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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

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allzu öfftern Hertzen und Küssen ziemlich ab, wei-
len er vermerckte, daß ich dergleichen nicht gern lei-
den mochte.

Jedoch einige Tage nach dieser Begeben-
heit bath mich der Gouverneur, mit ihm in einen
Garten zu spazieren. Jndem nun nicht vermey-
nete, er würde von etwas anders zu sprechen an-
fangen, als von unserer baldigen Abreise, indem
so wohl ich, als mein Bruder, uns verlauten las-
sen, daß wir dieselbe nicht lange mehr aufzuschie-
ben gesonnen wären; so muste ich mit Erstaunen
hören, daß der Gouverneur, nachdem er mich in
eine Grotte geführet, auch neben sich nieder zu se-
tzen gebethen, gegen mich gantz unverhofft also zu
reden anfieng: Höret mir zu, mein Herr, Freund
und Bruder! Jch, als ein Mann, der nichts
als Aufrichtigkeit, Treue und Redlichkeit liebt,
will euch ein Geheimniß eröffnen, wovon niemand
ausser meiner Frauen, biß auf diese Stunde das
geringste weiß. So wohl ich, als meine Frau
haben bemerckt, daß euer Herr Bruder und mei-
ne älteste Tochter von der Zeit an, da ihr bey uns
angekommen, Wechselsweise ein Auge auf einan-
der geworffen; ja! ich muß mich schämen, zu
sagen, daß meine älteste Tochter recht hefftig am
so genannten Liebes-Fieber laborirt, und dabey
nicht geringe Passiones ausstehet. Jch habe zwar
gedacht, diesem Ubel abzuhelffen, und sie an einen
Standesmäßigen Liebsten zu verheyrathen, allein
sie ist seit der Zeit, daß sie mannbar, auch derge-
stalt eigensinnig worden, daß sie (ohne eitlen Ruhm
zu melden) mehr als 16. biß 18. Freyern den Korb ge-

geben,
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allzu oͤfftern Hertzen und Kuͤſſen ziemlich ab, wei-
len er vermerckte, daß ich dergleichen nicht gern lei-
den mochte.

Jedoch einige Tage nach dieſer Begeben-
heit bath mich der Gouverneur, mit ihm in einen
Garten zu ſpazieren. Jndem nun nicht vermey-
nete, er wuͤrde von etwas anders zu ſprechen an-
fangen, als von unſerer baldigen Abreiſe, indem
ſo wohl ich, als mein Bruder, uns verlauten laſ-
ſen, daß wir dieſelbe nicht lange mehr aufzuſchie-
ben geſonnen waͤren; ſo muſte ich mit Erſtaunen
hoͤren, daß der Gouverneur, nachdem er mich in
eine Grotte gefuͤhret, auch neben ſich nieder zu ſe-
tzen gebethen, gegen mich gantz unverhofft alſo zu
reden anfieng: Hoͤret mir zu, mein Herr, Freund
und Bruder! Jch, als ein Mann, der nichts
als Aufrichtigkeit, Treue und Redlichkeit liebt,
will euch ein Geheimniß eroͤffnen, wovon niemand
auſſer meiner Frauen, biß auf dieſe Stunde das
geringſte weiß. So wohl ich, als meine Frau
haben bemerckt, daß euer Herr Bruder und mei-
ne aͤlteſte Tochter von der Zeit an, da ihr bey uns
angekommen, Wechſelsweiſe ein Auge auf einan-
der geworffen; ja! ich muß mich ſchaͤmen, zu
ſagen, daß meine aͤlteſte Tochter recht hefftig am
ſo genannten Liebes-Fieber laborirt, und dabey
nicht geringe Paſſiones ausſtehet. Jch habe zwar
gedacht, dieſem Ubel abzuhelffen, und ſie an einen
Standesmaͤßigen Liebſten zu verheyrathen, allein
ſie iſt ſeit der Zeit, daß ſie mannbar, auch derge-
ſtalt eigenſinnig worden, daß ſie (ohne eitlen Ruhm
zu melden) mehr als 16. biß 18. Freyern den Korb ge-

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[167/0177] allzu oͤfftern Hertzen und Kuͤſſen ziemlich ab, wei- len er vermerckte, daß ich dergleichen nicht gern lei- den mochte. Jedoch einige Tage nach dieſer Begeben- heit bath mich der Gouverneur, mit ihm in einen Garten zu ſpazieren. Jndem nun nicht vermey- nete, er wuͤrde von etwas anders zu ſprechen an- fangen, als von unſerer baldigen Abreiſe, indem ſo wohl ich, als mein Bruder, uns verlauten laſ- ſen, daß wir dieſelbe nicht lange mehr aufzuſchie- ben geſonnen waͤren; ſo muſte ich mit Erſtaunen hoͤren, daß der Gouverneur, nachdem er mich in eine Grotte gefuͤhret, auch neben ſich nieder zu ſe- tzen gebethen, gegen mich gantz unverhofft alſo zu reden anfieng: Hoͤret mir zu, mein Herr, Freund und Bruder! Jch, als ein Mann, der nichts als Aufrichtigkeit, Treue und Redlichkeit liebt, will euch ein Geheimniß eroͤffnen, wovon niemand auſſer meiner Frauen, biß auf dieſe Stunde das geringſte weiß. So wohl ich, als meine Frau haben bemerckt, daß euer Herr Bruder und mei- ne aͤlteſte Tochter von der Zeit an, da ihr bey uns angekommen, Wechſelsweiſe ein Auge auf einan- der geworffen; ja! ich muß mich ſchaͤmen, zu ſagen, daß meine aͤlteſte Tochter recht hefftig am ſo genannten Liebes-Fieber laborirt, und dabey nicht geringe Paſſiones ausſtehet. Jch habe zwar gedacht, dieſem Ubel abzuhelffen, und ſie an einen Standesmaͤßigen Liebſten zu verheyrathen, allein ſie iſt ſeit der Zeit, daß ſie mannbar, auch derge- ſtalt eigenſinnig worden, daß ſie (ohne eitlen Ruhm zu melden) mehr als 16. biß 18. Freyern den Korb ge- geben, (l) 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/177>, abgerufen am 06.05.2024.