Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

-- "Das ist ein Unglück!" sagte Braun wie
vor sich hin; "das verdirbt sie und mich!"

-- "Dich?" rief ich und erneute den Versuch,
mich zu erheben; "dich, Adalbert? O, ich bin
stark, ich kann dir folgen, wohin du willst!"

-- "So ist es recht," sagte er, mir den Arm
gebend. "Sei mein starkes Mädchen, und du wirst
uns Beide retten."

Jch hatte jetzt Kraft zu Allem: die Liebe ver-
lieh sie mir, die Furcht, den geliebten Mann mit
in's Verderben zu ziehen.

Wir verließen den Garten, dessen Pforte Braun
sorgfältig wieder hinter sich verschloß, und gingen in's
Thal hinaus, dann in's Gebirge hinein. Jch, die ich
nie Haus und Garten verlassen hatte, war völlig un-
bekannt in der Gegend und da ich nie zuvor einen
Berg erstiegen hatte, wurde mir das Bergsteigen so
sauer, daß Braun mich mehr tragen, als führen
mußte.

Es ging immer noch bergaufwärts; endlich lang-
ten wir in einer waldigen Bergschlucht an. Der Pfad
war so rauh und steil und ich des Steigens so un-
gewohnt, daß jeden Augenblick die Kniee unter mir
zusammenzubrechen drohten.

-- "Nur noch wenige Minuten," bat Braun,
dem mein Zustand nicht unbekannt seyn konnte, weil

— „Das iſt ein Unglück!“ ſagte Braun wie
vor ſich hin; „das verdirbt ſie und mich!“

— „Dich?“ rief ich und erneute den Verſuch,
mich zu erheben; „dich, Adalbert? O, ich bin
ſtark, ich kann dir folgen, wohin du willſt!“

— „So iſt es recht,“ ſagte er, mir den Arm
gebend. „Sei mein ſtarkes Mädchen, und du wirſt
uns Beide retten.“

Jch hatte jetzt Kraft zu Allem: die Liebe ver-
lieh ſie mir, die Furcht, den geliebten Mann mit
in’s Verderben zu ziehen.

Wir verließen den Garten, deſſen Pforte Braun
ſorgfältig wieder hinter ſich verſchloß, und gingen in’s
Thal hinaus, dann in’s Gebirge hinein. Jch, die ich
nie Haus und Garten verlaſſen hatte, war völlig un-
bekannt in der Gegend und da ich nie zuvor einen
Berg erſtiegen hatte, wurde mir das Bergſteigen ſo
ſauer, daß Braun mich mehr tragen, als führen
mußte.

Es ging immer noch bergaufwärts; endlich lang-
ten wir in einer waldigen Bergſchlucht an. Der Pfad
war ſo rauh und ſteil und ich des Steigens ſo un-
gewohnt, daß jeden Augenblick die Kniee unter mir
zuſammenzubrechen drohten.

— „Nur noch wenige Minuten,“ bat Braun,
dem mein Zuſtand nicht unbekannt ſeyn konnte, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0127" n="121"/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Das i&#x017F;t ein Unglück!&#x201C; &#x017F;agte Braun wie<lb/>
vor &#x017F;ich hin; &#x201E;das verdirbt &#x017F;ie und mich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;<hi rendition="#g">Dich?</hi>&#x201C; rief ich und erneute den Ver&#x017F;uch,<lb/>
mich zu erheben; &#x201E;<hi rendition="#g">dich,</hi> Adalbert? O, ich bin<lb/>
&#x017F;tark, ich kann dir folgen, wohin du will&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;So i&#x017F;t es recht,&#x201C; &#x017F;agte er, mir den Arm<lb/>
gebend. &#x201E;Sei mein &#x017F;tarkes Mädchen, und du wir&#x017F;t<lb/>
uns Beide retten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jch hatte jetzt Kraft zu Allem: die Liebe ver-<lb/>
lieh &#x017F;ie mir, die Furcht, den geliebten Mann mit<lb/>
in&#x2019;s Verderben zu ziehen.</p><lb/>
        <p>Wir verließen den Garten, de&#x017F;&#x017F;en Pforte Braun<lb/>
&#x017F;orgfältig wieder hinter &#x017F;ich ver&#x017F;chloß, und gingen in&#x2019;s<lb/>
Thal hinaus, dann in&#x2019;s Gebirge hinein. Jch, die ich<lb/>
nie Haus und Garten verla&#x017F;&#x017F;en hatte, war völlig un-<lb/>
bekannt in der Gegend und da ich nie zuvor einen<lb/>
Berg er&#x017F;tiegen hatte, wurde mir das Berg&#x017F;teigen &#x017F;o<lb/>
&#x017F;auer, daß Braun mich mehr tragen, als führen<lb/>
mußte.</p><lb/>
        <p>Es ging immer noch bergaufwärts; endlich lang-<lb/>
ten wir in einer waldigen Berg&#x017F;chlucht an. Der Pfad<lb/>
war &#x017F;o rauh und &#x017F;teil und ich des Steigens &#x017F;o un-<lb/>
gewohnt, daß jeden Augenblick die Kniee unter mir<lb/>
zu&#x017F;ammenzubrechen drohten.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Nur noch wenige Minuten,&#x201C; bat Braun,<lb/>
dem mein Zu&#x017F;tand nicht unbekannt &#x017F;eyn konnte, weil<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0127] — „Das iſt ein Unglück!“ ſagte Braun wie vor ſich hin; „das verdirbt ſie und mich!“ — „Dich?“ rief ich und erneute den Verſuch, mich zu erheben; „dich, Adalbert? O, ich bin ſtark, ich kann dir folgen, wohin du willſt!“ — „So iſt es recht,“ ſagte er, mir den Arm gebend. „Sei mein ſtarkes Mädchen, und du wirſt uns Beide retten.“ Jch hatte jetzt Kraft zu Allem: die Liebe ver- lieh ſie mir, die Furcht, den geliebten Mann mit in’s Verderben zu ziehen. Wir verließen den Garten, deſſen Pforte Braun ſorgfältig wieder hinter ſich verſchloß, und gingen in’s Thal hinaus, dann in’s Gebirge hinein. Jch, die ich nie Haus und Garten verlaſſen hatte, war völlig un- bekannt in der Gegend und da ich nie zuvor einen Berg erſtiegen hatte, wurde mir das Bergſteigen ſo ſauer, daß Braun mich mehr tragen, als führen mußte. Es ging immer noch bergaufwärts; endlich lang- ten wir in einer waldigen Bergſchlucht an. Der Pfad war ſo rauh und ſteil und ich des Steigens ſo un- gewohnt, daß jeden Augenblick die Kniee unter mir zuſammenzubrechen drohten. — „Nur noch wenige Minuten,“ bat Braun, dem mein Zuſtand nicht unbekannt ſeyn konnte, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/127
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/127>, abgerufen am 05.12.2024.