Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

So
sonders. Denn ist das was erstaunendes, wenn
ich sage: der Mittag kam heran? Nein! das
thut er alle Tage. Die Sonne muß in ein Zim-
mer gesperret, und ihr ein Besen in die Hand
gegeben werden. Diejenigen Umstände aber, die
von weitem hergeholet sind, deren man sich nicht
vermuthet, und die eine Art eines Widerspruchs
haben, rühren, setzen in Verwunderung, und er-
schrecken ganz wundersam. Der Widerspruch be-
sonders ist eine der annehmlichsten Zieraten unse-
rer heiligen Dichtkunst; und ein Schüler ist oft
darinnen noch ein größerer Meister, als ein Pro-
fessor:
ein Schicksal, das unsere Kunst mit der
Liebe gemein hat.

Sonnenmeile.

Jch will dir, lieber Leser! so
gleich sagen, wie viel Erdmeilen eine Sonnen-
meile
ist: so bald du mir sagen wirst, was eine
Sternenmeile sey.

"Wenn wird tönen um euch der Pole don-
nern; wenn vor euch
"Wird der Gesang der Sphären, in Stim-
men der Meere verwandelt,

"Brausend vorbeygehn, u. schnell die Reyhen
wandelnder Sternen

"Tausend Sonnenmeilen herauf u. tausend
hinunter,
"Durch die Unendlichkeit werden erzittern. --
Off. St. Klopst. 172 S.

Dörfen wir das Große mit dem Kleinen verglei-
chen? Uns nämlich kömmt St. Klopstocks
Weltchen
als ein ungeheurer Garten vor, der

vormals

So
ſonders. Denn iſt das was erſtaunendes, wenn
ich ſage: der Mittag kam heran? Nein! das
thut er alle Tage. Die Sonne muß in ein Zim-
mer geſperret, und ihr ein Beſen in die Hand
gegeben werden. Diejenigen Umſtaͤnde aber, die
von weitem hergeholet ſind, deren man ſich nicht
vermuthet, und die eine Art eines Widerſpruchs
haben, ruͤhren, ſetzen in Verwunderung, und er-
ſchrecken ganz wunderſam. Der Widerſpruch be-
ſonders iſt eine der annehmlichſten Zieraten unſe-
rer heiligen Dichtkunſt; und ein Schuͤler iſt oft
darinnen noch ein groͤßerer Meiſter, als ein Pro-
feſſor:
ein Schickſal, das unſere Kunſt mit der
Liebe gemein hat.

Sonnenmeile.

Jch will dir, lieber Leſer! ſo
gleich ſagen, wie viel Erdmeilen eine Sonnen-
meile
iſt: ſo bald du mir ſagen wirſt, was eine
Sternenmeile ſey.

“Wenn wird toͤnen um euch der Pole don-
nern; wenn vor euch
“Wird der Geſang der Sphaͤren, in Stim-
men der Meere verwandelt,

“Brauſend vorbeygehn, u. ſchnell die Reyhen
wandelnder Sternen

Tauſend Sonnenmeilen herauf u. tauſend
hinunter,
“Durch die Unendlichkeit werden erzittern.
Off. St. Klopſt. 172 S.

Doͤrfen wir das Große mit dem Kleinen verglei-
chen? Uns naͤmlich koͤmmt St. Klopſtocks
Weltchen
als ein ungeheurer Garten vor, der

vormals
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0423" n="397"/><fw place="top" type="header">So</fw><lb/>
&#x017F;onders. Denn i&#x017F;t das was er&#x017F;taunendes, wenn<lb/>
ich &#x017F;age: <hi rendition="#fr">der Mittag kam heran?</hi> Nein! das<lb/>
thut er alle Tage. Die <hi rendition="#fr">Sonne</hi> muß in ein Zim-<lb/>
mer ge&#x017F;perret, und ihr ein <hi rendition="#fr">Be&#x017F;en in die Hand</hi><lb/>
gegeben werden. Diejenigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde aber, die<lb/>
von weitem hergeholet &#x017F;ind, deren man &#x017F;ich nicht<lb/>
vermuthet, und die eine Art eines Wider&#x017F;pruchs<lb/>
haben, ru&#x0364;hren, &#x017F;etzen in Verwunderung, und er-<lb/>
&#x017F;chrecken ganz wunder&#x017F;am. Der Wider&#x017F;pruch be-<lb/>
&#x017F;onders i&#x017F;t eine der annehmlich&#x017F;ten Zieraten un&#x017F;e-<lb/>
rer <hi rendition="#fr">heiligen Dichtkun&#x017F;t;</hi> und ein Schu&#x0364;ler i&#x017F;t oft<lb/>
darinnen noch ein gro&#x0364;ßerer Mei&#x017F;ter, als ein <hi rendition="#fr">Pro-<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;or:</hi> ein Schick&#x017F;al, das un&#x017F;ere Kun&#x017F;t mit der<lb/>
Liebe gemein hat.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Sonnenmeile.</head>
            <p>Jch will dir, lieber Le&#x017F;er! &#x017F;o<lb/>
gleich &#x017F;agen, wie viel <hi rendition="#fr">Erdmeilen</hi> eine <hi rendition="#fr">Sonnen-<lb/>
meile</hi> i&#x017F;t: &#x017F;o bald du mir &#x017F;agen wir&#x017F;t, was eine<lb/><hi rendition="#fr">Sternenmeile</hi> &#x017F;ey.</p><lb/>
            <cit>
              <quote>&#x201C;Wenn wird to&#x0364;nen um euch der <hi rendition="#fr">Pole don-</hi><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">nern;</hi> wenn vor euch</hi><lb/>
&#x201C;Wird der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ang der Spha&#x0364;ren,</hi> in <hi rendition="#fr">Stim-<lb/><hi rendition="#et">men der Meere verwandelt,</hi></hi><lb/>
&#x201C;Brau&#x017F;end vorbeygehn, u. &#x017F;chnell die <hi rendition="#fr">Reyhen<lb/><hi rendition="#et">wandelnder Sternen</hi></hi><lb/>
&#x201C;<hi rendition="#fr">Tau&#x017F;end Sonnenmeilen</hi> herauf u. tau&#x017F;end<lb/><hi rendition="#et">hinunter,</hi><lb/>
&#x201C;Durch die Unendlichkeit werden <hi rendition="#fr">erzittern.</hi> &#x2014;<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Off. St. Klop&#x017F;t. 172 S.</hi></hi></quote>
              <bibl/>
            </cit><lb/>
            <p>Do&#x0364;rfen wir das Große mit dem Kleinen verglei-<lb/>
chen? Uns na&#x0364;mlich ko&#x0364;mmt <hi rendition="#fr">St. Klop&#x017F;tocks<lb/>
Weltchen</hi> als ein ungeheurer Garten vor, der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vormals</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0423] So ſonders. Denn iſt das was erſtaunendes, wenn ich ſage: der Mittag kam heran? Nein! das thut er alle Tage. Die Sonne muß in ein Zim- mer geſperret, und ihr ein Beſen in die Hand gegeben werden. Diejenigen Umſtaͤnde aber, die von weitem hergeholet ſind, deren man ſich nicht vermuthet, und die eine Art eines Widerſpruchs haben, ruͤhren, ſetzen in Verwunderung, und er- ſchrecken ganz wunderſam. Der Widerſpruch be- ſonders iſt eine der annehmlichſten Zieraten unſe- rer heiligen Dichtkunſt; und ein Schuͤler iſt oft darinnen noch ein groͤßerer Meiſter, als ein Pro- feſſor: ein Schickſal, das unſere Kunſt mit der Liebe gemein hat. Sonnenmeile. Jch will dir, lieber Leſer! ſo gleich ſagen, wie viel Erdmeilen eine Sonnen- meile iſt: ſo bald du mir ſagen wirſt, was eine Sternenmeile ſey. “Wenn wird toͤnen um euch der Pole don- nern; wenn vor euch “Wird der Geſang der Sphaͤren, in Stim- men der Meere verwandelt, “Brauſend vorbeygehn, u. ſchnell die Reyhen wandelnder Sternen “Tauſend Sonnenmeilen herauf u. tauſend hinunter, “Durch die Unendlichkeit werden erzittern. — Off. St. Klopſt. 172 S. Doͤrfen wir das Große mit dem Kleinen verglei- chen? Uns naͤmlich koͤmmt St. Klopſtocks Weltchen als ein ungeheurer Garten vor, der vormals

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/423
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/423>, abgerufen am 21.11.2024.