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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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strömten auch die Bewohner fremder, zum Theil
weit entlegner Länder dort jubelnd zusammen, wo
jezt trauernde Überbleibsel in sich versunkner Palläste
den Durchreisenden mit banger Wehmuth erfüllen,
ihn antreibend so schnell als möglich aus dieser
beklemmenden Öde zu flüchten.

Jn einem blühenden Lande siedelt auch die
Kunst neben dem Reichthum gerne sich an, denn sie
bedarf seiner zum Gedeihen, wie die Pflanze des
Sonnenscheins; der Reichthum aber bedarf wieder-
um der Kunst, um sich seiner selbst würdig zu er-
freuen, und durch sie erst zu werden was er seyn kann.
Hubert und Johann van Eyck fanden daher mit
Margarethen in dem ohnehin von Maaseyck nicht
eben weit entfernten Brügge einen allen ihrem
Wünschen und Bedürfen völlig zusagenden Wohnort;
sie ließen sich dort häuslich nieder und begannen mit
neuem Eifer und Muth ihre Kunst zu üben. Zuweilen
vereinten beide Brüder ihr Talent in Vollendung
eines und desselben Gemäldes, zuweilen malte jeder
für sich allein. Wirklich bewahrt auch die Biblio-
thek in Brügge noch heute das älteste Gemälde von


ſtrömten auch die Bewohner fremder, zum Theil
weit entlegner Länder dort jubelnd zuſammen, wo
jezt trauernde Überbleibſel in ſich verſunkner Palläſte
den Durchreiſenden mit banger Wehmuth erfüllen,
ihn antreibend ſo ſchnell als möglich aus dieſer
beklemmenden Öde zu flüchten.

Jn einem blühenden Lande ſiedelt auch die
Kunſt neben dem Reichthum gerne ſich an, denn ſie
bedarf ſeiner zum Gedeihen, wie die Pflanze des
Sonnenſcheins; der Reichthum aber bedarf wieder-
um der Kunſt, um ſich ſeiner ſelbſt würdig zu er-
freuen, und durch ſie erſt zu werden was er ſeyn kann.
Hubert und Johann van Eyck fanden daher mit
Margarethen in dem ohnehin von Maaseyck nicht
eben weit entfernten Brügge einen allen ihrem
Wünſchen und Bedürfen völlig zuſagenden Wohnort;
ſie ließen ſich dort häuslich nieder und begannen mit
neuem Eifer und Muth ihre Kunſt zu üben. Zuweilen
vereinten beide Brüder ihr Talent in Vollendung
eines und deſſelben Gemäldes, zuweilen malte jeder
für ſich allein. Wirklich bewahrt auch die Biblio-
thek in Brügge noch heute das älteſte Gemälde von

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[23/0035] ſtrömten auch die Bewohner fremder, zum Theil weit entlegner Länder dort jubelnd zuſammen, wo jezt trauernde Überbleibſel in ſich verſunkner Palläſte den Durchreiſenden mit banger Wehmuth erfüllen, ihn antreibend ſo ſchnell als möglich aus dieſer beklemmenden Öde zu flüchten. Jn einem blühenden Lande ſiedelt auch die Kunſt neben dem Reichthum gerne ſich an, denn ſie bedarf ſeiner zum Gedeihen, wie die Pflanze des Sonnenſcheins; der Reichthum aber bedarf wieder- um der Kunſt, um ſich ſeiner ſelbſt würdig zu er- freuen, und durch ſie erſt zu werden was er ſeyn kann. Hubert und Johann van Eyck fanden daher mit Margarethen in dem ohnehin von Maaseyck nicht eben weit entfernten Brügge einen allen ihrem Wünſchen und Bedürfen völlig zuſagenden Wohnort; ſie ließen ſich dort häuslich nieder und begannen mit neuem Eifer und Muth ihre Kunſt zu üben. Zuweilen vereinten beide Brüder ihr Talent in Vollendung eines und deſſelben Gemäldes, zuweilen malte jeder für ſich allein. Wirklich bewahrt auch die Biblio- thek in Brügge noch heute das älteſte Gemälde von

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/35>, abgerufen am 19.04.2024.