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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

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Dingen, hoffe du es, denn das wird viel zu deiner
Genesung beitragen."

Marie sagte das nicht mit warmer, wohlthuen-
der Theilnahme, sondern so kalt, wie man etwas
Eingelerntes hersagt, und in ihren Mienen und Blicken
las man deutlich, daß ihr Herz nichts von dem wußte,
was ihre Lippen redeten. Arnolden entging das nicht
und seine bisherige Gleichgültigkeit gegen die kokette
Marie verwandelte sich in die tiefste Verachtung, seit
er sie, die er seither nur für leichtsinnig und unbe-
dachtsam gehalten hatte, jetzt auch noch als Heuch-
lerin ertappte.

Dina machte Miene, sich vom Sopha erheben
und das Zimmer verlassen zu wollen; aber ihre
Schwäche war noch so groß, daß sie es nicht ver-
mochte und ermattet wieder in die Kissen zurücksank.

-- "Erlauben Sie mir," sagte sie, einen bit-
tenden Blick auf Marie heftend, "noch einige Augen-
blicke hier zu bleiben; ich werde bald wieder so weit
seyn, bald wieder so viele Kräfte gesammelt haben,
um Sie nicht länger belästigen zu dürfen."

-- "Wer wehrte es dir, so lange zu bleiben,
als es dir gefällt?" versetzte Marie mit einem Tone,
in dem sich eine schlecht verhehlte Empfindlichkeit kund
gab; denn in der That war ihr die Anwesenheit
Dina's zuwider, schon der Theilnahme wegen, die

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Dingen, hoffe du es, denn das wird viel zu deiner
Geneſung beitragen.“

Marie ſagte das nicht mit warmer, wohlthuen-
der Theilnahme, ſondern ſo kalt, wie man etwas
Eingelerntes herſagt, und in ihren Mienen und Blicken
las man deutlich, daß ihr Herz nichts von dem wußte,
was ihre Lippen redeten. Arnolden entging das nicht
und ſeine bisherige Gleichgültigkeit gegen die kokette
Marie verwandelte ſich in die tiefſte Verachtung, ſeit
er ſie, die er ſeither nur für leichtſinnig und unbe-
dachtſam gehalten hatte, jetzt auch noch als Heuch-
lerin ertappte.

Dina machte Miene, ſich vom Sopha erheben
und das Zimmer verlaſſen zu wollen; aber ihre
Schwäche war noch ſo groß, daß ſie es nicht ver-
mochte und ermattet wieder in die Kiſſen zurückſank.

— „Erlauben Sie mir,“ ſagte ſie, einen bit-
tenden Blick auf Marie heftend, „noch einige Augen-
blicke hier zu bleiben; ich werde bald wieder ſo weit
ſeyn, bald wieder ſo viele Kräfte geſammelt haben,
um Sie nicht länger beläſtigen zu dürfen.“

— „Wer wehrte es dir, ſo lange zu bleiben,
als es dir gefällt?“ verſetzte Marie mit einem Tone,
in dem ſich eine ſchlecht verhehlte Empfindlichkeit kund
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[163/0171] Dingen, hoffe du es, denn das wird viel zu deiner Geneſung beitragen.“ Marie ſagte das nicht mit warmer, wohlthuen- der Theilnahme, ſondern ſo kalt, wie man etwas Eingelerntes herſagt, und in ihren Mienen und Blicken las man deutlich, daß ihr Herz nichts von dem wußte, was ihre Lippen redeten. Arnolden entging das nicht und ſeine bisherige Gleichgültigkeit gegen die kokette Marie verwandelte ſich in die tiefſte Verachtung, ſeit er ſie, die er ſeither nur für leichtſinnig und unbe- dachtſam gehalten hatte, jetzt auch noch als Heuch- lerin ertappte. Dina machte Miene, ſich vom Sopha erheben und das Zimmer verlaſſen zu wollen; aber ihre Schwäche war noch ſo groß, daß ſie es nicht ver- mochte und ermattet wieder in die Kiſſen zurückſank. — „Erlauben Sie mir,“ ſagte ſie, einen bit- tenden Blick auf Marie heftend, „noch einige Augen- blicke hier zu bleiben; ich werde bald wieder ſo weit ſeyn, bald wieder ſo viele Kräfte geſammelt haben, um Sie nicht länger beläſtigen zu dürfen.“ — „Wer wehrte es dir, ſo lange zu bleiben, als es dir gefällt?“ verſetzte Marie mit einem Tone, in dem ſich eine ſchlecht verhehlte Empfindlichkeit kund gab; denn in der That war ihr die Anweſenheit Dina’s zuwider, ſchon der Theilnahme wegen, die 11 *

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/171>, abgerufen am 29.11.2024.