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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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gestalt büssete der gute Sanct Andreas, auch bey
dem allerabergläubigsten Frauenzimmer, seinen
völligen Credit ein. Denen Witwen und Wäy-
sen war diese Frau ungemein tröstlich, denn selbige
mochten hier und dort eine gerechte oder ungerechte
Forderung anstellen, so mußte ihnen dennoch das
Urtheil favorabel gesprochen werden, daferne sie
nur etwas im Vermögen und zu spendiren hatten.
Denen alten armen Leuten, aber nur weiblichen
Geschlechts, stunde ihre milde Hand täglich offen,
weil selbige sonderlich geschickt waren, alle neue
Mähren, so in der Stadt und auf dem Lande pas-
sir
ten, in ihr Cabinet zusammen zu tragen, welches
zu gewissen Tages-Stunden allen dergleichen Po-
sten-Trägerinnen offen stund. Ubrigens, aller
häuffigen Einkünffte ohngeachtet, regierte doch
Schmal-Hans, ihrer excessiven Nahrhafftigkeit
wegen, in allen Ecken, so, daß kaum die Kinder,
das Haus-Gesinde aber um so viel desto weniger,
satt zu essen bekamen, weßwegen denn selten eine
Magd über ein Viertel Jahr bey ihr blieb. Recht
ärgerlich war es, daß offtermeldte Frau ihre Kinder
in allen nur ersinnlichen Thorheiten unterwieß, in-
dem sie ihnen, ihrer Meinung nach, die Grund-
Reguln der Politique beyzubringen gedachte. Kon-
te der jüngste Sohn ex tempore eine Lügen aus der
Lufft schnappen, so war es zwar nach ihrem Sinne
eine Anzeigung eines inventieusen Kopfs, daferne
er aber seine Lügen nicht mit besondern wahrschein-
lichen Umständen unverschämter Weise defendi-
ren und fortführen konte, mußte er einen Verweiß
einstecken, und aus ihrem mütterlichen Munde die

subti-

geſtalt buͤſſete der gute Sanct Andreas, auch bey
dem alleraberglaͤubigſten Frauenzimmer, ſeinen
voͤlligen Credit ein. Denen Witwen und Waͤy-
ſen war dieſe Frau ungemein troͤſtlich, denn ſelbige
mochten hier und dort eine gerechte oder ungerechte
Forderung anſtellen, ſo mußte ihnen dennoch das
Urtheil favorabel geſprochen werden, daferne ſie
nur etwas im Vermoͤgen und zu ſpendiren hatten.
Denen alten armen Leuten, aber nur weiblichen
Geſchlechts, ſtunde ihre milde Hand taͤglich offen,
weil ſelbige ſonderlich geſchickt waren, alle neue
Maͤhren, ſo in der Stadt und auf dem Lande paſ-
ſir
ten, in ihr Cabinet zuſammen zu tragen, welches
zu gewiſſen Tages-Stunden allen dergleichen Po-
ſten-Traͤgerinnen offen ſtund. Ubrigens, aller
haͤuffigen Einkuͤnffte ohngeachtet, regierte doch
Schmal-Hans, ihrer exceſſiven Nahrhafftigkeit
wegen, in allen Ecken, ſo, daß kaum die Kinder,
das Haus-Geſinde aber um ſo viel deſto weniger,
ſatt zu eſſen bekamen, weßwegen denn ſelten eine
Magd uͤber ein Viertel Jahr bey ihr blieb. Recht
aͤrgerlich war es, daß offtermeldte Frau ihre Kinder
in allen nur erſinnlichen Thorheiten unterwieß, in-
dem ſie ihnen, ihrer Meinung nach, die Grund-
Reguln der Politique beyzubringen gedachte. Kon-
te der juͤngſte Sohn ex tempore eine Luͤgen aus der
Lufft ſchnappen, ſo war es zwar nach ihrem Sinne
eine Anzeigung eines inventieuſen Kopfs, daferne
er aber ſeine Luͤgen nicht mit beſondern wahrſchein-
lichen Umſtaͤnden unverſchaͤmter Weiſe defendi-
ren und fortfuͤhren konte, mußte er einen Verweiß
einſtecken, und aus ihrem muͤtterlichen Munde die

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[59/0073] geſtalt buͤſſete der gute Sanct Andreas, auch bey dem alleraberglaͤubigſten Frauenzimmer, ſeinen voͤlligen Credit ein. Denen Witwen und Waͤy- ſen war dieſe Frau ungemein troͤſtlich, denn ſelbige mochten hier und dort eine gerechte oder ungerechte Forderung anſtellen, ſo mußte ihnen dennoch das Urtheil favorabel geſprochen werden, daferne ſie nur etwas im Vermoͤgen und zu ſpendiren hatten. Denen alten armen Leuten, aber nur weiblichen Geſchlechts, ſtunde ihre milde Hand taͤglich offen, weil ſelbige ſonderlich geſchickt waren, alle neue Maͤhren, ſo in der Stadt und auf dem Lande paſ- ſirten, in ihr Cabinet zuſammen zu tragen, welches zu gewiſſen Tages-Stunden allen dergleichen Po- ſten-Traͤgerinnen offen ſtund. Ubrigens, aller haͤuffigen Einkuͤnffte ohngeachtet, regierte doch Schmal-Hans, ihrer exceſſiven Nahrhafftigkeit wegen, in allen Ecken, ſo, daß kaum die Kinder, das Haus-Geſinde aber um ſo viel deſto weniger, ſatt zu eſſen bekamen, weßwegen denn ſelten eine Magd uͤber ein Viertel Jahr bey ihr blieb. Recht aͤrgerlich war es, daß offtermeldte Frau ihre Kinder in allen nur erſinnlichen Thorheiten unterwieß, in- dem ſie ihnen, ihrer Meinung nach, die Grund- Reguln der Politique beyzubringen gedachte. Kon- te der juͤngſte Sohn ex tempore eine Luͤgen aus der Lufft ſchnappen, ſo war es zwar nach ihrem Sinne eine Anzeigung eines inventieuſen Kopfs, daferne er aber ſeine Luͤgen nicht mit beſondern wahrſchein- lichen Umſtaͤnden unverſchaͤmter Weiſe defendi- ren und fortfuͤhren konte, mußte er einen Verweiß einſtecken, und aus ihrem muͤtterlichen Munde die ſubti-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/73>, abgerufen am 05.05.2024.