-- "Deshalb haben Sie allein sich selbst anzu- klagen," antwortete ihm Smith: "auf einen nur leise von Jhnen geäußerten Wunsch hätten Jhnen diese Bücher sämmtlich zu Gebote gestanden. Sehen Sie sich einige Augenblicke hier um," fügte er hinzu, "und erlauben mir, während des meine Tochter auf einen lieben Gast vorzubereiten, denn Sie müssen für heute der unsrige seyn," und ohne Arnolds Antwort abzuwarten, entfernte er sich aus dem Zimmer, als fürchte er, die Arnolden angebotene Gastfreundschaft abgelehnt zu sehen.
Der junge Deutsche hatte jetzt Muße, die in die- sem Gemache aufgestellten Bücherschätze in Augenschein zu nehmen und erstaunte nicht wenig, als er fast alle classischen deutschen Werke, und sowohl schönwissen- schaftliche als gelehrte, in fast allen Wissenschaften fand. Er hatte bis dahin nicht einmal gewußt, daß Joe Smith deutsch zu sprechen verstand, denn, wie es in Nordamerika Sitte ist, hatte er nur englisch mit ihm geredet; diese Masse von deutschen Werken bewies ihm aber, daß der Prophet ein Freund und Bewunderer seiner vaterländischen Literatur seyn müsse; denn zu welchem sonstigen Zwecke hätte er sich damit umringen sollen, als um sie zu lesen?
Mit fast vor Begierde zitternder Hand griff er nach einem Bande, der den "Faust" enthielt und
— „Deshalb haben Sie allein ſich ſelbſt anzu- klagen,“ antwortete ihm Smith: „auf einen nur leiſe von Jhnen geäußerten Wunſch hätten Jhnen dieſe Bücher ſämmtlich zu Gebote geſtanden. Sehen Sie ſich einige Augenblicke hier um,“ fügte er hinzu, „und erlauben mir, während des meine Tochter auf einen lieben Gaſt vorzubereiten, denn Sie müſſen für heute der unſrige ſeyn,“ und ohne Arnolds Antwort abzuwarten, entfernte er ſich aus dem Zimmer, als fürchte er, die Arnolden angebotene Gaſtfreundſchaft abgelehnt zu ſehen.
Der junge Deutſche hatte jetzt Muße, die in die- ſem Gemache aufgeſtellten Bücherſchätze in Augenſchein zu nehmen und erſtaunte nicht wenig, als er faſt alle claſſiſchen deutſchen Werke, und ſowohl ſchönwiſſen- ſchaftliche als gelehrte, in faſt allen Wiſſenſchaften fand. Er hatte bis dahin nicht einmal gewußt, daß Joe Smith deutſch zu ſprechen verſtand, denn, wie es in Nordamerika Sitte iſt, hatte er nur engliſch mit ihm geredet; dieſe Maſſe von deutſchen Werken bewies ihm aber, daß der Prophet ein Freund und Bewunderer ſeiner vaterländiſchen Literatur ſeyn müſſe; denn zu welchem ſonſtigen Zwecke hätte er ſich damit umringen ſollen, als um ſie zu leſen?
Mit faſt vor Begierde zitternder Hand griff er nach einem Bande, der den „Fauſt“ enthielt und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0112"n="104"/><p>—„Deshalb haben Sie allein ſich ſelbſt anzu-<lb/>
klagen,“ antwortete ihm Smith: „auf einen nur<lb/>
leiſe von Jhnen geäußerten Wunſch hätten Jhnen dieſe<lb/>
Bücher ſämmtlich zu Gebote geſtanden. Sehen Sie<lb/>ſich einige Augenblicke hier um,“ fügte er hinzu,<lb/>„und erlauben mir, während des meine Tochter auf<lb/>
einen lieben Gaſt vorzubereiten, denn Sie müſſen für<lb/>
heute der unſrige ſeyn,“ und ohne Arnolds Antwort<lb/>
abzuwarten, entfernte er ſich aus dem Zimmer, als<lb/>
fürchte er, die Arnolden angebotene Gaſtfreundſchaft<lb/>
abgelehnt zu ſehen.</p><lb/><p>Der junge Deutſche hatte jetzt Muße, die in die-<lb/>ſem Gemache aufgeſtellten Bücherſchätze in Augenſchein<lb/>
zu nehmen und erſtaunte nicht wenig, als er faſt alle<lb/>
claſſiſchen deutſchen Werke, und ſowohl ſchönwiſſen-<lb/>ſchaftliche als gelehrte, in faſt allen Wiſſenſchaften<lb/>
fand. Er hatte bis dahin nicht einmal gewußt, daß<lb/>
Joe Smith deutſch zu ſprechen verſtand, denn, wie<lb/>
es in Nordamerika Sitte iſt, hatte er nur engliſch<lb/>
mit ihm geredet; dieſe Maſſe von deutſchen Werken<lb/>
bewies ihm aber, daß der Prophet ein Freund und<lb/>
Bewunderer ſeiner vaterländiſchen Literatur ſeyn müſſe;<lb/>
denn zu welchem ſonſtigen Zwecke hätte er ſich damit<lb/>
umringen ſollen, als um ſie zu leſen?</p><lb/><p>Mit faſt vor Begierde zitternder Hand griff er<lb/>
nach einem Bande, der den „<hirendition="#g">Fauſt</hi>“ enthielt und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0112]
— „Deshalb haben Sie allein ſich ſelbſt anzu-
klagen,“ antwortete ihm Smith: „auf einen nur
leiſe von Jhnen geäußerten Wunſch hätten Jhnen dieſe
Bücher ſämmtlich zu Gebote geſtanden. Sehen Sie
ſich einige Augenblicke hier um,“ fügte er hinzu,
„und erlauben mir, während des meine Tochter auf
einen lieben Gaſt vorzubereiten, denn Sie müſſen für
heute der unſrige ſeyn,“ und ohne Arnolds Antwort
abzuwarten, entfernte er ſich aus dem Zimmer, als
fürchte er, die Arnolden angebotene Gaſtfreundſchaft
abgelehnt zu ſehen.
Der junge Deutſche hatte jetzt Muße, die in die-
ſem Gemache aufgeſtellten Bücherſchätze in Augenſchein
zu nehmen und erſtaunte nicht wenig, als er faſt alle
claſſiſchen deutſchen Werke, und ſowohl ſchönwiſſen-
ſchaftliche als gelehrte, in faſt allen Wiſſenſchaften
fand. Er hatte bis dahin nicht einmal gewußt, daß
Joe Smith deutſch zu ſprechen verſtand, denn, wie
es in Nordamerika Sitte iſt, hatte er nur engliſch
mit ihm geredet; dieſe Maſſe von deutſchen Werken
bewies ihm aber, daß der Prophet ein Freund und
Bewunderer ſeiner vaterländiſchen Literatur ſeyn müſſe;
denn zu welchem ſonſtigen Zwecke hätte er ſich damit
umringen ſollen, als um ſie zu leſen?
Mit faſt vor Begierde zitternder Hand griff er
nach einem Bande, der den „Fauſt“ enthielt und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/112>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.