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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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zu sich selbst kommt, durch welches er sich nach und nach
bis zur Stufe des klaren Selbstbewusstseins emporarbeitet. Ein
wortloser Gedanke verhält sich zu dem in Worte geformten
wie matter Dämmerungsschimmer zum hellen Tageslichte. Die
Sprache ist daher das wichtigste Bildungsmittel des Geistes,
und ihre Ausbildung sowohl hinsichtlich des Inhaltes (der
Richtigkeit und Klarheit des auszudrückenden Gedankens) als
auch hinsichtlich der Form (der Aussprache) ein der vollen
Aufmerksamkeit der Aeltern und Erzieher würdiger Gegen-
stand. In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt ist man
zwar häufig der Ansicht, dass die Sprachorgane einer be-
sonderen Nachhilfe nicht bedürfen, indem sich die mancherlei
Unvollkommenheiten der anfänglichen Aussprache später mei-
stens von selbst reguliren. Doch darf man sich darauf durch-
aus nicht immer verlassen. Gar oft bleibt diese oder jene
Unvollkommenheit für immer hängen oder dauert wenigstens
bis in eine Zeit, wo sie empfindlich störend, und ihre Ueber-
windung recht schwierig wird. Es ist daher stets zu tadeln,
wenn die anfänglichen Falschheiten und Unvollkommenheiten
des Ausdruckes und der Aussprache ganz unbeachtet bleiben,
oder die Umgebung, durch den oft komischen Anstrich der
Sache verleitet, durch geflissentliche Nachahmung das Kind
darin erst recht befestigt. Vielmehr ist die Regel festzuhal-
ten, dem Kinde nur in einer nach Form und Inhalt möglichst
reinen und richtigen Sprache entgegenzutreten und, wo irgend
nöthig, durch systematisches Einüben des Richtigen nachzu-
helfen. Dabei ist aber erforderlich, dass jede dem Kinde noch
unbekannte Benennung eines Gegenstandes mit Hinweis auf
denselben (der natürlich stets im Wahrnehmungskreise des
Kindes befindlich sein muss) verbunden werde.

Sind auch äussere körperliche Formen, insofern ihnen
kein wesentlicher Einfluss auf Gesundheit oder praktische Le-
benszwecke zukommt, von untergeordneter Bedeutung, so
macht doch der natürliche und unschuldige Schönheitssinn es
den Aeltern zur Pflicht, auch auf solche Punkte ihre Einwir-
kung zu erstrecken, soweit dies eben möglich und angemes-
sen ist. Am meisten dürfte dies gelten von den die ganze

2.—7. JAHR. KÖRPERP. SEITE. AUSBILDUNG U. PFLEGE EINZELNER THEILE.
zu sich selbst kommt, durch welches er sich nach und nach
bis zur Stufe des klaren Selbstbewusstseins emporarbeitet. Ein
wortloser Gedanke verhält sich zu dem in Worte geformten
wie matter Dämmerungsschimmer zum hellen Tageslichte. Die
Sprache ist daher das wichtigste Bildungsmittel des Geistes,
und ihre Ausbildung sowohl hinsichtlich des Inhaltes (der
Richtigkeit und Klarheit des auszudrückenden Gedankens) als
auch hinsichtlich der Form (der Aussprache) ein der vollen
Aufmerksamkeit der Aeltern und Erzieher würdiger Gegen-
stand. In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt ist man
zwar häufig der Ansicht, dass die Sprachorgane einer be-
sonderen Nachhilfe nicht bedürfen, indem sich die mancherlei
Unvollkommenheiten der anfänglichen Aussprache später mei-
stens von selbst reguliren. Doch darf man sich darauf durch-
aus nicht immer verlassen. Gar oft bleibt diese oder jene
Unvollkommenheit für immer hängen oder dauert wenigstens
bis in eine Zeit, wo sie empfindlich störend, und ihre Ueber-
windung recht schwierig wird. Es ist daher stets zu tadeln,
wenn die anfänglichen Falschheiten und Unvollkommenheiten
des Ausdruckes und der Aussprache ganz unbeachtet bleiben,
oder die Umgebung, durch den oft komischen Anstrich der
Sache verleitet, durch geflissentliche Nachahmung das Kind
darin erst recht befestigt. Vielmehr ist die Regel festzuhal-
ten, dem Kinde nur in einer nach Form und Inhalt möglichst
reinen und richtigen Sprache entgegenzutreten und, wo irgend
nöthig, durch systematisches Einüben des Richtigen nachzu-
helfen. Dabei ist aber erforderlich, dass jede dem Kinde noch
unbekannte Benennung eines Gegenstandes mit Hinweis auf
denselben (der natürlich stets im Wahrnehmungskreise des
Kindes befindlich sein muss) verbunden werde.

Sind auch äussere körperliche Formen, insofern ihnen
kein wesentlicher Einfluss auf Gesundheit oder praktische Le-
benszwecke zukommt, von untergeordneter Bedeutung, so
macht doch der natürliche und unschuldige Schönheitssinn es
den Aeltern zur Pflicht, auch auf solche Punkte ihre Einwir-
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[109/0113] 2.—7. JAHR. KÖRPERP. SEITE. AUSBILDUNG U. PFLEGE EINZELNER THEILE. zu sich selbst kommt, durch welches er sich nach und nach bis zur Stufe des klaren Selbstbewusstseins emporarbeitet. Ein wortloser Gedanke verhält sich zu dem in Worte geformten wie matter Dämmerungsschimmer zum hellen Tageslichte. Die Sprache ist daher das wichtigste Bildungsmittel des Geistes, und ihre Ausbildung sowohl hinsichtlich des Inhaltes (der Richtigkeit und Klarheit des auszudrückenden Gedankens) als auch hinsichtlich der Form (der Aussprache) ein der vollen Aufmerksamkeit der Aeltern und Erzieher würdiger Gegen- stand. In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt ist man zwar häufig der Ansicht, dass die Sprachorgane einer be- sonderen Nachhilfe nicht bedürfen, indem sich die mancherlei Unvollkommenheiten der anfänglichen Aussprache später mei- stens von selbst reguliren. Doch darf man sich darauf durch- aus nicht immer verlassen. Gar oft bleibt diese oder jene Unvollkommenheit für immer hängen oder dauert wenigstens bis in eine Zeit, wo sie empfindlich störend, und ihre Ueber- windung recht schwierig wird. Es ist daher stets zu tadeln, wenn die anfänglichen Falschheiten und Unvollkommenheiten des Ausdruckes und der Aussprache ganz unbeachtet bleiben, oder die Umgebung, durch den oft komischen Anstrich der Sache verleitet, durch geflissentliche Nachahmung das Kind darin erst recht befestigt. Vielmehr ist die Regel festzuhal- ten, dem Kinde nur in einer nach Form und Inhalt möglichst reinen und richtigen Sprache entgegenzutreten und, wo irgend nöthig, durch systematisches Einüben des Richtigen nachzu- helfen. Dabei ist aber erforderlich, dass jede dem Kinde noch unbekannte Benennung eines Gegenstandes mit Hinweis auf denselben (der natürlich stets im Wahrnehmungskreise des Kindes befindlich sein muss) verbunden werde. Sind auch äussere körperliche Formen, insofern ihnen kein wesentlicher Einfluss auf Gesundheit oder praktische Le- benszwecke zukommt, von untergeordneter Bedeutung, so macht doch der natürliche und unschuldige Schönheitssinn es den Aeltern zur Pflicht, auch auf solche Punkte ihre Einwir- kung zu erstrecken, soweit dies eben möglich und angemes- sen ist. Am meisten dürfte dies gelten von den die ganze

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/113>, abgerufen am 22.11.2024.