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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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poetische, theils prosaische Herzensergießungen; aus
Allem, was sie las, leuchtete ihr aber die zugleich
reinste und mächtigste Liebe eines edlen, unentweih-
ten Herzens entgegen, eine Liebe, die an Anbetung
grenzte.

Wie oft berührten ihre Lippen die theuren Schrift-
züge; wie oft drückte sie dieses Vermächtniß des Ge-
liebten -- denn dafür mußte sie es ja halten -- an
ihr vor Schmerz fast zerspringendes Herz; wie oft
gelobte sie sich, nie einen Andern als Arnold zu lie-
ben; mit welcher verzehrenden Sehnsucht gedachte sie
des Todes und stellte auf ihn ihre einzige Hoffnung!

So flossen die Stunden hin und es wurde Abend,
wurde endlich Nacht. Die ihr gebrachten Speisen
hatte sie nicht berührt, ja kaum den Eintritt Hierams
wahrgenommen, der sie ihr gebracht hatte; sie war
so versenkt in Gram und Schmerz, daß sie nicht ein-
mal ihr Lager aufsuchte, um wenigstens dem Körper
Ruhe zu gönnen. Das thränenschwere Haupt auf die
Hand gestützt, saß sie am Fenster und schaute in die
immer stiller werdende Nacht hinaus; am Himmel
war es dunkel, wie in ihrer Seele und kein Stern
leuchtete aus den aufgethürmten Wolkenmassen auf die
in tiefes Schweigen gehüllte Erde hernieder.



poetiſche, theils proſaiſche Herzensergießungen; aus
Allem, was ſie las, leuchtete ihr aber die zugleich
reinſte und mächtigſte Liebe eines edlen, unentweih-
ten Herzens entgegen, eine Liebe, die an Anbetung
grenzte.

Wie oft berührten ihre Lippen die theuren Schrift-
züge; wie oft drückte ſie dieſes Vermächtniß des Ge-
liebten — denn dafür mußte ſie es ja halten — an
ihr vor Schmerz faſt zerſpringendes Herz; wie oft
gelobte ſie ſich, nie einen Andern als Arnold zu lie-
ben; mit welcher verzehrenden Sehnſucht gedachte ſie
des Todes und ſtellte auf ihn ihre einzige Hoffnung!

So floſſen die Stunden hin und es wurde Abend,
wurde endlich Nacht. Die ihr gebrachten Speiſen
hatte ſie nicht berührt, ja kaum den Eintritt Hierams
wahrgenommen, der ſie ihr gebracht hatte; ſie war
ſo verſenkt in Gram und Schmerz, daß ſie nicht ein-
mal ihr Lager aufſuchte, um wenigſtens dem Körper
Ruhe zu gönnen. Das thränenſchwere Haupt auf die
Hand geſtützt, ſaß ſie am Fenſter und ſchaute in die
immer ſtiller werdende Nacht hinaus; am Himmel
war es dunkel, wie in ihrer Seele und kein Stern
leuchtete aus den aufgethürmten Wolkenmaſſen auf die
in tiefes Schweigen gehüllte Erde hernieder.



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[149/0155] poetiſche, theils proſaiſche Herzensergießungen; aus Allem, was ſie las, leuchtete ihr aber die zugleich reinſte und mächtigſte Liebe eines edlen, unentweih- ten Herzens entgegen, eine Liebe, die an Anbetung grenzte. Wie oft berührten ihre Lippen die theuren Schrift- züge; wie oft drückte ſie dieſes Vermächtniß des Ge- liebten — denn dafür mußte ſie es ja halten — an ihr vor Schmerz faſt zerſpringendes Herz; wie oft gelobte ſie ſich, nie einen Andern als Arnold zu lie- ben; mit welcher verzehrenden Sehnſucht gedachte ſie des Todes und ſtellte auf ihn ihre einzige Hoffnung! So floſſen die Stunden hin und es wurde Abend, wurde endlich Nacht. Die ihr gebrachten Speiſen hatte ſie nicht berührt, ja kaum den Eintritt Hierams wahrgenommen, der ſie ihr gebracht hatte; ſie war ſo verſenkt in Gram und Schmerz, daß ſie nicht ein- mal ihr Lager aufſuchte, um wenigſtens dem Körper Ruhe zu gönnen. Das thränenſchwere Haupt auf die Hand geſtützt, ſaß ſie am Fenſter und ſchaute in die immer ſtiller werdende Nacht hinaus; am Himmel war es dunkel, wie in ihrer Seele und kein Stern leuchtete aus den aufgethürmten Wolkenmaſſen auf die in tiefes Schweigen gehüllte Erde hernieder.

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/155>, abgerufen am 29.11.2024.