Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schnitzler, Arthur: Traumnovelle. Berlin, 1926.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie lächelte trüb. "Und wenn es auch mir beliebt hätte, zuerst auf die Suche zu gehen?" sagte sie. Ihr Blick veränderte sich, wurde kühl und undurchdringlich. Er ließ ihre Hände aus den seinen gleiten, als hätte er sie auf einer Unwahrheit, auf einem Verrat ertappt; sie aber sagte: "Ach, wenn ihr wüßtet", und wieder schwieg sie.

"Wenn wir wüßten -? Was willst du damit sagen?"

Mit seltsamer Härte erwiderte sie: "Ungefähr, was du dir denkst, mein Lieber."

"Albertine - so gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast?"

Sie nickte und blickte mit einem sonderbaren Lächeln vor sich hin.

Unfaßbare, unsinnige Zweifel wachten in ihm auf.

"Ich verstehe nicht recht", sagte er. "Du warst kaum siebzehn, als wir uns verlobten."

"Sechzehn vorbei, ja, Fridolin. Und doch -" sie sah ihm hell in die Augen - "lag es nicht an mir, daß ich noch jungfräulich deine Gattin wurde."

"Albertine -!"

Und sie erzählte:

"Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin, da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher junger Mensch an meinem Fenster, das auf die große, weite Wiese

Sie lächelte trüb. „Und wenn es auch mir beliebt hätte, zuerst auf die Suche zu gehen?“ sagte sie. Ihr Blick veränderte sich, wurde kühl und undurchdringlich. Er ließ ihre Hände aus den seinen gleiten, als hätte er sie auf einer Unwahrheit, auf einem Verrat ertappt; sie aber sagte: „Ach, wenn ihr wüßtet“, und wieder schwieg sie.

„Wenn wir wüßten –? Was willst du damit sagen?“

Mit seltsamer Härte erwiderte sie: „Ungefähr, was du dir denkst, mein Lieber.“

„Albertine – so gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast?“

Sie nickte und blickte mit einem sonderbaren Lächeln vor sich hin.

Unfaßbare, unsinnige Zweifel wachten in ihm auf.

„Ich verstehe nicht recht“, sagte er. „Du warst kaum siebzehn, als wir uns verlobten.“

„Sechzehn vorbei, ja, Fridolin. Und doch –“ sie sah ihm hell in die Augen – „lag es nicht an mir, daß ich noch jungfräulich deine Gattin wurde.“

„Albertine –!“

Und sie erzählte:

„Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin, da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher junger Mensch an meinem Fenster, das auf die große, weite Wiese

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="13"/>
Sie lächelte trüb. &#x201E;Und wenn es auch mir beliebt hätte, zuerst auf die Suche zu gehen?&#x201C; sagte sie. Ihr Blick veränderte sich, wurde kühl und undurchdringlich. Er ließ ihre Hände aus den seinen gleiten, als hätte er sie auf einer Unwahrheit, auf einem Verrat ertappt; sie aber sagte: &#x201E;Ach, wenn ihr wüßtet&#x201C;, und wieder schwieg sie.</p>
        <p>&#x201E;Wenn wir wüßten &#x2013;? Was willst du damit sagen?&#x201C;</p>
        <p>Mit seltsamer Härte erwiderte sie: &#x201E;Ungefähr, was du dir denkst, mein Lieber.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Albertine &#x2013; so gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast?&#x201C;</p>
        <p>Sie nickte und blickte mit einem sonderbaren Lächeln vor sich hin.</p>
        <p>Unfaßbare, unsinnige Zweifel wachten in ihm auf.</p>
        <p>&#x201E;Ich verstehe nicht recht&#x201C;, sagte er. &#x201E;Du warst kaum siebzehn, als wir uns verlobten.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Sechzehn vorbei, ja, Fridolin. Und doch &#x2013;&#x201C; sie sah ihm hell in die Augen &#x2013; &#x201E;lag es nicht an mir, daß ich noch jungfräulich deine Gattin wurde.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Albertine &#x2013;!&#x201C;</p>
        <p>Und sie erzählte:</p>
        <p>&#x201E;Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin, da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher junger Mensch an meinem Fenster, das auf die große, weite Wiese
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0015] Sie lächelte trüb. „Und wenn es auch mir beliebt hätte, zuerst auf die Suche zu gehen?“ sagte sie. Ihr Blick veränderte sich, wurde kühl und undurchdringlich. Er ließ ihre Hände aus den seinen gleiten, als hätte er sie auf einer Unwahrheit, auf einem Verrat ertappt; sie aber sagte: „Ach, wenn ihr wüßtet“, und wieder schwieg sie. „Wenn wir wüßten –? Was willst du damit sagen?“ Mit seltsamer Härte erwiderte sie: „Ungefähr, was du dir denkst, mein Lieber.“ „Albertine – so gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast?“ Sie nickte und blickte mit einem sonderbaren Lächeln vor sich hin. Unfaßbare, unsinnige Zweifel wachten in ihm auf. „Ich verstehe nicht recht“, sagte er. „Du warst kaum siebzehn, als wir uns verlobten.“ „Sechzehn vorbei, ja, Fridolin. Und doch –“ sie sah ihm hell in die Augen – „lag es nicht an mir, daß ich noch jungfräulich deine Gattin wurde.“ „Albertine –!“ Und sie erzählte: „Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin, da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher junger Mensch an meinem Fenster, das auf die große, weite Wiese

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_traumnovelle_1926
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_traumnovelle_1926/15
Zitationshilfe: Schnitzler, Arthur: Traumnovelle. Berlin, 1926, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_traumnovelle_1926/15>, abgerufen am 24.04.2024.