ihn für sich zu gewinnen, keimte plötzlich in seiner Seele auf. Er trat zu ihm, griff nach einem Mes- ser, zerschnitt die Bande, womit Arnolds Hände gefesselt waren und sagte mit mildem Tone:
-- "Sie leiden, Sie leiden sehr, ich sehe es! Man ist grausam mit Jhnen umgegangen! Das war nicht mein Wille! Das befahl ich diesem Büttel von Joram nicht! Wie ist Jhnen, Sir?" fügte er hinzu, als er Arnold plötzlich noch bleicher als zu- vor werden und wie ein von der Sichel abgeschnit- tenes Rohr schwanken sah.
Der Schmerz, bei der plötzlichen Lösung der in das Fleisch einschneidenden Bande, war so groß, daß er Arnold ohnmächtig machte und er wäre zu Boden gesunken, wenn der Prophet ihn nicht in seinen Armen aufgefangen hätte. Er trug ihn auf einen im Zimmer befindlichen Divan, öffnete ihm die Kleider, um ihm Luft zu verschaffen, und ent- deckte bei dieser Gelegenheit das Portrait, welches Arnold stets auf seiner Brust trug.
Wohlbekannte Züge, einst heißgeliebte, leuch- teten ihm entgegen! Er stand wie erstarrt, wie von einem Zauberspruch gebannt, athem- und re- gungslos da; er wollte die Hand nach dem Gemälde ausstrecken, und wagte es doch nicht, es zu berüh- ren, aus Furcht, es durch seine Berührung zu ent-
ihn für ſich zu gewinnen, keimte plötzlich in ſeiner Seele auf. Er trat zu ihm, griff nach einem Meſ- ſer, zerſchnitt die Bande, womit Arnolds Hände gefeſſelt waren und ſagte mit mildem Tone:
— „Sie leiden, Sie leiden ſehr, ich ſehe es! Man iſt grauſam mit Jhnen umgegangen! Das war nicht mein Wille! Das befahl ich dieſem Büttel von Joram nicht! Wie iſt Jhnen, Sir?“ fügte er hinzu, als er Arnold plötzlich noch bleicher als zu- vor werden und wie ein von der Sichel abgeſchnit- tenes Rohr ſchwanken ſah.
Der Schmerz, bei der plötzlichen Löſung der in das Fleiſch einſchneidenden Bande, war ſo groß, daß er Arnold ohnmächtig machte und er wäre zu Boden geſunken, wenn der Prophet ihn nicht in ſeinen Armen aufgefangen hätte. Er trug ihn auf einen im Zimmer befindlichen Divan, öffnete ihm die Kleider, um ihm Luft zu verſchaffen, und ent- deckte bei dieſer Gelegenheit das Portrait, welches Arnold ſtets auf ſeiner Bruſt trug.
Wohlbekannte Züge, einſt heißgeliebte, leuch- teten ihm entgegen! Er ſtand wie erſtarrt, wie von einem Zauberſpruch gebannt, athem- und re- gungslos da; er wollte die Hand nach dem Gemälde ausſtrecken, und wagte es doch nicht, es zu berüh- ren, aus Furcht, es durch ſeine Berührung zu ent-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0095"n="89"/>
ihn für ſich zu gewinnen, keimte plötzlich in ſeiner<lb/>
Seele auf. Er trat zu ihm, griff nach einem Meſ-<lb/>ſer, zerſchnitt die Bande, womit Arnolds Hände<lb/>
gefeſſelt waren und ſagte mit mildem Tone:</p><lb/><p>—„Sie leiden, Sie leiden ſehr, ich ſehe es!<lb/>
Man iſt grauſam mit Jhnen umgegangen! Das war<lb/>
nicht mein Wille! Das befahl ich dieſem Büttel von<lb/>
Joram nicht! Wie iſt Jhnen, Sir?“ fügte er<lb/>
hinzu, als er Arnold plötzlich noch bleicher als zu-<lb/>
vor werden und wie ein von der Sichel abgeſchnit-<lb/>
tenes Rohr ſchwanken ſah.</p><lb/><p>Der Schmerz, bei der plötzlichen Löſung der<lb/>
in das Fleiſch einſchneidenden Bande, war ſo groß,<lb/>
daß er Arnold ohnmächtig machte und er wäre zu<lb/>
Boden geſunken, wenn der Prophet ihn nicht in<lb/>ſeinen Armen aufgefangen hätte. Er trug ihn auf<lb/>
einen im Zimmer befindlichen Divan, öffnete ihm<lb/>
die Kleider, um ihm Luft zu verſchaffen, und ent-<lb/>
deckte bei dieſer Gelegenheit das Portrait, welches<lb/>
Arnold ſtets auf ſeiner Bruſt trug.</p><lb/><p>Wohlbekannte Züge, einſt heißgeliebte, leuch-<lb/>
teten ihm entgegen! Er ſtand wie erſtarrt, wie<lb/>
von einem Zauberſpruch gebannt, athem- und re-<lb/>
gungslos da; er wollte die Hand nach dem Gemälde<lb/>
ausſtrecken, und wagte es doch nicht, es zu berüh-<lb/>
ren, aus Furcht, es durch ſeine Berührung zu ent-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[89/0095]
ihn für ſich zu gewinnen, keimte plötzlich in ſeiner
Seele auf. Er trat zu ihm, griff nach einem Meſ-
ſer, zerſchnitt die Bande, womit Arnolds Hände
gefeſſelt waren und ſagte mit mildem Tone:
— „Sie leiden, Sie leiden ſehr, ich ſehe es!
Man iſt grauſam mit Jhnen umgegangen! Das war
nicht mein Wille! Das befahl ich dieſem Büttel von
Joram nicht! Wie iſt Jhnen, Sir?“ fügte er
hinzu, als er Arnold plötzlich noch bleicher als zu-
vor werden und wie ein von der Sichel abgeſchnit-
tenes Rohr ſchwanken ſah.
Der Schmerz, bei der plötzlichen Löſung der
in das Fleiſch einſchneidenden Bande, war ſo groß,
daß er Arnold ohnmächtig machte und er wäre zu
Boden geſunken, wenn der Prophet ihn nicht in
ſeinen Armen aufgefangen hätte. Er trug ihn auf
einen im Zimmer befindlichen Divan, öffnete ihm
die Kleider, um ihm Luft zu verſchaffen, und ent-
deckte bei dieſer Gelegenheit das Portrait, welches
Arnold ſtets auf ſeiner Bruſt trug.
Wohlbekannte Züge, einſt heißgeliebte, leuch-
teten ihm entgegen! Er ſtand wie erſtarrt, wie
von einem Zauberſpruch gebannt, athem- und re-
gungslos da; er wollte die Hand nach dem Gemälde
ausſtrecken, und wagte es doch nicht, es zu berüh-
ren, aus Furcht, es durch ſeine Berührung zu ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/95>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.