und tief erröthend suchte ich mich seinen Armen zu entwinden und in das Krankenzimmer zurückzu- fliehen.
-- "Es geht nicht," sagte er lächelnd, mich noch fester an sich schließend; "es geht nicht! Meine Arme sind stark wie Eisen, und selbst wenn ich Sie losließe, würden Sie müssen, was ich will: Sie sind mein, unverweigerlich mein! Wagen Sie, das Ge- gentheil zu behaupten!"
Er hatte Recht, ich war sein, "unverweigerlich sein," nichts vermochte mich vor ihm zu retten!
Er ließ mich wirklich aus seinen Armen los; er kreuzte sie über seiner Brust und stand mir lächelnd gegenüber; ich hätte fliehen, mich ihm entziehen kön- nen; aber ich blieb, wie durch einen Zauber gebannt, vor ihm stehen.
-- "Sehen Sie," sagte er, sich mir wieder nähernd und mich küssend, "sehen Sie, daß es nicht geht?" Dann ging er; in seinen Blicken lag ein triumphirender Ausdruck.
Als er sich am folgenden Tage wieder vom Kran- kenbette entfernt hatte und in den Vorsaal hinaus- gegangen war, folgte ich ihm nicht. Ein geheimes Gefühl, über das ich mir aber keine Rechenschaft ab- zulegen wußte, sagte mir, daß ich ihm keinen Schritt entgegen thun dürfte, wenn ich der Sittsamkeit nicht
und tief erröthend ſuchte ich mich ſeinen Armen zu entwinden und in das Krankenzimmer zurückzu- fliehen.
— „Es geht nicht,“ ſagte er lächelnd, mich noch feſter an ſich ſchließend; „es geht nicht! Meine Arme ſind ſtark wie Eiſen, und ſelbſt wenn ich Sie losließe, würden Sie müſſen, was ich will: Sie ſind mein, unverweigerlich mein! Wagen Sie, das Ge- gentheil zu behaupten!“
Er hatte Recht, ich war ſein, „unverweigerlich ſein,“ nichts vermochte mich vor ihm zu retten!
Er ließ mich wirklich aus ſeinen Armen los; er kreuzte ſie über ſeiner Bruſt und ſtand mir lächelnd gegenüber; ich hätte fliehen, mich ihm entziehen kön- nen; aber ich blieb, wie durch einen Zauber gebannt, vor ihm ſtehen.
— „Sehen Sie,“ ſagte er, ſich mir wieder nähernd und mich küſſend, „ſehen Sie, daß es nicht geht?“ Dann ging er; in ſeinen Blicken lag ein triumphirender Ausdruck.
Als er ſich am folgenden Tage wieder vom Kran- kenbette entfernt hatte und in den Vorſaal hinaus- gegangen war, folgte ich ihm nicht. Ein geheimes Gefühl, über das ich mir aber keine Rechenſchaft ab- zulegen wußte, ſagte mir, daß ich ihm keinen Schritt entgegen thun dürfte, wenn ich der Sittſamkeit nicht
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und tief erröthend ſuchte ich mich ſeinen Armen zu
entwinden und in das Krankenzimmer zurückzu-
fliehen.
— „Es geht nicht,“ ſagte er lächelnd, mich
noch feſter an ſich ſchließend; „es geht nicht! Meine
Arme ſind ſtark wie Eiſen, und ſelbſt wenn ich Sie
losließe, würden Sie müſſen, was ich will: Sie ſind
mein, unverweigerlich mein! Wagen Sie, das Ge-
gentheil zu behaupten!“
Er hatte Recht, ich war ſein, „unverweigerlich
ſein,“ nichts vermochte mich vor ihm zu retten!
Er ließ mich wirklich aus ſeinen Armen los; er
kreuzte ſie über ſeiner Bruſt und ſtand mir lächelnd
gegenüber; ich hätte fliehen, mich ihm entziehen kön-
nen; aber ich blieb, wie durch einen Zauber gebannt,
vor ihm ſtehen.
— „Sehen Sie,“ ſagte er, ſich mir wieder
nähernd und mich küſſend, „ſehen Sie, daß es nicht
geht?“ Dann ging er; in ſeinen Blicken lag ein
triumphirender Ausdruck.
Als er ſich am folgenden Tage wieder vom Kran-
kenbette entfernt hatte und in den Vorſaal hinaus-
gegangen war, folgte ich ihm nicht. Ein geheimes
Gefühl, über das ich mir aber keine Rechenſchaft ab-
zulegen wußte, ſagte mir, daß ich ihm keinen Schritt
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/115>, abgerufen am 01.07.2024.
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