sehen, als den Ton seiner Stimme zu hören, als in sein Auge zu blicken.
Schon nach den ersten Besuchen wußte er, wie er mit mir daran war, daß ich ihm gänzlich hingege- ben, daß er mit mir machen konnte, was er wollte. Auch wendete er die gewöhnlichen Verführungskünste bei mir nicht an; es bedurfte ihrer bei mir nicht, denn ich besaß nicht die mindeste Kraft, ihm Wider- stand leisten zu können. Jch gehorchte seinen Win- ken, wie die Somnambüle den gegen sie ausgestreck- ten Fingerspitzen des Magnetiseurs folgt; ich würde ihm ohne Widerrede in die Hölle gefolgt seyn, wenn er es verlangt hätte.
Er gelobte mir nicht, nach Art gewöhnlicher Männer, ewige Liebe und Treue; aber seine Blicke, seine Küsse sagten mir, daß er mich liebte, und hätte er mir gesagt, daß er mich hasse, verabscheue, so würde ich mich doch seinen Befehlen haben unterwer- fen müssen. Jch hatte aufgehört, für mich zu be- stehen, mein Wesen war in dem seinigen so vollkom- men aufgegangen, daß ich als Einzelnwesen nicht mehr existirte.
Nur das erste Mal, als er sich eine unschickliche Freiheit gegen mich herausnehmen und mich ohne Wei- teres beim Hinausgehen umarmen und küssen wollte, sträubte sich meine jungfräuliche Sittsamkeit dagegen
ſehen, als den Ton ſeiner Stimme zu hören, als in ſein Auge zu blicken.
Schon nach den erſten Beſuchen wußte er, wie er mit mir daran war, daß ich ihm gänzlich hingege- ben, daß er mit mir machen konnte, was er wollte. Auch wendete er die gewöhnlichen Verführungskünſte bei mir nicht an; es bedurfte ihrer bei mir nicht, denn ich beſaß nicht die mindeſte Kraft, ihm Wider- ſtand leiſten zu können. Jch gehorchte ſeinen Win- ken, wie die Somnambüle den gegen ſie ausgeſtreck- ten Fingerſpitzen des Magnetiſeurs folgt; ich würde ihm ohne Widerrede in die Hölle gefolgt ſeyn, wenn er es verlangt hätte.
Er gelobte mir nicht, nach Art gewöhnlicher Männer, ewige Liebe und Treue; aber ſeine Blicke, ſeine Küſſe ſagten mir, daß er mich liebte, und hätte er mir geſagt, daß er mich haſſe, verabſcheue, ſo würde ich mich doch ſeinen Befehlen haben unterwer- fen müſſen. Jch hatte aufgehört, für mich zu be- ſtehen, mein Weſen war in dem ſeinigen ſo vollkom- men aufgegangen, daß ich als Einzelnweſen nicht mehr exiſtirte.
Nur das erſte Mal, als er ſich eine unſchickliche Freiheit gegen mich herausnehmen und mich ohne Wei- teres beim Hinausgehen umarmen und küſſen wollte, ſträubte ſich meine jungfräuliche Sittſamkeit dagegen
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ſehen, als den Ton ſeiner Stimme zu hören, als in
ſein Auge zu blicken.
Schon nach den erſten Beſuchen wußte er, wie
er mit mir daran war, daß ich ihm gänzlich hingege-
ben, daß er mit mir machen konnte, was er wollte.
Auch wendete er die gewöhnlichen Verführungskünſte
bei mir nicht an; es bedurfte ihrer bei mir nicht,
denn ich beſaß nicht die mindeſte Kraft, ihm Wider-
ſtand leiſten zu können. Jch gehorchte ſeinen Win-
ken, wie die Somnambüle den gegen ſie ausgeſtreck-
ten Fingerſpitzen des Magnetiſeurs folgt; ich würde
ihm ohne Widerrede in die Hölle gefolgt ſeyn, wenn
er es verlangt hätte.
Er gelobte mir nicht, nach Art gewöhnlicher
Männer, ewige Liebe und Treue; aber ſeine Blicke,
ſeine Küſſe ſagten mir, daß er mich liebte, und hätte
er mir geſagt, daß er mich haſſe, verabſcheue, ſo
würde ich mich doch ſeinen Befehlen haben unterwer-
fen müſſen. Jch hatte aufgehört, für mich zu be-
ſtehen, mein Weſen war in dem ſeinigen ſo vollkom-
men aufgegangen, daß ich als Einzelnweſen nicht mehr
exiſtirte.
Nur das erſte Mal, als er ſich eine unſchickliche
Freiheit gegen mich herausnehmen und mich ohne Wei-
teres beim Hinausgehen umarmen und küſſen wollte,
ſträubte ſich meine jungfräuliche Sittſamkeit dagegen
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/114>, abgerufen am 23.07.2024.
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