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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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Zeuch, Hannibal! vom heissen Calpe
Durch Pennins nie bestiegne Alpe!
Haller 11 S.

Durch, nicht darüber! Der Sprung, den der
Dichter hier thut, ist etwas stark. Man stelle
sich Hannibaln vor, wie er auf dem Berge Cal-
pe,
oder Gibraltar stehet; einen Satz nach den
Pyrenäen thut; und ohne zu ruhen noch einen
nach den Alpen versuchet; aber auch da nicht inne-
hält, sondern noch einen nach dem appennini-
schen Gebürge
thut. Welch ein Springer! Das
Gift ist auch da von Hannibals Siegen. Allein
hat er denn das Gift besieget? Der Unfall schläft
allda auch Tyrannen bey: was wird es doch für
Kinder zeugen? Denn beywohnen jemanden,
oder beyschlafen ist das nicht einerley? Die sinn-
lichen Dichter sind sehr sinnlich. Wozu verleitet ei-
nen aber nicht die Redensart: dieses oder jenes
wohnet mir bey? die man im gemeinen Leben
höret.

Wie oft muß Gift aus Freundes Händen
Des größten Helden Leben enden,
Das tausend Degen nicht versehrt?

Man bewundere doch die geschickte Auslassung des
Artikels des Freundes. Hat endlich das Leben
die Degen, oder haben die Degen das Leben nicht
versehret? Es ist eine Paronomasie: näm-
lich, wenn ein Wort, wie hier das, wie die Zunge
eines Holzschreyers, doppelt redet; auch eine
Schaukel. Antilong. 88. Solche Freyheiten
aber stehen einem großen Dichter sehr schön. Al-

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Al
Zeuch, Hannibal! vom heiſſen Calpe
Durch Pennins nie beſtiegne Alpe!
Haller 11 S.

Durch, nicht daruͤber! Der Sprung, den der
Dichter hier thut, iſt etwas ſtark. Man ſtelle
ſich Hannibaln vor, wie er auf dem Berge Cal-
pe,
oder Gibraltar ſtehet; einen Satz nach den
Pyrenaͤen thut; und ohne zu ruhen noch einen
nach den Alpen verſuchet; aber auch da nicht inne-
haͤlt, ſondern noch einen nach dem appennini-
ſchen Gebuͤrge
thut. Welch ein Springer! Das
Gift iſt auch da von Hannibals Siegen. Allein
hat er denn das Gift beſieget? Der Unfall ſchlaͤft
allda auch Tyrannen bey: was wird es doch fuͤr
Kinder zeugen? Denn beywohnen jemanden,
oder beyſchlafen iſt das nicht einerley? Die ſinn-
lichen Dichter ſind ſehr ſinnlich. Wozu verleitet ei-
nen aber nicht die Redensart: dieſes oder jenes
wohnet mir bey? die man im gemeinen Leben
hoͤret.

Wie oft muß Gift aus Freundes Haͤnden
Des groͤßten Helden Leben enden,
Das tauſend Degen nicht verſehrt?

Man bewundere doch die geſchickte Auslaſſung des
Artikels des Freundes. Hat endlich das Leben
die Degen, oder haben die Degen das Leben nicht
verſehret? Es iſt eine Paronomaſie: naͤm-
lich, wenn ein Wort, wie hier das, wie die Zunge
eines Holzſchreyers, doppelt redet; auch eine
Schaukel. Antilong. 88. Solche Freyheiten
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[14/0040] Al Zeuch, Hannibal! vom heiſſen Calpe Durch Pennins nie beſtiegne Alpe! Haller 11 S. Durch, nicht daruͤber! Der Sprung, den der Dichter hier thut, iſt etwas ſtark. Man ſtelle ſich Hannibaln vor, wie er auf dem Berge Cal- pe, oder Gibraltar ſtehet; einen Satz nach den Pyrenaͤen thut; und ohne zu ruhen noch einen nach den Alpen verſuchet; aber auch da nicht inne- haͤlt, ſondern noch einen nach dem appennini- ſchen Gebuͤrge thut. Welch ein Springer! Das Gift iſt auch da von Hannibals Siegen. Allein hat er denn das Gift beſieget? Der Unfall ſchlaͤft allda auch Tyrannen bey: was wird es doch fuͤr Kinder zeugen? Denn beywohnen jemanden, oder beyſchlafen iſt das nicht einerley? Die ſinn- lichen Dichter ſind ſehr ſinnlich. Wozu verleitet ei- nen aber nicht die Redensart: dieſes oder jenes wohnet mir bey? die man im gemeinen Leben hoͤret. Wie oft muß Gift aus Freundes Haͤnden Des groͤßten Helden Leben enden, Das tauſend Degen nicht verſehrt? Man bewundere doch die geſchickte Auslaſſung des Artikels des Freundes. Hat endlich das Leben die Degen, oder haben die Degen das Leben nicht verſehret? Es iſt eine Paronomaſie: naͤm- lich, wenn ein Wort, wie hier das, wie die Zunge eines Holzſchreyers, doppelt redet; auch eine Schaukel. Antilong. 88. Solche Freyheiten aber ſtehen einem großen Dichter ſehr ſchoͤn. Al- lein

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/40>, abgerufen am 28.04.2024.