Mannes, der sich zum Nebenbuhler des Geliebten auf- werfen, das Bild desselben aus ihrem Herzen ver- drängen wollte, gänzlich vergessen zu haben und nur noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des geliebten Mannes zu leben.
-- "Und er ist todt? wirklich todt?" fragte sie dann mit tonloser Stimme. "O, meine Ah- nung!"
-- "Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias," antwortete ihr der Prophet, "und man fand dieses Taschenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich für diesen jungen Mann lebhaft interessirte, brachte man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au- genschein, daß er unter den zur Bestattung aufge- nommenen Leichen sei."
Joe sprach diese Lüge -- denn das Taschenbuch war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram und dessen Genossen erst in ihre, dann in seine Hände gekommen, -- mit dem vollsten Tone der Wahrheit aus, so daß Flora an ihrem Unglück nicht länger zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder an sich selbst, noch an Andern die Lüge und den Trug.
-- "Zürnen Sie mir nicht," nahm der Prophet nach einer Pause mit dem weichsten, einschmeichelnd- sten Tone wieder das Wort, "daß ich es seyn mußte,
III. 10
Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf- werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver- drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des geliebten Mannes zu leben.
— „Und er iſt todt? wirklich todt?“ fragte ſie dann mit tonloſer Stimme. „O, meine Ah- nung!“
— „Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,“ antwortete ihr der Prophet, „und man fand dieſes Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au- genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge- nommenen Leichen ſei.“
Joe ſprach dieſe Lüge — denn das Taſchenbuch war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände gekommen, — mit dem vollſten Tone der Wahrheit aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den Trug.
— „Zürnen Sie mir nicht,“ nahm der Prophet nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd- ſten Tone wieder das Wort, „daß ich es ſeyn mußte,
III. 10
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="145"/>
Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf-<lb/>
werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver-<lb/>
drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur<lb/>
noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des<lb/>
geliebten Mannes zu leben.</p><lb/><p>—„Und er iſt todt? wirklich todt?“ fragte<lb/>ſie dann mit tonloſer Stimme. „O, meine Ah-<lb/>
nung!“</p><lb/><p>—„Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,“<lb/>
antwortete ihr der Prophet, „und man fand dieſes<lb/>
Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich<lb/>
für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte<lb/>
man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au-<lb/>
genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge-<lb/>
nommenen Leichen ſei.“</p><lb/><p>Joe ſprach dieſe Lüge — denn das Taſchenbuch<lb/>
war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram<lb/>
und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände<lb/>
gekommen, — mit dem vollſten Tone der Wahrheit<lb/>
aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger<lb/>
zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder<lb/>
an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den<lb/>
Trug.</p><lb/><p>—„Zürnen Sie mir nicht,“ nahm der Prophet<lb/>
nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd-<lb/>ſten Tone wieder das Wort, „daß ich es ſeyn mußte,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">III.</hi> 10</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[145/0151]
Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf-
werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver-
drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur
noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des
geliebten Mannes zu leben.
— „Und er iſt todt? wirklich todt?“ fragte
ſie dann mit tonloſer Stimme. „O, meine Ah-
nung!“
— „Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,“
antwortete ihr der Prophet, „und man fand dieſes
Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich
für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte
man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au-
genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge-
nommenen Leichen ſei.“
Joe ſprach dieſe Lüge — denn das Taſchenbuch
war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram
und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände
gekommen, — mit dem vollſten Tone der Wahrheit
aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger
zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder
an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den
Trug.
— „Zürnen Sie mir nicht,“ nahm der Prophet
nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd-
ſten Tone wieder das Wort, „daß ich es ſeyn mußte,
III. 10
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/151>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.