ersten Meister seiner Zeit und seines Vater- landes.
Seine Lehrerin in der Darstellung weiblicher Gestalten, in welcher nach dem Urtheil der damali- gen Kunstkenner es niemand ihm gleich that, war die heiße innige Liebe zu Jakob Weytens, eines Bürgers von Gent, schöner Tochter. Diesem ge- liebten Mädchen zu Ehren umstralte alle seine Frauenbilder eine nur ihm eigne unbeschreibliche Anmuth, neben der züchtigsten Bescheidenheit in Stellung und Ausdruck. Ein in Öl auf einer Wand im Hause des Vaters seiner Geliebten gemaltes Bild zeichnete in dieser Hinsicht besonders sich aus. Es stellte die kluge Abigail dar, wie sie, begleitet von ihrer weiblichen Hausgenossenschaft, dem hoch- erzürnten, auf einem stolzen Rosse einher reitenden König David mit sanfter Überredung entgegen tritt und durch weibliche Milde seinen strengen Sinn be- siegt. Auf diesem Bilde prangte auch das nach dem Leben gemalte sehr ähnliche Porträt der schönen Ge- liebten des Malers, und der Glückliche empfing dafür mit ihrer Hand den lang ersehnten Lohn.
erſten Meiſter ſeiner Zeit und ſeines Vater- landes.
Seine Lehrerin in der Darſtellung weiblicher Geſtalten, in welcher nach dem Urtheil der damali- gen Kunſtkenner es niemand ihm gleich that, war die heiße innige Liebe zu Jakob Weytens, eines Bürgers von Gent, ſchöner Tochter. Dieſem ge- liebten Mädchen zu Ehren umſtralte alle ſeine Frauenbilder eine nur ihm eigne unbeſchreibliche Anmuth, neben der züchtigſten Beſcheidenheit in Stellung und Ausdruck. Ein in Öl auf einer Wand im Hauſe des Vaters ſeiner Geliebten gemaltes Bild zeichnete in dieſer Hinſicht beſonders ſich aus. Es ſtellte die kluge Abigail dar, wie ſie, begleitet von ihrer weiblichen Hausgenoſſenſchaft, dem hoch- erzürnten, auf einem ſtolzen Roſſe einher reitenden König David mit ſanfter Überredung entgegen tritt und durch weibliche Milde ſeinen ſtrengen Sinn be- ſiegt. Auf dieſem Bilde prangte auch das nach dem Leben gemalte ſehr ähnliche Porträt der ſchönen Ge- liebten des Malers, und der Glückliche empfing dafür mit ihrer Hand den lang erſehnten Lohn.
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erſten Meiſter ſeiner Zeit und ſeines Vater-
landes.
Seine Lehrerin in der Darſtellung weiblicher
Geſtalten, in welcher nach dem Urtheil der damali-
gen Kunſtkenner es niemand ihm gleich that, war
die heiße innige Liebe zu Jakob Weytens, eines
Bürgers von Gent, ſchöner Tochter. Dieſem ge-
liebten Mädchen zu Ehren umſtralte alle ſeine
Frauenbilder eine nur ihm eigne unbeſchreibliche
Anmuth, neben der züchtigſten Beſcheidenheit in
Stellung und Ausdruck. Ein in Öl auf einer Wand
im Hauſe des Vaters ſeiner Geliebten gemaltes
Bild zeichnete in dieſer Hinſicht beſonders ſich aus.
Es ſtellte die kluge Abigail dar, wie ſie, begleitet
von ihrer weiblichen Hausgenoſſenſchaft, dem hoch-
erzürnten, auf einem ſtolzen Roſſe einher reitenden
König David mit ſanfter Überredung entgegen tritt
und durch weibliche Milde ſeinen ſtrengen Sinn be-
ſiegt. Auf dieſem Bilde prangte auch das nach dem
Leben gemalte ſehr ähnliche Porträt der ſchönen Ge-
liebten des Malers, und der Glückliche empfing
dafür mit ihrer Hand den lang erſehnten Lohn.
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/123>, abgerufen am 03.05.2024.
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