Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

dreuste und offenhertzig mit ihr redete, mir auch
niemahls etwas übel nahm, wie sie mir denn dieses
alles in Holländischer Sprache, welche sie zu der
Zeit nur noch verstümmelt redete, zum öfftern sehr
liebreich zu vernehmen gab, so nahm mir vor, es zu
wagen, ihr einen besondern Vortrag zu thun.

Demnach stemmete ich einstmahls, als ich
gantz alleine bey ihr im Zimmer war, einen Arm
unter den Kopff, und ließ etliche Thränen aus mei-
nen Augen fallen, denn sie hatte mir vorhero gantz
offenhertzig viel von ihren Glücks-und Unglücks-
Fällen erzehlet. Wie nun die Fürstin mich frag-
te: warum ich Thränen vergösse? und wer mir
etwas zu Leide gethan hätte? gab ich sogleich zur
Antwort: mir hat niemand das geringste zu Leide
gethan, diese Thränen aber, die ich jetzo fallen lasse,
fliessen aus einem Jammer-vollen Hertzen und mit-
leidenden Augen, beklage anbey nichts mehr, als
dieses, daß Ew. Durchl. nicht das Glück haben,
eine Christin zu seyn, da sich denn Dieselben in vie-
len Stücken weit besser fassen und trösten würden.

Was? (fuhr hierauf die Fürstin als halb
erzürnt auf) wer hat euch gesagt, daß ich kei-
ne Christin wäre? fraget den Jacob, den
Keller-Meister, der wird mir Zeugniß ge-
ben, daß ich eine getauffte Christin bin, und
das heilige Abendmahl von einem Hollän-
dischen
Protestantischen Schiffs-Prediger
schon drey mahl empfangen habe, nach der
Zeit aber haben sich meine Umstände der-
gestalt verändert, daß ich dieser grossen

Glück-

dreuſte und offenhertzig mit ihr redete, mir auch
niemahls etwas uͤbel nahm, wie ſie mir denn dieſes
alles in Hollaͤndiſcher Sprache, welche ſie zu der
Zeit nur noch verſtuͤmmelt redete, zum oͤfftern ſehr
liebreich zu vernehmen gab, ſo nahm mir vor, es zu
wagen, ihr einen beſondern Vortrag zu thun.

Demnach ſtemmete ich einſtmahls, als ich
gantz alleine bey ihr im Zimmer war, einen Arm
unter den Kopff, und ließ etliche Thraͤnen aus mei-
nen Augen fallen, denn ſie hatte mir vorhero gantz
offenhertzig viel von ihren Gluͤcks-und Ungluͤcks-
Faͤllen erzehlet. Wie nun die Fuͤrſtin mich frag-
te: warum ich Thraͤnen vergoͤſſe? und wer mir
etwas zu Leide gethan haͤtte? gab ich ſogleich zur
Antwort: mir hat niemand das geringſte zu Leide
gethan, dieſe Thraͤnen aber, die ich jetzo fallen laſſe,
flieſſen aus einem Jammer-vollen Hertzen und mit-
leidenden Augen, beklage anbey nichts mehr, als
dieſes, daß Ew. Durchl. nicht das Gluͤck haben,
eine Chriſtin zu ſeyn, da ſich denn Dieſelben in vie-
len Stuͤcken weit beſſer faſſen und troͤſten wuͤrden.

Was? (fuhr hierauf die Fuͤrſtin als halb
erzuͤrnt auf) wer hat euch geſagt, daß ich kei-
ne Chriſtin waͤre? fraget den Jacob, den
Keller-Meiſter, der wird mir Zeugniß ge-
ben, daß ich eine getauffte Chriſtin bin, und
das heilige Abendmahl von einem Hollaͤn-
diſchen
Proteſtantiſchen Schiffs-Prediger
ſchon drey mahl empfangen habe, nach der
Zeit aber haben ſich meine Umſtaͤnde der-
geſtalt veraͤndert, daß ich dieſer groſſen

Gluͤck-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div>
              <p><pb facs="#f0450" n="440"/>
dreu&#x017F;te und offenhertzig mit ihr redete, mir auch<lb/>
niemahls etwas u&#x0364;bel nahm, wie &#x017F;ie mir denn die&#x017F;es<lb/>
alles in Holla&#x0364;ndi&#x017F;cher Sprache, welche &#x017F;ie zu der<lb/>
Zeit nur noch ver&#x017F;tu&#x0364;mmelt redete, zum o&#x0364;fftern &#x017F;ehr<lb/>
liebreich zu vernehmen gab, &#x017F;o nahm mir vor, es zu<lb/>
wagen, ihr einen be&#x017F;ondern Vortrag zu thun.</p><lb/>
              <p>Demnach &#x017F;temmete ich ein&#x017F;tmahls, als ich<lb/>
gantz alleine bey ihr im Zimmer war, einen Arm<lb/>
unter den Kopff, und ließ etliche Thra&#x0364;nen aus mei-<lb/>
nen Augen fallen, denn &#x017F;ie hatte mir vorhero gantz<lb/>
offenhertzig viel von ihren Glu&#x0364;cks-und Unglu&#x0364;cks-<lb/>
Fa&#x0364;llen erzehlet. Wie nun die Fu&#x0364;r&#x017F;tin mich frag-<lb/>
te: warum ich Thra&#x0364;nen vergo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e? und wer mir<lb/>
etwas zu Leide gethan ha&#x0364;tte? gab ich &#x017F;ogleich zur<lb/>
Antwort: mir hat niemand das gering&#x017F;te zu Leide<lb/>
gethan, die&#x017F;e Thra&#x0364;nen aber, die ich jetzo fallen la&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
flie&#x017F;&#x017F;en aus einem Jammer-vollen Hertzen und mit-<lb/>
leidenden Augen, beklage anbey nichts mehr, als<lb/>
die&#x017F;es, daß Ew. Durchl. nicht das Glu&#x0364;ck haben,<lb/>
eine Chri&#x017F;tin zu &#x017F;eyn, da &#x017F;ich denn Die&#x017F;elben in vie-<lb/>
len Stu&#x0364;cken weit be&#x017F;&#x017F;er fa&#x017F;&#x017F;en und tro&#x0364;&#x017F;ten wu&#x0364;rden.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Was?</hi> (fuhr hierauf die Fu&#x0364;r&#x017F;tin als halb<lb/>
erzu&#x0364;rnt auf) <hi rendition="#fr">wer hat euch ge&#x017F;agt, daß ich kei-<lb/>
ne Chri&#x017F;tin wa&#x0364;re? fraget den Jacob, den<lb/>
Keller-Mei&#x017F;ter, der wird mir Zeugniß ge-<lb/>
ben, daß ich eine getauffte Chri&#x017F;tin bin, und<lb/>
das heilige Abendmahl von einem Holla&#x0364;n-<lb/>
di&#x017F;chen</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Prote&#x017F;tanti</hi></hi><hi rendition="#fr">&#x017F;chen Schiffs-Prediger<lb/>
&#x017F;chon drey mahl empfangen habe, nach der<lb/>
Zeit aber haben &#x017F;ich meine Um&#x017F;ta&#x0364;nde der-<lb/>
ge&#x017F;talt vera&#x0364;ndert, daß ich die&#x017F;er gro&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Glu&#x0364;ck-</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0450] dreuſte und offenhertzig mit ihr redete, mir auch niemahls etwas uͤbel nahm, wie ſie mir denn dieſes alles in Hollaͤndiſcher Sprache, welche ſie zu der Zeit nur noch verſtuͤmmelt redete, zum oͤfftern ſehr liebreich zu vernehmen gab, ſo nahm mir vor, es zu wagen, ihr einen beſondern Vortrag zu thun. Demnach ſtemmete ich einſtmahls, als ich gantz alleine bey ihr im Zimmer war, einen Arm unter den Kopff, und ließ etliche Thraͤnen aus mei- nen Augen fallen, denn ſie hatte mir vorhero gantz offenhertzig viel von ihren Gluͤcks-und Ungluͤcks- Faͤllen erzehlet. Wie nun die Fuͤrſtin mich frag- te: warum ich Thraͤnen vergoͤſſe? und wer mir etwas zu Leide gethan haͤtte? gab ich ſogleich zur Antwort: mir hat niemand das geringſte zu Leide gethan, dieſe Thraͤnen aber, die ich jetzo fallen laſſe, flieſſen aus einem Jammer-vollen Hertzen und mit- leidenden Augen, beklage anbey nichts mehr, als dieſes, daß Ew. Durchl. nicht das Gluͤck haben, eine Chriſtin zu ſeyn, da ſich denn Dieſelben in vie- len Stuͤcken weit beſſer faſſen und troͤſten wuͤrden. Was? (fuhr hierauf die Fuͤrſtin als halb erzuͤrnt auf) wer hat euch geſagt, daß ich kei- ne Chriſtin waͤre? fraget den Jacob, den Keller-Meiſter, der wird mir Zeugniß ge- ben, daß ich eine getauffte Chriſtin bin, und das heilige Abendmahl von einem Hollaͤn- diſchen Proteſtantiſchen Schiffs-Prediger ſchon drey mahl empfangen habe, nach der Zeit aber haben ſich meine Umſtaͤnde der- geſtalt veraͤndert, daß ich dieſer groſſen Gluͤck-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/450
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/450>, abgerufen am 25.11.2024.