Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


lebt; an Gestalt, Kleidung, Ausdruck auf das
mannichfaltigste von einander unterschieden, wogten
die Bewohner des Süden und Norden vor der
stillen Werkstatt auf und ab, in welcher sich der
junge Maler dem seiner Zeit eignen kräftigen und
ernsten Fleiße auf das ungestörteste ergab. Er
blickte hinaus in die sonnenhelle Welt, und fühlte
in sich Kraft und Muth, festzuhalten und nachzubil-
den was dort in ewigem Wechsel sich bewegte; er
sah zurück auf seine Tafel, der metallische Glanz
des Goldgrundes starrte, beengend, ihm entgegen;
er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von
seinen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un-
ternehmen, den Goldgrund zu verlassen, und hatte
mit diesem Schritte Alles gewonnen. Luft, Wasser,
das ganze Pflanzenreich, was nur unsre schöne
Erde schmückt und bekleidet, Berge, Städte, ferne
Gegenden, zu denen das Auge kaum reicht, hatte
Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der
Malerei sich erobert, und der schöpferische Genius
der Kunst benuzte, einmal erwacht, Alles wie er
wollte und mußte. Von ihm durchdrungen, lernte


lebt; an Geſtalt, Kleidung, Ausdruck auf das
mannichfaltigſte von einander unterſchieden, wogten
die Bewohner des Süden und Norden vor der
ſtillen Werkſtatt auf und ab, in welcher ſich der
junge Maler dem ſeiner Zeit eignen kräftigen und
ernſten Fleiße auf das ungeſtörteſte ergab. Er
blickte hinaus in die ſonnenhelle Welt, und fühlte
in ſich Kraft und Muth, feſtzuhalten und nachzubil-
den was dort in ewigem Wechſel ſich bewegte; er
ſah zurück auf ſeine Tafel, der metalliſche Glanz
des Goldgrundes ſtarrte, beengend, ihm entgegen;
er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von
ſeinen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un-
ternehmen, den Goldgrund zu verlaſſen, und hatte
mit dieſem Schritte Alles gewonnen. Luft, Waſſer,
das ganze Pflanzenreich, was nur unſre ſchöne
Erde ſchmückt und bekleidet, Berge, Städte, ferne
Gegenden, zu denen das Auge kaum reicht, hatte
Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der
Malerei ſich erobert, und der ſchöpferiſche Genius
der Kunſt benuzte, einmal erwacht, Alles wie er
wollte und mußte. Von ihm durchdrungen, lernte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="25"/><lb/>
lebt; an Ge&#x017F;talt, Kleidung, Ausdruck auf das<lb/>
mannichfaltig&#x017F;te von einander unter&#x017F;chieden, wogten<lb/>
die Bewohner des Süden und Norden vor der<lb/>
&#x017F;tillen Werk&#x017F;tatt auf und ab, in welcher &#x017F;ich der<lb/>
junge Maler dem &#x017F;einer Zeit eignen kräftigen und<lb/>
ern&#x017F;ten Fleiße auf das unge&#x017F;törte&#x017F;te ergab. Er<lb/>
blickte hinaus in die &#x017F;onnenhelle Welt, und fühlte<lb/>
in &#x017F;ich Kraft und Muth, fe&#x017F;tzuhalten und nachzubil-<lb/>
den was dort in ewigem Wech&#x017F;el &#x017F;ich bewegte; er<lb/>
&#x017F;ah zurück auf &#x017F;eine Tafel, der metalli&#x017F;che Glanz<lb/>
des Goldgrundes &#x017F;tarrte, beengend, ihm entgegen;<lb/>
er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von<lb/>
&#x017F;einen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un-<lb/>
ternehmen, den Goldgrund zu verla&#x017F;&#x017F;en, und hatte<lb/>
mit die&#x017F;em Schritte Alles gewonnen. Luft, Wa&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
das ganze Pflanzenreich, was nur un&#x017F;re &#x017F;chöne<lb/>
Erde &#x017F;chmückt und bekleidet, Berge, Städte, ferne<lb/>
Gegenden, zu denen das Auge kaum reicht, hatte<lb/>
Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der<lb/>
Malerei &#x017F;ich erobert, und der &#x017F;chöpferi&#x017F;che Genius<lb/>
der Kun&#x017F;t benuzte, einmal erwacht, Alles wie er<lb/>
wollte und mußte. Von ihm durchdrungen, lernte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0037] lebt; an Geſtalt, Kleidung, Ausdruck auf das mannichfaltigſte von einander unterſchieden, wogten die Bewohner des Süden und Norden vor der ſtillen Werkſtatt auf und ab, in welcher ſich der junge Maler dem ſeiner Zeit eignen kräftigen und ernſten Fleiße auf das ungeſtörteſte ergab. Er blickte hinaus in die ſonnenhelle Welt, und fühlte in ſich Kraft und Muth, feſtzuhalten und nachzubil- den was dort in ewigem Wechſel ſich bewegte; er ſah zurück auf ſeine Tafel, der metalliſche Glanz des Goldgrundes ſtarrte, beengend, ihm entgegen; er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von ſeinen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un- ternehmen, den Goldgrund zu verlaſſen, und hatte mit dieſem Schritte Alles gewonnen. Luft, Waſſer, das ganze Pflanzenreich, was nur unſre ſchöne Erde ſchmückt und bekleidet, Berge, Städte, ferne Gegenden, zu denen das Auge kaum reicht, hatte Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der Malerei ſich erobert, und der ſchöpferiſche Genius der Kunſt benuzte, einmal erwacht, Alles wie er wollte und mußte. Von ihm durchdrungen, lernte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/37
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/37>, abgerufen am 19.04.2024.