe wird dann mit der Achtung eng verschwistert sein und in derselben erst ihren wahren Wurzelgrund finden. Eine Liebe ohne Achtung ist nur eine Scheinliebe, eine Laune, von der augenblicklichen Stimmung und Willkür abhängig. Bedenket aber wohl, dass nicht Eure Worte allein die edle Richtung des kindlichen Herzens entwickeln können, son- dern dass es Euer ganzes, dem Kinde wahrnehmbares Beneh- men nach allen Seiten hin, Euer Vorbild ist, welches in der noch weichen Seele des Kindes sich abdrückt. Und zwar zieht alles Edle und Gute, ebenso wie umgekehrt alles Rohe und Schlechte, welches von Euch sich abspiegelt, als unmittel- barer Gefühlseindruck schon in der frühesten Zeit in das kindliche Gemüth ein, weit früher als die Entwickelung der Sprache und das allgemeine Verständniss der Dinge selbst noch den ersten Grad der Reife erlangt hat. Einer der vielen Strahlen der Liebe ist die Dankbar- keit im engeren Sinne, d. h. die Rückstrahlung der in einzel- nen Handlungen empfangenen Liebesäusserungen; denn im wei- teren Sinne fliesst Dankbarkeit und Liebe beim Kinde, welches ja eben durch nichts weiter als seine liebende Gesinnung zu danken vermag, völlig in Eins zusammen. Zwar werden im- mer anfangs directe Aufforderungen zu den gebührlichen Dan- kesbezeigungen nicht ganz umgangen werden können, doch

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/136>, abgerufen am 24.11.2024.