Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

meiner Seele vorging, in meinen Blicken und Mie-
nen abspiegeln, denn er fuhr, wie sich entschuldigend,
fort:

-- "Du, ein schwaches, sentimentales Weib,
wirst nicht begreifen, wie ich das nach dem, was vor-
gefallen war, vermochte. Allein einestheils konnte
ich meine Beihülfe zu dem Geschäft nicht, ohne Auf-
sehen zu erregen, versagen, weil ich amtlich dazu ver-
pflichtet war; anderntheils hoffte ich Beruhigung aus
dem Leichenbefunde schöpfen zu können, und ich fand
sie in der That, indem ich mich davon überzeugte,
daß der Gestorbene an unheilbaren, ihn bald dem
Grabe zuführenden Uebeln gelitten hatte. Dann mußt
du endlich auch bedenken, daß für uns Aerzte, durch
die Studien, die wir auf den Universitäten zu machen
gezwungen sind, durch die häufigen Sectionen, denen
wir im Jnteresse der Kunst beiwohnen müssen, eine
Leiche, ein Cadaver, nichts mehr ist, wie für den
Bildhauer ein Torso."

Jch hörte diese Worte an, ohne sie verstehen zu
können und erst später, erst als sich Braun entfernt
hatte und ich sie wieder in mein Gedächtniß zurück-
rief, vermochte ich sie zu verstehen; aber dieses Ver-
ständniß verminderte mein Entsetzen nicht, und in den
Fieberphantasien, die durch die gehabten furchtbaren
Aufregungen hervorgerufen wurden, zeigte sich mir

meiner Seele vorging, in meinen Blicken und Mie-
nen abſpiegeln, denn er fuhr, wie ſich entſchuldigend,
fort:

— „Du, ein ſchwaches, ſentimentales Weib,
wirſt nicht begreifen, wie ich das nach dem, was vor-
gefallen war, vermochte. Allein einestheils konnte
ich meine Beihülfe zu dem Geſchäft nicht, ohne Auf-
ſehen zu erregen, verſagen, weil ich amtlich dazu ver-
pflichtet war; anderntheils hoffte ich Beruhigung aus
dem Leichenbefunde ſchöpfen zu können, und ich fand
ſie in der That, indem ich mich davon überzeugte,
daß der Geſtorbene an unheilbaren, ihn bald dem
Grabe zuführenden Uebeln gelitten hatte. Dann mußt
du endlich auch bedenken, daß für uns Aerzte, durch
die Studien, die wir auf den Univerſitäten zu machen
gezwungen ſind, durch die häufigen Sectionen, denen
wir im Jntereſſe der Kunſt beiwohnen müſſen, eine
Leiche, ein Cadaver, nichts mehr iſt, wie für den
Bildhauer ein Torſo.“

Jch hörte dieſe Worte an, ohne ſie verſtehen zu
können und erſt ſpäter, erſt als ſich Braun entfernt
hatte und ich ſie wieder in mein Gedächtniß zurück-
rief, vermochte ich ſie zu verſtehen; aber dieſes Ver-
ſtändniß verminderte mein Entſetzen nicht, und in den
Fieberphantaſien, die durch die gehabten furchtbaren
Aufregungen hervorgerufen wurden, zeigte ſich mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="138"/>
meiner Seele vorging, in meinen Blicken und Mie-<lb/>
nen ab&#x017F;piegeln, denn er fuhr, wie &#x017F;ich ent&#x017F;chuldigend,<lb/>
fort:</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Du, ein &#x017F;chwaches, &#x017F;entimentales Weib,<lb/>
wir&#x017F;t nicht begreifen, wie ich das nach dem, was vor-<lb/>
gefallen war, vermochte. Allein einestheils konnte<lb/>
ich meine Beihülfe zu dem Ge&#x017F;chäft nicht, ohne Auf-<lb/>
&#x017F;ehen zu erregen, ver&#x017F;agen, weil ich amtlich dazu ver-<lb/>
pflichtet war; anderntheils hoffte ich Beruhigung aus<lb/>
dem Leichenbefunde &#x017F;chöpfen zu können, und ich fand<lb/>
&#x017F;ie in der That, indem ich mich davon überzeugte,<lb/>
daß der Ge&#x017F;torbene an unheilbaren, ihn bald dem<lb/>
Grabe zuführenden Uebeln gelitten hatte. Dann mußt<lb/>
du endlich auch bedenken, daß für uns Aerzte, durch<lb/>
die Studien, die wir auf den Univer&#x017F;itäten zu machen<lb/>
gezwungen &#x017F;ind, durch die häufigen Sectionen, denen<lb/>
wir im Jntere&#x017F;&#x017F;e der Kun&#x017F;t beiwohnen mü&#x017F;&#x017F;en, eine<lb/>
Leiche, ein Cadaver, nichts mehr i&#x017F;t, wie für den<lb/>
Bildhauer ein Tor&#x017F;o.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jch hörte die&#x017F;e Worte an, ohne &#x017F;ie ver&#x017F;tehen zu<lb/>
können und er&#x017F;t &#x017F;päter, er&#x017F;t als &#x017F;ich Braun entfernt<lb/>
hatte und ich &#x017F;ie wieder in mein Gedächtniß zurück-<lb/>
rief, vermochte ich &#x017F;ie zu ver&#x017F;tehen; aber die&#x017F;es Ver-<lb/>
&#x017F;tändniß verminderte mein Ent&#x017F;etzen nicht, und in den<lb/>
Fieberphanta&#x017F;ien, die durch die gehabten furchtbaren<lb/>
Aufregungen hervorgerufen wurden, zeigte &#x017F;ich mir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0144] meiner Seele vorging, in meinen Blicken und Mie- nen abſpiegeln, denn er fuhr, wie ſich entſchuldigend, fort: — „Du, ein ſchwaches, ſentimentales Weib, wirſt nicht begreifen, wie ich das nach dem, was vor- gefallen war, vermochte. Allein einestheils konnte ich meine Beihülfe zu dem Geſchäft nicht, ohne Auf- ſehen zu erregen, verſagen, weil ich amtlich dazu ver- pflichtet war; anderntheils hoffte ich Beruhigung aus dem Leichenbefunde ſchöpfen zu können, und ich fand ſie in der That, indem ich mich davon überzeugte, daß der Geſtorbene an unheilbaren, ihn bald dem Grabe zuführenden Uebeln gelitten hatte. Dann mußt du endlich auch bedenken, daß für uns Aerzte, durch die Studien, die wir auf den Univerſitäten zu machen gezwungen ſind, durch die häufigen Sectionen, denen wir im Jntereſſe der Kunſt beiwohnen müſſen, eine Leiche, ein Cadaver, nichts mehr iſt, wie für den Bildhauer ein Torſo.“ Jch hörte dieſe Worte an, ohne ſie verſtehen zu können und erſt ſpäter, erſt als ſich Braun entfernt hatte und ich ſie wieder in mein Gedächtniß zurück- rief, vermochte ich ſie zu verſtehen; aber dieſes Ver- ſtändniß verminderte mein Entſetzen nicht, und in den Fieberphantaſien, die durch die gehabten furchtbaren Aufregungen hervorgerufen wurden, zeigte ſich mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/144
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/144>, abgerufen am 28.11.2024.